Big Smoke
Eine Hommage an den Genuss
Vor zehn Jahren, 2024, präsentierte der Schweizer Hersteller Oettinger Davidoff eine Zigarre der Superlative. Die Davidoff Oro Blanco bestand aus zwölf Jahre reifegelagerten Tabaken. Dafür verarbeitet wurden Blätter einer einzigen Ernte aus der Anbauzone von Santa Cruz de Mao in der Dominikanischen Republik. Das limitierte die Verfügbarkeit der Zigarre von Anfang an auf wenige Zehntausend Stück. Berühmt wurde das 152 Millimeter lange Format aber für seinen Preis: 500 Franken.
Damit war die Oro Blanco eine der teuersten handelsüblichen Zigarren der Welt, allenfalls noch übertroffen von einer kubanischen Rarität. Einsam an der Spitze der Preispyramide, umwehte sie immer ein Hauch von Mystik, kein Wunder, ihr Genuss war weltweit nur wenigen Aficionados vorbehalten. Ein lineares Preis-Leistungs-Verhältnis ist
auf diesem Niveau nicht mehr realistisch. Die Oro Blanco schmeckte nicht 30 Mal besser als eine Premiumzigarre im Segment unter 20 Franken. Trotzdem blieb ihre Aromatik in Erinnerung: tropische Früchte, pikante Pfeffernoten, holzige Einflüsse sowie ein samtartiger Rauch.
Vor zwei Jahren standen die Verantwortlichen von Oettinger Davidoff vor der nicht ganz einfachen Aufgabe, eine Nachfolgerin, eine Oro Blanco 2.0, zu kreieren. «Ziel war es, eine noch exklusivere Zigarre zu präsentieren», sagt Sam Reuter, Leiter globale Produktinnovation bei Oettinger Davidoff. Dafür sichteten die Masterblender das mittlerweile immense, über 2600 Tonnen Tabak starke Lager des Unternehmens. Oettinger Davidoff kultiviert seit 1990 eigenen Tabak in der Dominikanischen Republik, und zwar in fünfzehn verschiedenen, teilweise exklusiven Anbauzonen.
Es gibt letztlich nicht viele Möglichkeiten, den überdurchschnittlich hohen Preis einer Zigarre zu rechtfertigen. Guter Tabak wird in vielen Ländern angebaut. Auch punkto Verarbeitung bewegen sich die namhaften Hersteller alle auf einem ähnlichen Niveau. Aber nur wenige Unternehmen verfügen über jahrzehntelang gereiften Tabak aus mikroklimatisch total unterschiedlichen Anbaugebieten. «Niemand hat älteren dominikanischen Tabak als wir», bringt es Reuter auf den Punkt.
Für die neue, Anfang Oktober präsentierte Oro Blanco Special Reserve 111 Years setzen die Masterblender von Davidoff voll auf diese Karte. Die fünf dominikanischen Einlagetabake der Zigarre sind zwischen 17 und 18 Jahre reifegelagert, das ebenfalls dominikanische Umblatt ist 20 Jahre alt, kumuliert man die in der neuen Oro Blanco verarbeiteten Tabake, kommt man die namensgebenden 111 Jahre.
Der Markt für Vintage-Zigarren, hauptsächlich von kubanischen, hat erst in den letzten 20 Jahren so richtig Fahrt aufgenommen. Mittlerweile werden auf Auktionen für Havannas, die vor 20 Jahren oder noch früher gerollt wurden, schwindelerregende Preise erzielt. Wie sich die Aromatik einer Zigarre über die Jahrzehnte entwickelt, ist bis heute nur ansatzweise erforscht. Sicher ist: Wie bei einem guten Wein verändert auch eine Zigarre mit der Zeit ihren Geschmack. Stark vereinfacht erklärt, folgt auf eine von frischen, allenfalls kantigen Aromen geprägte Phase nach zirka drei bis zehn Jahren ein neues Stadium. Dank der fortlaufenden Mikrofermentation reduziert sich der Nikotingehalt in der Zigarre merklich. Vor allem aber vermählen sich die einzelnen Einlagetabake über die Zeit. Im Idealfall führt das nach einer Dekade zu einem vielleicht weniger kraftvollen, aber umso eleganteren Raucherlebnis.
Genau hier ist die neue Davidoff Oro Blanco Special Reserve 111 Years angesiedelt. Die reifegelagerten Tabake stiften der Zigarre unglaublich ausgewogenen Aromen. Wobei das im Vergleich relativ junge, nur gerade vier Jahre alte Deckblatt für einen angenehmen Tick Frische sorgt. Der Auftakt ist definitiv milder als bei ihrer Vorgängerin. Im ersten Drittel entwickelt die Oro Blanco prägnante Aromen von Nuss und Karamell. Der Rauch ist sanft und cremig. Schlagartig wird klar: Das ist zwar eine neue Zigarre, aber die gelagerten Tabake bescheren ihr ein Profil, auf das man sonst zehn bis zwanzig Jahre warten muss.
Zeit ist bekanntlich unbezahlbar. Vielleicht kann man den Verantwortlichen darum auch die Preisgestaltung nachsehen. Ein Exemplar kostet nämlich 750 Franken. Gerollt wurden die Zigarren übrigens in einem Slot. Das bedeutet, wer sich in vier Jahren eine Oro Blanco leistet, kriegt ein Kunstwerk, das nicht nur alten
Tabak enthält, sondern darüber hinaus nochmals 48 Monate als fertige Zigarre im Humidor reifen durfte. Wie viele Exemplare der neuen Oro Blanco insgesamt produziert wurden, ist nicht bekannt.
Im zweiten Drittel gewinnt die Oro Blanco an Kraft, es entwickeln sich Röstaromen, Kakao sowie eine angenehme Süsse. Auch wenn die Komplexität im Rauchverlauf zunimmt, bleibt sie eine Zigarre der leisen Töne. Im Schlussdrittel glänzt sie dann mit einer wunderbaren Cremigkeit, gepaart mit Aromen von Nuss, Schokolade und Zitrus. Als Status- und Protz-Zigarre ist die Neuauflage der Oro Blanco denkbar schlecht geeignet. Die seltenen Tabake bescheren ihr einen aussergewöhnlichen Charakter, den man aber zuerst als solchen erkennen muss, bevor man ihn schätzen kann.
Dieser Text erschien am 21. November in leicht veränderter Form bereits im WW-Magazin der «Weltwoche».
Die Wahl der passenden Trinkbegleitung für die Davidoff Oro Blanco Special Reserve 111 Years ist durchaus eine Herausforderung. Gefragt ist etwas mit Eleganz, Komplexität und einem langen Abgang, aber nicht zu viel Kraft. Wer dabei den Whisky The Macallan Rare Cask Release 2024 auswählt, macht sicherlich nichts falsch. Der Single Malt aus der Speyside ist in Sherryfässern zu wahrer Grösse gereift und gefällt mit einer tollen Aromatik. In der Nase zeigen sich sanfte Vanillenoten, Rosine, frischer Apfel, Zitrone und Orange. Im Gaumen entwickeln sich zuerst intensive, süsse Rosinennoten und anschliessend Vanille, dunkle Schokolade und Zitrusschale. Entscheidend für eine perfekte Mariage zwischen Whisky und Zigarre ist der lange Abgang des Single Malt. Nur so können sich Whisky und Zigarrenrauch im Gaumen überhaupt begegnen. Im Nachgang zeigt sich dieser Macallan reichhaltig sowie samtig und passt deshalb perfekt zur zurückhaltenden Eleganz der Oro Blanco Special Reserve 111 Years.