ï»ż cigar | Weltklasse im Dorfidyll
Aus Cigar 4/2020
Kulinarik

Weltklasse im Dorfidyll

Ohne Gourmet-Querdenker wĂ€re Lech am Arlberg heute ein gemĂŒtlicher Wintersportort unter vielen. So aber wird genau hier ĂŒber die KĂŒche von morgen nachgedacht, ĂŒber RegionalitĂ€t, GĂ€stebedĂŒrfnisse und Maisdrinks.

Text: Wolfgang Fassbender
Fotos: Ingo Pertramer / z.V.g

Ein Foto des alten Ortes hĂ€ngt an der Wand. Eine winzige Kirche, ein paar BauernhĂ€user. Viel war nicht los in Zug, einem winzigen Teil von Lech am Arlberg, damals, vor ein paar Jahrzehnten. Genauer gesagt: gar nichts. Das wollte der Landwirt und Skilehrer Josef Walch Ă€ndern. Im heimischen Bauernhaus begann er eines Tages im Jahr 1959, deftige Vorarlberger Speisen zu servieren. Bald holte er seine GĂ€ste in Lech mit der Kutsche ab, fĂŒhrte das Fondue ein und machte die Beiz fernab vom Schuss zum Touristenziel, bevor der Begriff Tourist ĂŒberhaupt genutzt wurde. Gattin Burgi Walch kochte so, wie es heute keiner mehr tun wĂŒrde.

Man habe damals alles selbst gemacht, erinnert sich Joschi Walch, der Sohn und heutige Chef der Roten Wand. Die Pommes frites zum Beispiel, aus frischen Kartoffeln. Sogar die Chips, die nach dem Frittieren in Eierkartons zwischengelagert wurden; jeder trockene Platz stand voll mit den Knabbereien. Bei Joschi Walch muss spÀtestens damals die Lust aufs Essen durchgeschlagen haben, die man dem stattlichen Herrn ansieht. Lust aufs Backhendl zum Beispiel, dessen Namen man nicht erwÀhnen kann, ohne dass der Chef zu lÀcheln beginnt und behauptet, dass es sich um sein Lieblingsgericht handele. Er behauptet es, da muss man ehrlich sein, allerdings noch bei einigen anderen Gerichten. Fast entsteht der Verdacht, dass so ziemlich alle Speisen, deren Rezepte im gerade erschienenen Rote-Wand-Kochbuch stehen, Lieblingsrezepte des Patrons sind. Hauptsache, es ist selbst gekocht!

In den Sechzigern und Siebzigern war aber nicht nur Hausgemachtes, sondern auch RegionalitĂ€t unverzichtbar. Sie war es auch, als Joschi Walch den kleinen Gasthof zum beachtlich grossen Hotel ausbaute. Das Essen blieb, trotz Saunen und Pools, die Hauptsache, weshalb das Wort Gourmethotel kein Marketinggag ist, sondern gelebter Alltag. Viele GĂ€ste kommen nur der Kulinarik wegen in die Rote Wand, aber auch nach Lech selbst, das sich im Laufe der Jahrzehnte zu einem echten Gourmetdorf entwickelt hat. Im Burg Vital Resort kann der Gast auf SterneNiveau essen, in der Post, in welcher der niederlĂ€ndische König abzusteigen pflegt, herrschen Ambitionen. Und dann das Aurelio’s oder das auf Natural Alpine Cuisine setzende Klösterle. Von einem Weltgourmetdorf Lech sprach man schon, und da ist was dran. Solche kulinarische Vielfalt auf hohem Niveau, sich selbst befruchtend, ist anderswo undenkbar.

Selbst gesammelter Guter Heinrich als Pesto wird zum knusprigen Röstbrot mit Tomate gereicht.
Shakshuka zum Frühstück: Einflüsse aus aller Welt werden in der Roten Wand mit Augenmass integriert.

Und so ein Konzept, wie es Patron Walch im alten Schulhaus gleich neben dem Gasthaus Rote Wand eingerichtet hat, gibt es auch im Konkurrenzgourmetdorf Baiersbronn im Schwarzwald nicht. Unten konnte man bis vor kurzem noch wĂ€hrschafte Speisen vertilgen, oben am Chef ’s Table speisen, wie es sonst in New York ĂŒblich ist oder in London. Inzwischen wurden beide Stockwerke dem feinen Dinner gewidmet. Unten nimmt der Gast nun den ApĂ©ro, bekommt schon zum AufwĂ€rmen Rettich-ConsommĂ© und Beef-Tartelette gereicht, wahnsinnig elegant begleitet von Champagner des Winzers Eric Rodez, trifft erstmals KĂŒchenchef Max Natmessnig, seit 2017 vor Ort.

Natmessnig hat im Oud Sluis unter Sergio Herman gearbeitet, im Chef ’s Table at Brooklyn Fare auch. Ein bisschen erinnert der Chef ’s Table in Lech am Arlberg ja schon an den Drei-Sterner in New York, aber eine Kopie ist es nicht. Jener Moment, in dem der KĂŒchenchef seine verwendeten Produkte im Gastraum vorstellt, beinhaltet nĂ€mlich Elemente, die sich auch im schwedischen FĂ€viken finden liessen. Doch hier geht es noch intimer zu als in den skandinavischen WĂ€ldern, weshalb die Aufmerksamkeit von Anfang an ungeteilt ist. Der Forellenkaviar stamme, erklĂ€rt Natmessnig dem Publikum stolz, aus der hiesigen Zucht, gerade mal 50 Meter vom Schulhaus entfernt. So kennt man es vom FĂ€viken. Doch was machen die Austern hier? Weshalb wurde Kaisergranat auf dem Tablett drapiert? Die Auflösung folgt auf dem Fusse und wird am nĂ€chsten Tag von Joschi Walch nochmals erlĂ€utert. Nachdem man im Gourmetrestaurant eine Weile lang nur mit regionalen Waren gearbeitet habe, sei es nun an der Zeit, auch ein paar internationale Zutaten zu verwenden. Covid-19 habe diese Entscheidung erleichtert, sagt Walch. Man habe den GĂ€sten, die ja nicht so reisen konnten wie gewohnt, den kulinarischen Trip in die Welt anbieten wollen. Aber er sagt es so, dass klar wird: Es ist nicht der einzige Grund. TatsĂ€chlich haben sich Walch und sein Köcheteam umgesehen, nach und nach Entscheidungen vorbereitet. RegionalitĂ€t als Dogma kann es nicht sein. Und wenn es grandiosen King Crab gibt, warum ihn nicht als Zutat im MenĂŒ nutzen? Mit Sanddorn und KĂŒrbis!

Vielleicht ist dies ja der nĂ€chste, logische Schritt. Globalisierung muss kein Tabu sein, auch 2021 sollen ja Amerikaner, EnglĂ€nder, Japaner nach Lech kommen, um im Weltgourmethotel des Weltgourmetdorfes zu speisen. Wenn sie hier einen Alpin-Sake bekommen, der zur Auster mit dem derzeit trendigen N25-Kaviar passt, kann man das als sympathische Verbindung der Kulturen verstehen. Der Reiswein kann der Auster ĂŒbrigens Paroli bieten, aber unterm Strich macht die alkoholfreie Begleitung diesmal mehr Spass als die klassische. Ein sĂŒffiger Drink aus Mais, Reismilch und Verjus zur GĂ€nseleber mit Kohlrabi, die Paprika-Stachelbeer-Kombination zum Kaisergranat mit einer XO genannten Paste aus lange miteinander fermentierten WĂŒrzzutaten: wow! Vielleicht sollte man hier immer die WeltgetrĂ€nkebegleitung ohne Alkohol bestellen und den Wein erst nach dem Essen trinken. Zeit wĂ€re dafĂŒr ja. Weil pandemiebedingt weniger GĂ€ste am Chef ’s Table sitzen dĂŒrfen, wurden zwei Seatings eingefĂŒhrt. Komme gut an, erzĂ€hlt man, auch weil das frĂŒher fast ausufernde Programm zeitlich gestrafft wurde. Und mal ehrlich: Wer will heutzutage noch vier Stunden und lĂ€nger bei Tisch sitzen? Könnte also auch in der Nach-CoronaZeit beibehalten werden. Wer die gastronomischen Trends von morgen und ĂŒbermorgen erkennen will, der muss nicht unbedingt nach Paris, Oslo und Chicago reisen, sondern braucht bloss die Bahn an den Arlberg zu besteigen. An der Station wird er dann abgeholt – nicht mehr mit der Pferdekutsche, aber ebenso persönlich wie frĂŒher.

Gourmet Hotel Rote Wand
Zug 5, A-6764 Lech am Arlberg
+43 5583 3435 0
rotewand.com

Zigarrengenuss in der NĂ€he
In Österreich muss man sich entscheiden: Zigarre oder Drink? Cognac zur Cohiba oder Sauternes zur Partagás ist leider untersagt – jedenfalls in Gastronomie und Hotellerie. Das lĂ€sst sich aber ver- schmerzen, wenn man die elegant ausgestattete Cigar Lounge des FĂŒnf-Sterne-Hotels Burg Vital Resort betritt. Vom Gasthof Rote Wand aus, in dessen InnenrĂ€umen man auf das Rauchen verzichten muss, ist der Tabakconnaisseur binnen weniger Minuten da. An die Zigarre pur gewöhnt man sich hier schnell – und weil die Weinkarte riesig und preisgekrönt ist, benötigen viele ja eh die gesamte Zeit vom AnzĂŒnden bis zum letzten Zug, um die richtige Flasche zu finden. Geniessen lĂ€sst sich diese danach in der Bar, im Wirtshaus oder vielleicht in der Gourmetabteilung Griggeler Stuba.

Burg Vital Resort
Oberlech 568, A-6764 Lech am Arlberg
+43 5583 3140
burgvitalresort.com

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