cigar | Fer el Vermut
Aus Cigar 1/2016
Speis & Trank

Fer el Vermut

Bei Spaniern und Italienern ist die Begeisterung für Wermut weit fortgeschritten, doch der Durchbruch in der Schweiz hat soeben begonnen. Auch wenn Aufklärung noch eine Weile vonnöten sein dürfte.

Text: Wolfgang Fassbender
Foto: Tina Sturzenegger

Klar gab es Champagner im VIP-Bereich der diesjährigen Foodmesse Madrid Fusión: Nicht weit vom noblen Ausschank auf der linken Seite wurden Spitzenköche wie Elena Arzak oder Angehörige der Familie Roca gesichtet, auch der Wahl-Amerikaner Daniel Humm war nicht weit. Rechts indes war der Andrang nicht geringer, denn ein spanischer Produzent bot Wermut an. Dunkle, würzige Ware im Cocktailglas, mit einem Stück Orangenzeste und einer grünen Olive. Ein Renner, schon vor dem Mittagessen, und ein Beweis, wie verliebt die Madrilenen in das bitter-süsse Getränk sind, welches Prestige sie ihm zubilligen. Die Katalanen auch, was schon deshalb überrascht, weil die selten mit den kastilischen Nachbarn eine Meinung teilen. «Fer el Vermut» nennen sie in Barcelona die Sitte, sich ein, zwei Portionen ins Glas schenken zu lassen. Am besten in der spezialisierten Vermuteria, wo zwischen verschiedenen Sorten und diversen Altersstufen gewählt werden kann. Zeremonielles Anrichten gehört immer dazu, manchmal fragt der Wermutkeeper auch, ob man einen zusätzlichen Schuss Orange Bitter oder Angostura dazuhaben möchte. Was natürlich dem Wermutkraut nicht die Rolle des Hauptbittergebers streitig machen soll. So hat es jedenfalls 1786 ein gewisser Antonio Benedetto Carpano entschieden. Der Italiener gilt als Erfinder des modernen Wermuts, auch wenn die Apotheker Europas schon lange vor ihm Ansätze mit Artemisia absinthium L. vorgenommen haben dürften.

Im Vergleich mit den Südländern sind Schweizer und Deutsche Waisenknaben, die lange kaum auf den Geschmack kamen. Doch allmählich verändert sich die Lage. «Es blüht auf», sagt Wolfgang Bogner, Patron der Zürcher «Tales Bar». Kollege Oliver Steiner hat in der Bar im Kino Houdini sogar eine komplette Wermutkarte getippt. Er liebe Wermut, schwärmt der Experte, der für den 2016er Sommer einen Durchstart prognostiziert und schon jetzt allerlei Stammkunden gewonnen hat. Zum Beispiel für den weissen Vermouth del Professore, zu dessen Charakter Moscato aus dem Piemont einen wichtigen Beitrag leistet. Schon beim ersten Schluck merkt der Wermut-Neuling, wie sehr es auf die Grundweine ankommt. Muskateller wird in Norditalien geschätzt, Tempranillo von manchen Spaniern als Basis genommen, während andere Produzenten auf Grauburgunder schwören, Sherry bevorzugen oder gar eine Riesling Spätlese aus dem Stückfass einsetzen. Sebastian Brack nimmt für seinen Belsazar Weine vom Kaiserstuhl und erinnert sich zurück an jene Zeit, als er sich beruflich nur mit dem von ihm erfundenen Tonic namens Thomas Henry beschäftigte. «Ich wusste gar nicht, was Wermut war.» Heute weiss er es nicht nur, sondern hat auch begriffen, wie lebendig das Produkt ist. «Die Weine sind halt in jedem Jahr anders.» Seine inzwischen vier Sorten verfeinert Brack mit Schladerer-Obstbränden, gelagert wird in Steingutfässern.

Gedanken zum Thema Wermut macht sich auch «Gents»-Getränkeerfinder und Journalist Hans Georg Hildebrandt. «Man kann mit Wein und Kräutern arbeiten und ganz nach eigenem Gusto vorgehen.» Alle Produkte seien ja schon vorhanden und müssten keiner alchemistischen Umwandlung wie beim Brennen unterzogen werden. Hildebrandt hat gerade eigenen Wermut am Markt lanciert – mit Schweizer Wer- mutkraut und Schafgarbe plus ein paar kleineren Zutaten. «Das wird in Alkohol ausgezogen und anschliessend mit Pinot noir aus der Region Zürich zu einem Grundwein verarbeitet. Diesen verschneide ich dann mit tollen französischen Süssweinen.» Regionalität auf Wermutart. Fruchtig und duftig. Ein Aperitif, der nicht nur Stil hat, sondern auch mit Aromenreichtum überrascht.


Doch ihn bloss vor dem Essen zu kredenzen, den Apéro Surprise, mit Eis, Zeste und Olive, wäre schade. Carpanos Antica Formula, seit ein paar Jahren auf dem Markt und gewiss eines der interessanten Produkte grosser Marken, ist eher vollmundig, neigt zur Vanilleschwere und kann auch nach dem Essen seinen Drink stehen. Zumal die wermutige Bitternis in diesem Fall so sehr im Gesamtbild verschwindet, dass man sich fragt, ob es nicht auch ganz ohne sie ginge. Auch andere Botanicals bringen ja Würze mit, und gegen Chinin als Bittergeber ist ebenfalls nichts einzuwenden: Matter-Luginbühls Kina-Apéro etwa verdankt seinen herben Charakter zu einem Grossteil der Chinarinde.

Doch egal, womit gebittert wurde: Behandeln sollte man alle Würzweine mit Fingerspitzengefühl. Was nicht gegen eine Verwendung in Cocktailform spricht: Negroni und Martini lassen sich unendlich variieren, nutzt man mal nicht die grossen Marken, sondern rare Spezialitäten. Je edler es allerdings wird, desto puristischer sollte man vorgehen. Die von spanischen Weingütern erzeugten Wermuts muss man oft behandeln wie rohe Eier: Einmal angebrochen, verlieren sie rasch an Aroma. Und die allerfeinsten Spezialitäten mixt Wolfgang Bogner gar nicht. «Einen Mancino Vecchio würde ich nur pur trinken.» Lediglich ein paar hundert Flaschen werden pro Jahr erzeugt von der barriquegereiften Kostbarkeit und zu einem Preis zugeteilt, zu dem man auch fürstlichen Rotwein bekäme. Aber der machte, im direkten Geschmacksvergleich, nicht unbedingt eine bessere Figur. Und was das Bittere angeht: Nach dem dritten Wermut will man die bei den meisten «echten» Weinen verpönte Geschmacksnote plötzlich nicht mehr missen.

Zigarre & Wermut
Dass es kaum jemand macht, heisst ja nicht, dass es nicht funktionierte. In Wirklichkeit klappt es ausgezeichnet. Dunkle, üppige, manchmal leicht an Schokolade erinnernde Wermuts wie die Antica Formula von Carpano kommen mit kraftvollen Zigarren klar, oft sogar besser als die alkoholreichen, irgendwie auch vom Tannin geprägten Portweine. Fruchtige Wermuts auf Muskateller- oder Rieslingbasis machen sich dagegen gut mit leichten, eleganten Longfillern. Nur mit der Bitternis sollte man aufpassen: Zu viel davon in Verbindung mit zu intensiven Zigarren lässt die Sache kippen. Und wer den Wermut zu eisig serviert, stört die Rauch-Drink- Balance ebenfalls in ungehöriger Weise.

Sieben Wermuts für Einsteiger und Fortgeschrittene

Ferdinand’s Saar Dry Vermouth — viel Frische, etwa als Begleitung zu Fisch und Meeresfrüchten: zu haben bei Silverbogen AG, www.silverbogen.com
Mancino Vecchio — nur zum Purtrinken und bloss nicht auf Eis: nicht billig bei Drink, www.drink.ch
Carpano Antica Formula — üppiger Klassiker, gern nach dem Essen: Bezug über Dettling & Marmot, www.dettling-marmot.ch
Belsazar Vermouth rosé — mit Noten von roten Beeren und Bitterorangen: zu verkosten über Silverbogen AG, www.silverbogen.com
Vermouth del Professore bianco — duftig, muskatig, als fruchtiger Apéro unschlagbar: erhältlich bei Paul Ullrich AG, www.ullrich.ch
Gents Vermouth — puristisches Schweizer Produkt: Nachfragen an Gents, www.gents.ch
Kina L’Aero d’Or — Chinarinde plus Wermut: zu bestellen bei Matter-Luginbühl AG, www.erlebnisbrennerei.ch

 

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