cigar | Mr. Pitbull
Aus Cigar 1/2016
Tabak total

Mr. Pitbull

Didier Houvenaghel ist der geistige Vater von Zigarren­marken wie Nicarao, La Ley oder Pitbull. Im Interview spricht der belgische Kosmopolit über nichtamerikanische Märkte, alten Tabak, und über sein Verständnis von Erfolg.

Interview: Tobias Hüberli
Fotos: Lukas Lienhard 

Sie haben ein Buch über Zigarren geschrieben, wieso sollte ich es lesen?

Didier Houvenaghel: Weil es neutrale Infor­mationen zur Welt der Zigarre enthält, vom Anbau des Tabaks bis hin zum Ge­nuss. Es beschreibt zum Beispiel sämtli­che Etappen der Produktion, in Kuba und anderswo. Und es erklärt die Quali­tät der Tabakblätter, wieso es fünf davon in einer Zigarre hat und wie sie sich physisch und chemisch voneinander unterscheiden. Wenn man das versteht, dann versteht man auch das Blenden einer Zigarre, das grosse Geheimnis ei­nes jeden Zigarrenherstellers. Dann na­türlich die Aspekte der Degustation, der Lagerung und so weiter. Ich brauchte sechs Jahre, um das Buch zu schreiben. Es war ein sehr langer Prozess.

Erzählen Sie.
Ich studierte in Kuba Agrarwissenschaf­ten. Die Basis des Buchs bilden die Noti­zen, die ich während des Studiums machte. Nach einem Jahr wusste ich viel über den Anbau und über die Fer­mentation von Tabak, aber fast nichts über das Mischen, das Rollen oder über die Degustation von Zigarren. Ich kaufte darum viele Bücher zum Thema, aller­dings konnte mir keines meine Fragen beantworten. Darum beschloss ich, ein eigenes zu schreiben.

Um welche Fragen ging es da?
In den meisten Artikeln oder Büchern werden zum Beispiel Geschmäcke be­schrieben, die man in dieser oder jener Zigarre findet. Aber nirgendwo steht, wie man diese beim Rauchen entdeckt, wie man zum Resultat kommt. Mir fehlte die Methode. Mein Buch ist ein Werkzeug, um einzelne Geschmäcke nicht nur zu entdecken, sondern auch um die Gründe für deren Existenz zu verstehen.

Bevor Ihr Buch fertig wurde, gründeten Sie dann noch die Zigarrenmarke Nicarao.

Eine Zigarre zu entwickeln, nimmt we­niger Zeit in Anspruch als das Schreiben eines Buchs, so viel ist sicher.

Nicarao wurde schnell zu einem Erfolg.
Was verstehen Sie unter Erfolg?

Die Zigarre wurde international bekannt und bekam gute Ratings. Was verstehen Sie denn unter Erfolg?

Ich glaube, es gibt zwei Arten. Wir ma­chen eine Zigarre mit Disziplin, vor al­lem aber mit Liebe und Leidenschaft. Und wenn jemand zu mir kommt und mir sagt, dass ihm meine Zigarre schmeckt, sie ihm Freude bereitet, dann ist es das schönste Geschenk, das er mir machen kann. Wenn die Zigarre gefällt, ist das der erste Parameter des Erfolgs. In diesem Fall können Sie alles, was in meinem Buch und woan­ders steht, vergessen. Eine Zigarre ist gut, wenn sie gefällt. Basta. Der zweite Parameter ist der Verkauf. Man muss die Marke entwickeln, neue Märkte er­schliessen und Stückzahlen absetzen. Darin bin ich etwas weniger gut, weil ich im Grund einfach ein sehr leiden­schaftlicher Zigarrenraucher bin.

So schlecht auch wieder nicht. Nach Nicarao kreierten Sie mit Pitbull und La Ley zwei weitere in der Schweiz sehr beliebte Zigarrenmarken.
Es geht voran, wir sind nicht perfekt, aber wir lernen aus unseren Fehlern.

Ihre Marken werden von Abdel Fernandez in Estelí, Nicaragua, produziert.

Mit Abdel verbindet mich eine lange Freundschaft. Die Nicarao entwickelten wir 2002, da war er noch nicht so be­kannt. Mittlerweile ist er vor allem in den USA sehr berühmt. Wir arbeiten jetzt seit über zehn Jahren eng zusam­men. Seit diesem Frühling sogar noch etwas enger. Mit meiner Firma habe ich die Distribution von allen seinen Mar­ken in Europa übernommen.


Sie verkaufen Ihre Zigarren überall, ausser in den USA.
Weshalb?
Ich habe mich auf nichtamerikanische Märkte spezialisiert. Die Marke La Ley zum Beispiel ist optisch klar auf den eu­ropäischen Markt ausgerichtet. Die Box ist edel und schlicht. Einem Amerikaner wäre das viel zu simpel. Auch der Schriftzug mutet europäisch an, obwohl ich ihn aus der amerikanischen Unab­hängigkeitserklärung geklaut habe. Es ist die Handschrift von Thomas Jeffer­son.

Woher hatten Sie das Geld, um das Unternehmen zu starten.

Ich begann sehr klein, mit einem Koffer voller Zigarren, den ich von Händler zu Händler trug, am Anfang in Belgien und in Frankreich. Ich produzierte mit Ab­del die ersten Zigarren, verkaufte sie, und mit dem verdienten Geld produzier­ten wir die nächsten. Am Anfang dach­ten die Leute, ich will ihnen schlechte Ware aus Kuba andrehen. Zigarren aus Nicaragua gab es damals nicht sehr viele, sie waren sehr wenig bekannt. Ich wurde ein paar Mal regelrecht aus dem Laden geschmissen.

Sie erkannten das Potenzial von nicaraguanischem Tabak früher als die meisten.

Mir war klar, dass Nicaragua ein her­vorragendes und damals noch stark unterschätztes Land für den Tabak­anbau war. Die mineralischen Profile der Böden sind sehr gut und vor allem sehr unterschiedlich. Darauf kann man vielfältige Tabake ziehen und damit in­teressante Zigarren blenden. Eine Rolle  spielt auch die gut verankerte Tradi­tion für den Anbau von Tabak. 2002 wurden fünf Millionen Zigarren aus Nicaragua exportiert, Ende 2013 waren es 120 Millionen. Der Zigarrenboom in Nicaragua ist fantastisch. Zwar expor­tiert die Dominikanische Republik zur­zeit noch mehr Zigarren, betrachtet man aber die Menge des angebauten Tabaks, liegt Nicaragua klar vorne.

Womit beschäftigen Sie sich zurzeit?
Ich bin fasziniert von Zigarren, die 30, 40 oder 50 Jahre alt sind. Ich versu­che zu verstehen, wie sich die Tabake einer Zigarre im Alterungsprozess ver­halten. Bei diesen Fragen kehrt man automatisch zum einzelnen Tabakblatt zurück.

Alter Tabak verliert irgendwann seine Kraft und sein Aroma, sagt man.
Das dachte ich auch. Technisch betrach­tet funktioniert es wie beim Wein. Am Anfang hat er eine gewisse Qualität, mit der Reifung nimmt diese zu, bis zu ei­nem bestimmten Punkt, an dem der Wein eine bestimmte Zeit bleibt, um dann wieder an Qualität zu verlieren. Allerdings hatte ich das Glück, ein paar sehr alte kubanische Zigarren zu rau­chen. Einige davon hatten ihre Kraft auch nach 40 Jahren nicht verloren. Diese Erfahrung war die Basis für die Konzeption der Marke La Ley.

Erklären Sie.
Die in der La Ley verwendeten Tabake sind in der Regel etwas älter, zwischen drei und sechs Jahren. Sie ist rund, reich, hat Kraft und lässt sich heute sehr gut rauchen. Ich glaube aber auch, dass die Zigarre ein sehr interessantes Lage­rungspotenzial hat.

Was macht Ihre Zigarren aus?
Egal welche Linie Sie von uns rauchen, alle unsere Zigarren besitzen zwei Ei­genschaften, auf die ich stolz bin. Sie haben einen Charakter, den man mögen kann oder nicht. Und sie haben ein Gleichgewicht. In der Welt der Zigarren gibt es drei Arten. Da sind zuerst die schlecht gemachten Zigarren, davon gibt es viele. Dann gibt es zwar gut gemachte, aber nicht ausgeglichene Zigarren, auch davon gibt es viele. Sehr viel rarer sind Zigarren, die tech­nisch gut gemacht sind und deren Ta­bake eine Einheit ergeben. Genau das ist unser Ziel: Personalität und Har­monie.

Didier Houvenaghel kam am 2. Mai 1975 in einem Brüsseler Spital zur Welt. Er studierte Agrarwissenschaften in Brüssel sowie in Pinar del Rio, Kuba. In dieser Zeit entwickelte der leidenschaftliche Zigarrenraucher ein starkes Interesse an schwarzem Tabak und beschloss, ein Buch über das Thema zu schreiben. Nach einer achtmonatigen Stage bei der Europäischen Kommission (Departement für nachhaltige Entwicklung) arbeitete er ein Jahr in Paris — in einem Kabinett für strategische Beratung — und widmete sich danach der Recherche seines Buches, die ihn zurück nach Kuba, in die Dominikanische Republik sowie nach Nicaragua führte. Zusammen mit dem Zigarrenproduzenten Abdel (AJ) Fernandez, mit dem ihn eine enge Freundschaft verbindet, kreierte er 2002 die Zigarrenmarke Nicarao, die Houvenaghel zuerst in Belgien und Frankreich und heute europaweit vertreibt. 2005 erschien sein Buch «the cigar from soil to soul», zuerst auf Französisch und drei Jahre später auf Englisch. Die Zusammenarbeit mit Fernandez, der es in der Zwischenzeit in den USA zu beträchtlicher Bekanntheit gebracht hatte, erwies sich als fruchtbar. Es folgten die Marken Pitbull, La Ley und die ab Mai in der Schweiz erhältliche La Preferida. Seit diesem Frühling koordiniert Didier Houvenaghel zudem den Verkauf sämtlicher Marken von Abdel Fernandez (unter anderem San Lotano oder Enclave) auf nichtamerikanischem Boden. Houvenaghel lebt mit seiner Frau und seinen zwei kleinen Söhnen in Singapur.

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