cigar | Im Burgund der Schweiz
Aus Cigar 3/2020
Wine Tours

Im Burgund der Schweiz

Die Bündner Herrschaft ist ein Eldorado für Weinliebhaber. Gian Carlo Casparis bietet in der Region Touren an, auf denen Gäste das Terroir und seine Weine hautnah erleben.

Text: Virginia Nolan
Fotos: Daniel Ammann

Schroffe Felsen, die in den Himmel ragen, darunter sattgrüne Hänge, von der Sonne in goldenes Licht getaucht: So präsentiert sich die Bündner Herrschaft im wohl berühmtesten Kinderbuch der Welt. Ein Augenschein vor Ort zeigt, dass es die Heidi-Illustratoren mit Kitsch nicht übertrieben haben, die Realität der Bilderbuchidylle durchaus standhält. Die Bündner Herrschaft umfasst den nördlichsten Zipfel des Bergkantons und erstreckt sich entlang dem Rhein bis zum Fürstentum Liechtenstein. Sie ist nicht nur die Heimat von Heidi, sondern bringt auch ausgezeichnete Weine hervor. 42 Traubensorten wachsen hier zwischen Fluss und Berg, aus denen über 60 Betriebe eine breite Palette an Weinen keltern, allen voran Pinot noir. Hier, im «Burgund der Schweiz», sind mit Winzerdynastien wie den Gantenbeins aus Fläsch oder der Familie Donatsch in Malans die Stars der Schweizer Weinszene zu Hause – und etliche Jungwinzer, die dem Familienbetrieb ihre Handschrift verpassen und sich dabei mit charaktervollen Weinen hervortun.

Viele von ihnen kennt Gian Carlo Casparis seit Kindertagen. Als junger Mann zog der Maienfelder nach Luzern, wo er die Hotelfachschule absolvierte, später hatte er in der Spitzenhotellerie Posten als Direktor und Gastronomieleiter inne. Nach Stationen in Korsika, Split, Moskau und St. Moritz zog es ihn 2013 zurück in die Heimat. «Ich wollte etwas Neues machen», sagt der 42-Jährige. Was es sein sollte, erschloss sich ihm auf einem Spaziergang mit den Eltern, die von einer Argentinien-Reise heimgekehrt waren. «Sie erzählten mir von den Weintouren, die sie dort unternommen hatten, und waren begeistert», sagt er. Casparis erinnert sich, wie sein Blick in die umliegenden Rebberge abschweifte: «Ich dachte mir: Warum macht das hier keiner?» Nun bot die Region alles, was Liebhaber edler Tropfen begehren – aber, wie sich herausstellte, keine Möglichkeit, Weinkultur im Rahmen einer geführten Tour zu erleben. Casparis schrieb einen Businessplan. Mit Wine Tours Switzerland füllt er die Marktlücke bis heute erfolgreich und bietet Touren rund um Wein und Genuss. Auch in Zigarrenkreisen ist der 42-Jährige kein Unbekannter: Seit 2013 organisiert er mit dem Big Alpine Smoke das Schweizer Qualifikationsturnier für die Cigar Smoking World Championship, die im kroatischen Split jährlich stattfindet.

Gian Carlo Casparis organisiert nicht nur Weintouren, sondern auch das Schweizer Qualifikationsturnier für die Cigar Smoking World Championship.
Sie keltert Wein aus Rebstöcken, die einst ihre Grossmutter anpflanzte: Jungwinzerin Carina Lipp aus Maienfeld.

Auf der Tour durch die Bündner Herrschaft lernen Casparis’ Gäste die für das Terroir typischen Weinen kennen und erhalten von Winzern einen Einblick ins Handwerk. Auch was die Herrschaft an Gaumenfreuden zu bieten hat, gilt es zu entdecken. So führt diese spätsommerliche Privattour auch zu einem kulinarischen Leuchtturm der Region. Nach einem morgendlichen Ausflug in die Tamina-Schlucht kehrt Casparis mit seinen Gästen im Alten Torkel in Jenins ein. Oliver und Julia Friedrich haben das Haus letzten Herbst übernommen und sich innert kurzer Zeit eine veritable Fangemeinde erarbeitet. Der ehemalige Maître und Sommelier von Spitzenkoch Andreas Caminada pflegt eine enge Zusammenarbeit mit den lokalen Winzern. Sein Küchenchef David Esser verarbeitet, was der Garten und die Region hergeben, und bereitet daraus liebevoll arrangierte Speisen zu, die er auf das einzigartige Weinangebot des Hauses abstimmt. So ist dem Alten Torkel das «Huus vom Bündner Wii» angegliedert, das mit allerlei Raritäten aufwartet.

Nach lukullischen Genüssen geht es in die umliegenden Weinberge. Dort erfahren die Besucher mehr über die Geschichte heimischer Winzer, dass die meisten Betriebe seit Generationen in Familienbesitz sind und einen bäuerlichen Hintergrund haben. Im Rebberg erzählt Casparis, wie das Schmelzen des Rheingletschers vor 15 000 Jahren das Tal freigab und Schwemmkegel aus Stein und Geröll zurückliess: «Diese Schwemmkegel bilden die perfekte Basis für den Weinbau: Der Boden ist durchlässig und lässt Niederschläge gut abfliessen, und der hohe Mineralgehalt gibt dem Wein Geschmack.» Dem Föhn sei Dank gelte die Bündner Herrschaft mit ihren südwärts gerichteten Hängen zudem als wärmste Weinregion der Deutschschweiz.

Ein geschichtlicher Exkurs greift auf, wie die Römer die ersten Weinstöcke nördlich der Alpen kultivierten und Bauern in der Herrschaft begannen, Weissweine zu keltern, und wie im 16. Jahrhundert die Franzosen und mit ihnen Blauburgundertrauben das von Österreich besetzte Gebiet eroberten. Später erklärt Casparis zwischen den Rebstöcken, wie diese gepflegt werden, was es mit Mehltau und Rebläusen, Pflanzenschutzmitteln und natürlichen Alternativen auf sich hat. 22 Prozent der Winzer in der Bündner Herrschaft betrieben mittlerweile biologischen Anbau, weitere befänden sich in der Umstellung: «Bio ist ein Riesenthema.»

Ihren Abschluss findet die Tour im Keller eines 1632 erbauten Maienfelder Patrizierhauses. Hier reifen die Schätze des Ehepaars Lipp. Im Familienbetrieb Lipp Weingut & Destillerie keltert Carina Lipp den Wein, ihr Mann Reto kümmert sich um die Destillate. Nach Lehr- und Wanderjahren fern der Heimat war Carina Lipp 2003 zurückgekommen, um im elterlichen Weingut anzupacken. 2005 kelterte sie ihren ersten Jahrgang im Alleingang, 2013 übernahmen sie und ihr Mann Gut und Brennerei offiziell. Lipp produziert auf zwei Hektaren rund 10 000 Flaschen Wein jährlich, hauptsächlich Pinot noir, daneben Chardonnay und Blanc-de-Noirs-Schaumwein. Die 42-Jährige verarbeitet dabei ausschliesslich Trauben vom eigenen Rebberg. Ihr Barriquewein Intuiva stammt von 50-jährigen Reben, die einst ihre Grossmutter angepflanzt hatte. Die junge Winzerin will, dass ihre Weine das Terroir möglichst unverfälscht reflektieren, und greift darum nur so viel wie wirklich nötig ein. Sie verzichtet zum Beispiel auf eine automatisierte Gärsteuerung. «Ich bin gerne nah an der Materie», sagt Lipp. Und so trägt auch jedes Etikett ihre Handschrift; beim Intuiva gibts zur Flasche sogar eine handgeschriebene kleine Botschaft. Um Botschaften geht es für Lipp beim Wein ohnehin. «Das Wichtigste, das der Wein uns schenkt, ist Zeit», sagt sie. «Die Zeit, die er in sich gespeichert hat, und die Zeit, die wir uns gemeinsam nehmen, um ihn zu geniessen.»

Weintradition erleben
Mit Wine Tours Switzerland bietet der diplomierte Restaurateur und Hotelier Gian Carlo Casparis Gruppen- und Privattouren sowie Events rund um Wein, Winzerhandwerk und Genuss in der Bündner Herrschaft an. Dabei können die Gäste lokalen Winzern über die Schulter blicken und eine Vielfalt an Weinen degustieren. Je nach Wunsch können Touren mit kulturellen Themen oder Naturthemen verbunden und als E-Bike-Trips, Genusswanderungen oder mit dem Bus durchgeführt werden.
wine-tours.ch

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