cigar | Und dann geht alles auf
Aus Cigar 3/2017
Speis & Trank

Und dann geht alles auf

Der Texter, Foodblogger und Buchautor Claudio Del Principe nennt Freiheit sein höchstes Gut – und hat generell eine philosophische Ader. Seine Rezepte gelten auch fürs Leben.

Interview: Sarah Kohler
Fotos: Stefan Kaiser

2017 ist für Sie ein Jahr bedeutender Zahlen. Was steht an?
Claudio Del Principe: Mein Blog wird genau heute zehn Jahre alt, mein Sohn in einigen Tagen 18 – und ich im November 50. Da blicke ich schon zurück und überlege, wie alles begann, wie es sich veränderte und wo ich heute stehe

Fazit?
Langsam geht alles auf. Wenn ich mich an die Anfänge des Blogs erinnere...

Erzählen Sie.
Eine Vorgeschichte ist sicher wichtig. Bevor ich mit dem Blog startete, verlor ich als Nebenwirkung einer Antibiotikatherapie meinen Geschmacks- und Geruchssinn. Das war der blanke Horror, vor allem, weil unklar war, ob ich jemals wieder etwas riechen oder schmecken würde. Ein ganzes Jahr lang fühlte sich alles, was ich ass, wie ein Papiertaschentuch im Mund an.

Und dann?
Ich erinnere mich, wie ich in unserem Garten im Vorbeigehen diese erste reife Himbeere pflückte, gedankenverloren und ohne grosse Erwartungen, ehrlich gesagt. Und da war so ein «hint of a scent». Ich hatte Tränen in den Augen. Innert eines Monats kehrten meine Sinne komplett zurück. Das machte meinen Umgang mit Essen sorgfältiger und bewusster.

Deshalb starteten Sie einen Blog?
Nicht direkt. Ich arbeitete damals als Partner einer Werbeagentur, und der Grafiker war so kochbesessen wie ich. Wir sprachen den ganzen Tag übers Essen und Kochen – was den Rest ziemlich nervte. Gemeinsam mit einem Kollegen gründeten wir, quasi aus Notwehr, die Anonymen Köche und schafften uns selbst eine Plattform. Wir waren in der Schweiz die zweiten Foodblogger überhaupt. Ziemlich rasch überliessen mir meine Kollegen das Feld, ich machte allein weiter.

Heute sind Sie als Blogger in bester Gesellschaft.
Es ist beeindruckend. Während meine Seite seit zehn Jahren unverändert daherkommt, tat sich rundherum viel. Blogs mit Bildern in super Qualität, teilweise journalistisch aufbereitet – ich finde das toll. Genauso toll, wie ich es finde, dass ich mich davon nicht unter Druck setzen lasse.

Apropos Druck: Sie sind seit Jahren freischaffend.
Richtig. Meine Selbstständigkeit ist das grösste Gut, das ich besitze: Freiheit und Unabhängigkeit. Der Luxus, daheim zu arbeiten, selber zu bestimmen, für wen und wie viel.

Keine existenziellen Ängste?
Die gab es. Aber das ist eine Frage der Haltung. Ich würde auch gern Maserati fahren, klar, aber habe halt eine Merce- des-Schrottkiste. So viele Menschen su- chen ihr Glück, indem sie etwas Materielles erschaffen, Karriere machen, sich etwas kaufen. Ich bin happy, dass mich das nicht reizt – gerade wenn ich an meine Söhne denke und daran, wie wir als Familie Zeit verbrachten. Wir haben ein hübsches Haus, Baujahr 1927, mit einem schönen Garten – und einem verlotterten Gartenhag. Wenn sich meine Frau darüber ärgert, sag ich: Geniessen wir, was wir haben, und machen wir uns nicht verrückt mit dem, was wir nicht haben!

Wurden Ihnen Optimismus und Gelassenheit in die Wiege gelegt?
Gar nicht. Davon war ich selbst als 30-Jähriger noch weit entfernt. Da wollte ich erfolgreich sein, etwas erreichen. Meine Frau und ich arbeiteten und reisten viel, bevor die Kinder kamen. Dann fanden wir: Jetzt können wir auch einfach happy sein, ohne das Glück zwanghaft zu suchen. Ich lasse der Zeit einfach ihren Lauf und dem Leben den Raum, Möglichkeiten aufzutun.

Und Mitte 30 entdeckten Sie, wie toll es ist, freundlich zu sein.
Ich fand heraus, wie viel zurückkommt, wenn man nett ist, nicht zynisch, cool oder aggressiv, mit derben Sprüchen, wie sie in Männerkreisen oft die Gangart sind. Als ich das verkündete, sagte mir einer: Du bist ein Loser – du musst über Leichen gehen, um Karriere zu machen. Für mich war das die Bestätigung. Ich wusste, dass ich das nicht will. In den Blog zum Beispiel investierte ich viel, ohne zu wissen, ob was rumkommt, einfach aus Freude an der Sache. Und ich erhielt sehr viel, wenn auch kein dickes Bankkonto oder viel Renommee.

Immerhin: Im September erscheint Ihr viertes Buch. Darin zeigen Sie «ganz entspanntes Kochen». Was verstehen Sie darunter?
Den Grundstein lege ich mit der Schlüsselfigur, dem Sauerteig. Er ist Sinnbild für die Haltung, die ich vermitteln möchte: die Geduld aufzubringen und das Wunder zu ermöglichen, dass aus Mehl und Wasser eine Hefe wird. Wahnsinn, dass das funktioniert! Fürs Kochen bedeutet es, dass man sich nicht mehr an Rezepte oder bestimmte Zeiten hält, sondern sich auf die Art besinnt, wie die italienische Mamma oder die Schweizer Bauersfrau früher arbeitete: aus dem Handgelenk. Sie mischte Mehl mit Wasser, bis es sich gut anfühlte. Das ist die Message des Buchs. Ich gebe ungefähre Mengen an und versuche, genau zu beschreiben, wie sich etwas anfühlen soll.

Ihr Buch ist auch eine Kritik an der «schnellen Küche».
Wenn einer von «Blitzküche» spricht oder davon, dass sich ein Mega-Gericht in zehn Minuten zubereiten lässt, ist das Blödsinn. Mein Ansatz ist ein anderer.

Nämlich?
Ich sage meinen Lesern: Weicht doch mal Hülsenfrüchte ein. Und macht am nächsten oder am übernächsten Tag etwas damit. Setzt aus den Rüstabfällen vom Gemüse eine Bouillon an, mit der ihr in zwei Tagen einen Risotto zubereitet. Friert sie ein für später. Oder macht einen Teig: Wenn der im Kühlschrank reift, könnt ihr ihn nach zwölf Stunden genauso gut verarbeiten wie nach 96. Er ist ready, wann immer es euch passt. Wenn man die Arbeit zu splitten beginnt, geht irgendwann alles auf.

Eine blosse Frage der Organisation also?
Genau. Es ist doch bireweich, den Ofen für ein einziges Gericht einzuheizen. Ich nutze die Situation, dass die Küche läuft, und bereite gleich mehrere Sachen zu, lege nach dem Backen vielleicht noch Peperoni in den Ofen, die in den folgenden Tagen irgendwann auf den Tisch kommen. Oder ich bereite Arbeitsschritte vor.

Das klingt fast schon nach Managementberatung.
Tatsächlich überträgt sich die Haltung im Kochen auf vieles: Es gibt für alles eine Zeit. Auch fürs Geniessen übrigens. Da gilt es, im richtigen Moment los- und sich dankbar darauf einzulassen.

Essen Sie auch mal schlecht?
(Lacht.) Das kann ich weitgehend vermeiden. Kürzlich wurde mir an einem Anlass zum Zmittag ein abgepacktes Sandwich angeboten, das ich dankend ablehnte. Abends, auf der Heimfahrt, hatte ich Hunger und wagte mich in einen Tankstellenshop, wo sich die Frage stellte: Was bloss nehme ich? Ich entschied mich für gesalzene Pistazien. Sie befriedigen den Gluscht nach etwas Salzigem, sie sind hochwertig, man isst sie langsam. Bingo.

Ihre Söhne müssen kulinarisch ganz schön geprägt sein.
Das sind sie wohl. Bei uns wird täglich zweimal gekocht. Unser älterer Sohn war immer sehr offen und isst alles, der jüngere wollte bis ins Alter von zwölf Jahren nur weisse Teigwaren mit etwas Olivenöl und Parmesan. Ich verzweifelte fast, wenn er meine 24 Stunden geköchelte Sauce nicht probierte, aber liess ihm die Freiheit. Mit 13 beschloss er plötzlich, sich ein richtig gutes Kochmesser zu kaufen. Als kurz darauf in der Schule eine Schnupperwoche anstand, eröffnete er uns, er wolle Koch werden – und bat mich, Tanja Grandits, die ich kenne, zu fragen, ob er bei ihr schnuppern könne. Ich winkte ab, er insistierte – und es funktionierte.

Will er immer noch Koch werden?
Allerdings. Mit 14 ist er aber zu jung. Das Mindestalter für eine Anstellung bei Tanja Grandits ist 18. Wir sagen ihm auch, er soll noch in anderen Betrieben schnuppern – im Spital oder in einer Kneipe. Der Beruf ist schliesslich mehr als Zwei-Sterne-Küche.

Aber selbst wollten Sie nie Koch werden?
Auf keinen Fall.

Warum?
Weil ich enormen Respekt vor der Leistung habe. Es ist wahnsinnig, was Köche abdrücken, wie sie sich ein Stück weit aufgeben und ihre ganze Energie auf den Herd konzentrieren. Ich hingegen bin total verzettelt. Für meine Bücher zum Beispiel schreibe, koche, style und fotografiere ich. Wenn ich auf die eine Aufgabe keine Lust habe, widme ich mich einer anderen.

Lassen Sie uns noch übers Rauchen reden. Erinnern Sie sich da an die Anfänge?
Ich startete viel zu früh, mit 14: Zigaretten, in der Gruppe, wie das so ist. Kurz darauf lernte ich bereits meine Frau kennen – und damit ihren Vater, Typ Humphrey Bogart. An den Wänden hingen supercoole Schwarz-Weiss-Bilder von ihm, wie er in Saudiarabien Amischlitten fuhr, Whisky trank und filterlose Camel rauchte. Fortan rauchte auch ich Camel ohne und trank Whisky, mit 16. Dann musste ich einen Weisheitszahn operieren, durfte eine Woche nicht rauchen und beschloss, nicht wieder anzufangen. Seither bin ich ein klassischer Schnorrer.

Ihr Schwiegervater war es auch, der Sie in die Gastronomie einführte.
Immer sonntags ging die Familie auswärts zum Zmittag; gern auch ins Elsass. Wir schlemmten bis nachmittags um vier, es gab Steinbutt, Wachtel und, und, und ...

... Sie rauchten Zigarre?
Ich frage mich grad, wann das anfing. Sicher vor 20. Zwischenzeitlich rauchte ich auch gern Pfeife. Mir gefällt die ganze Handhabung vom Tabak; wie er sich anfühlt, wie er schmeckt, wie man ihm Sorge tragen und schauen muss, dass Temperatur, Feuchtigkeit und Reifegrad stimmen. Wie eine Mutterhefe oder ein Teig.

Sagen wirs mal so: Claudio Del Principe widmet sich hauptberuflich den schönen Dingen des Lebens. Er schreibt, kocht und isst (gut). Und in der Freizeit raucht der bald 50-Jährige gern auch mal eine Zigarre. Vor ziemlich genau zehn Jahren startete der freischaffende Autor, Food Writer und Werbetexter seinen Blog Anonyme Köche, der seither als Perle unter seinesgleichen gilt. Das zugehörige Buch erschien 2009. Fünf Jahre später veröffentlichte Del Principe das Kochbuch «Italien vegetarisch», 2005 folgte «Ein Sommer wie damals». Das vierte Buch «A casa» kommt in Kürze auf den Markt. Der kulinarisch besessene Autor lebt mit seiner Frau Miriam sowie den Söhnen Delio (18) und Lino (14) in Binningen bei Basel.

www.anonymekoeche.net

Eine Liebeserklärung ist es geworden, das neue Buch von Claudio Del Principe; an Langsamkeit, Achtsamkeit und Sorgfalt. Ein Werk für jene, die Trendhäppchen satt haben und der schnellen Küche misstrauen. Zeit, so sieht es nämlich der Autor, ist eine wesentliche Zutat für mehr Geschmack. Bestes Beispiel ist Del Principes «Lievito Madre», der mit einem reifen Apfel angesetzte italienische Sauerteig, aus dem aromatisches Brot all’italiana, Pizza bianca, Focaccia oder Panettone entstehen. Nebenbei wird Pasta geformt und in Saucen gehüllt, verwandeln sich Hülsenfrüchte in Seelenschmeichler, wird Vergessenes belebt und werden Geschichten rund ums Essen, Kochen und Geniessen erzählt. «A casa» erscheint Ende September.

A casa. Gut kochen. Besser essen. Jeden Tag.
Autor: Claudio Del Principe, Verlag: www.at-verlag.ch, ISBN: 978-3-03800-970-2, Preis: CHF 39.90

Dankeschön
Das Interview mit Claudio Del Principe fand in der idyllisch am Rhein gelegenen Lounge des Davidoff of Geneva Flagship Stores in Basel statt. Wir bedanken uns herzlich für die spontane Gastfreundschaft.

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