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Cigar 2/2017

Am Ostwall

Text: Simon Bühler Fotos: Alexandre Brunner
Nur eine Autostunde östlich von Berlin wartet die wenig bekannte polnische Provinz Lubuskie mit Superlativen auf. Augenschein auf einem Offroad-Abenteuerspielplatz der Extraklasse.
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Panzer fahren, durch gespenstische Bunker kraxeln, am Lagerfeuer bestes lokales Bier geniessen, dem SUV mal was wirklich Extremes abverlangen, und das mitten in einer kraftvoll gedeihenden Natur: Lubuskie hält alles bereit, was man sich für ein rechtes Offline-Offroad-Wochenende unter Jungs wünschen kann – auch wenn der Junggesellenabschied ein paar Jährchen zurückliegen mag.

Die Region Lubuskie (deutsch Lebus) im Westen Polens hat historisch vor allem wegen ihrer geostrategischen LageBedeutung erlangt. Am Kreuzweg der paneuropäischen Transversalen Paris–Moskau und Skandinavien–Istanbul war die Gegend stets extrem exponiert und ein neuraler Knotenpunkt der Weltpolitik. Namentlich auch als Schauplatz der Russlandfeldzüge von Napoleon und Hitler. Jener liess die Gegend am Oder-Warte-Bogen in den Dreissigerjahren von politischen Häftlingen mit hochkomplexen Bunkersystemen von grotesken Dimensionen befestigen: Mit dem sogenannten Ostwall wollte man sich ursprünglich auf einem 110 Kilometer langen und bis zu drei Kilometer tiefen, befestigten Gebiet für einen allfälligen Gegenschlag der Roten Armee wappnen. Nach dem Motto: bis hier und nicht weiter. 1945 wurde die Front von der Roten Armee befreit, ausgeschlachtet und seither mehr oder weniger sich selbst überlassen.

Im Untergrund erwartet den Besucher eine bizarre Welt: total 32 Kilometer in Beton gegossene Tunnels, Munitionslager und Kavernen – inklusive ausgeklügeltem Lüftungssystem, das den Betrieb unterirdischer Fabriken, Spitäler und Bahnhöfe erlaubte. Die Bunkerbegehungen sind nicht überall legal, aber wer die Schleichwege kennt und über ein entsprechendes Netzwerk verfügt, weiss, wo gerade ein Bunker entsiegelt wurde und man einsteigen kann.

Inzwischen hat eine junge Unternehmergeneration das touristische Potenzial erkannt und sich zum Ziel gesetzt, die Region mit ihren verstörenden Attraktionen nicht nur militärbesessenen Nostalgikern, sondern einem breiteren Publikum zugänglich zu machen: «Als in den Dreissigerjahren ausländischen Beobachtern die intensiven Bauarbeiten aufgefallen waren, lautete die offizielle Erklärung der Nazis, man habe in der Gegend Dinosaurierknochen entdeckt», erklärt Damian Kadlubiski.

Der 38-jährige Betriebswirt hat mit Strukturfördergeldern diverse touristische Programme aufgegleist. So hat er etwa als Leiter eines beruflichen Integrationsprogramms von Häftlingen damit begonnen, die von der Natur überwucherten Bunkeranlagen zugänglich zu machen. Mit seiner Agentur Discover Lubuskie bietet er Gästen massgeschneiderte Entdeckungstouren durch den Untergrund an, die wahlweise an Streifzüge durch antike Tempelanlagen erinnern, aber auch allerlei gespenstige Erlebnisse bereithalten, etwa den Besuch des sogenannten «Hitler-Bunkers», in dem der Diktator kurz vor dem Blitzkrieg gegen Polen bekannt gegeben hatte, das Bauprojekt zu stoppen.

Als weiteres – staatlich unterstütztes – Projekt unterhält Kadlubiski eine Offroad-Fahrzeug-Flotte, bestehend aus sechs Landrovern, die sich für mehrtägige, geführte Touren buchen lassen. «Es ist durchaus möglich, mit dem eigenen Fahrzeug anzurücken und es mal wirklich ausgiebig einem Belastungstest zu unterziehen», betont Kadlubiski. Auch dafür hat er vorgesorgt und in den vergangenen Jahren das Vertrauen der örtlichen Forstbehörden aufgebaut, die ihm eine Lizenz für das Befahren der Zone erteilten sowie die Bewilligung, unter anderem entlang der Hochstromleitungsmasten mit Baggern und «schwerem Geschütz» eine Offroad-Teststrecke mit fordernden Schikanen anzulegen.

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Apropos schweres Geschütz: Zu Kadlubiskis Netzwerk gehört auch der 24-Stunden-Pannenhilfeunternehmer Radoslaw Kus, eine imposante Erscheinung mit explosivem Charakter, der im Städtchen Skierzyna seiner Passion für Panzer, Amphibien- und Militärfahrzeuge frönt. Für Besucher öffnet er seinen Werkhof, den er zu einem eigenwilligen Militärmuseum umgestaltet hat. Ab 490 Franken kann man bei ihm auch einen Panzer besteigen und eigenhändig durchs Gelände und Flüsse pilotieren oder sich ein massgeschneidertes Arrangement zusammenstellen lassen.

Wer auf gesicherten Wegen wandeln will, besucht das staatliche und mit EU-Geldern geförderte Museum in Pniewo. Dieses vermittelt, gut ausgeleuchtet, einen Eindruck davon, wie man sich den Bunker im Betrieb vorstellen muss. Es gibt Puppen in Naziuniformen, aber auch Räume, in denen der kontextuelle Bogen weiter gefasst wird und dem Besucher mit historischen Bildenr und Grundrissen die mehrere tausend Jahre alte Geschichte der Befestigungstechnik vor Augen geführt wird. Es entspringt wohl der menschlichen Psychologie und Pathologie, dass sich die Reaktion auf potenzielles Eindringen im Errichten von Festungen und Trutzburgen manifestiert, die (wie das Beispiel zeigt) betonarmiert in akkurat aus dem Boden gestampfter Paranoia enden kann.

Am südlichsten Punkt des Bunkersystems bieten Gastgeberin Beata Studzinska und ihr Ehemann einen etwas anderen Zugang zur Geschichte. Auf dem privat betriebenen Bunker-Museumsareal feierte die Alternativszene in den Achtzigerjahren legendäre,polenweit bekannte Partys. Mit viel Herzblut vermittelt Studzinska hier einen Einblick in ein beeindruckendes Stück polnischer Zeit- und Kulturgeschichte. Auf geweisselten Tunnelwänden finden sich unzählige Graffiti: vom einfachen Gekritzel und primitiv sexistischen Wandspruch in Fäkalsprache über ambitionierte Stencil-Art bis hin zu originellen Grossformatarbeiten und politischen Statements.

Für Freunde monströser – von Menschenhand geschaffener – Inszenierungen wartet Lubuskie neben den Bunkern übrigens auch mit der angeblich höchsten Jesus-Statue der Welt auf, die am Ende eines Kreuzweges mit stoischem Blick über einen Tesco-Supermarkt hinweg nach Westen blickt und nicht von ungefähr mit dem Hintern nach Russland weist, zumal die Sowjetunion während des Kalten Kriegs vor allem als rücksichtslos destruktive Besatzungsmacht in Erinnerung blieb. Seit dem Mittelalter zur Mark Brandenburg gehörig, orientierte sich die Region schon immer Richtung Westen. Davon zeugen auch die Städte, die, einst von jüdischen, protestantischen und katholischen Einflüssen geprägt, allesamt auch deutsche Namen tragen.

Ob als kurzer Abstecher von Berlin aus oder als mehrtägiger Aufenthalt: Reisende, die mal etwas Neues kennenlernen und den Horizont erweitern wollen, sollten sich Lubuskie mit seinen gastfreundlichen Einwohnern und zahlreichen Superlativen nicht entgehen lassen. Einen aktuellen Anlass zu einer Entdeckungstour bietet am ersten Augustwochenende auch das Woodstock Festival in Kostrzyn, eines der grössten Open-Air-Festivals Europas; erwartet werden rund 750 000 Besucher.

Leserangebot
Für Cigar-Leser bietet Damian Kadlubiski eine massgeschneiderte, dreitägige Offroad-Tour an. Mit persönlichem Guide im gemieteten oder eigenen Offroader unterwegs, gibt es mit dem Ostwall die grösste Bunkeranlage Europas zu entdecken. Übernachtungen in Guesthouses und Verpflegung sind inklusive. Ebenso ein Shuttleservice von Berlin (alle Flughäfen oder Hauptbahnhof). Optional (gegen Aufpreis) möglich sind auch Panzer-Touren zum Selberfahren (ab 490 Franken pro Stunde), Offroad-Kurse, Fisch- und Jagdpatente, Kanu- und Velo-Touren oder Paintball.

Preise (pro Person)
Im Miet-Land-Rover mit Fahrer: CHF 980.– (exkl. Flug)
Im Miet-Land-Rover ohne Fahrer: CHF 700.– (exkl. Flug)
Im Eignerfahrzeug: CHF 500.– (exkl. Flug)

Discover Lubuskie
Damian Kadlubiski
+48 697 087 233
info@discoverlubuskie.com
www.discoverlubuskie.com