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Cigar 3/21

Aufsteiger mit Tiefgang

Interview: Gabriela Greess Fotos: Alex Teuscher
Marc Niehaus wandelte sich vom buddhistischen Mönch zum Zigarrenproduzent. Mit seiner Marke Vegas de Santiago verbindet der Westschweizer nachhaltiges Gewinnstreben mit bewusster Lebensfreude.
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Sie praktizieren eine moderne Form des Zen-Buddhismus. Wie hielten Sie Ihre Community das letzte Jahr bei Laune?
Marc Niehaus: Auf den Social-Media-Kanälen versuchte ich mich an einem philosophischen Austausch zum Thema Genuss. Mit Erfolg. Denn wer weiss schon so genau, was der viel strapazierte griechische Philosoph Epikur wirklich wollte? Die Erkenntnisse aus der Antike erschienen uns plötzlich aktuell wie nie. Viele Aficionados wagten einen intensiven Blick auf ihr tatsächliches Empfinden – der Beginn einer neuen Reise zu sich selbst. Meine Zigarren der Vegas-de-San­tiago-Linie D8 bescherten uns dabei neue Geschmackserlebnisse.

Wie reagieren Sie, wenn eine schlecht gerollte Zigarre zum Spielverderber wird?
Dann bedauere ich, dass die wichtigste Mission in meinem Job nicht erfüllt wurde: dem Genussraucher eine Zeitspanne voller Freude zu schenken, fern von jedem Alltagsärger. Aber ich bin ­keinesfalls wütend, dass da jemand in der Fabrik in San José nicht sorgfältig genug gearbeitet hat.

Wie lautet Ihre Zwischenbilanz zur Covid-19-Pandemie?
Bei Vegas de Santiago überwiegen bislang eindeutig die Vorteile. In mehreren Ländern unseres europäischen Markts füllen wir jetzt die leeren Regale, die durch coronabedingte Ausfälle der Kubaner und Top-Produzenten anderer Länder entstanden. Es gab einen sprunghaften Anstieg bei einigen Kundenbestellungen – von zuvor 200 auf aktuell 2000 Kisten.

Zigarren aus Costa Rica galten lange als Exoten. Anderswo zu produzieren, wäre wohl einfacher.
Ich wurde mehrmals dazu eingeladen, meine Zigarren in anderen Ländern, ­etwa in Nicaragua, zu produzieren. Dort sei es kostengünstiger, die Produktionsbedingungen seien besser. Diese Argumente sind für mich indes nicht ausschlaggebend. Ich fühle mich mit Costa Rica genauso verbunden wie mit der Familie Guzmán. Das Bündnis zwischen uns hat sich über 25 Jahre entwickelt. Die Zigarren von Vegas de Santiago werden aus Top-Tabaken gerollt, darunter solche von Plantagen in Ecuador. Unser Senior-Partner Olman León Guzmán verbringt dort zwei Wochen pro Monat auf den Feldern, er ist zudem ein Meister der Fermentation. Sein Sohn Andrés wiederum managt die Fabrik. Exzellentes Know-how aus Kuba brachte uns Don Luis Santana Llamas, der ehemalige Produktionschef von H. Upmann. Costa Rica gilt zudem als die Schweiz Mittelamerikas, unsere Logistik hat europäisches Niveau.

Welche sind Ihre nächsten Projekte?
Wir versuchen, neue Märkte zu erschliessen. Dabei fokussiere ich auf die USA genauso wie auf Russland. In Europa sind es Andorra und Spanien. Weiter konzentriere ich mich auf die Entwicklung einer neuen limitierten Zigarre. Das bereitet mir grosse Freude.

Wie steht es um den Tabak in Costa Rica?
Historisch gesehen war Costa Rica eines der ersten Länder Mittelamerikas, das grosse Mengen an Tabak an die einstige Mutterkolonie Spanien lieferte. Bedingt durch konstanten Klimawandel haben wir heute nur noch wenige ertragreiche Anbaugebiete wie in Pérez Zeledón. Wir konzentrieren uns heute auf Blends mit Premium-Tabaken aus den besten Anbaugebieten Mittel- und Südamerikas.

Welche sind derzeit Ihre grössten Herausforderungen?
Das sind sicherlich die covidbedingte Fluktuation bei unserem Fabrikpersonal und der schleppende Nachschub von hochwertigen Holzkisten aus Nicaragua. Weiter ist die Liquidität ein Thema. Bei vielen Investitionen müssen wir eine Vorleistung bringen, auf der anderen Seite verzeichnen wir heute öfter als früher unpünktliche Zahlungseingänge, insbesondere auch von Tabakgeschäften, darunter leidet der Cashflow.

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Hilft Ihnen da Ihre Erfahrung als buddhistischer Mönch?
Tatsächlich lernte ich, meine innere Ruhe zu pflegen. Das gelingt mir vor allem mit Zen-Meditation, die ich jeden Morgen praktiziere. So kann ich akute Probleme in reine Fakten verwandeln. Auch eine Zigarre ist für mich ein wunder­bares Mittel, um eine hektische Zeit zu stoppen und mich aufs Wesentliche zu besinnen.

Zigarrenproduzent sowie Yoga- und Meditationslehrer. Beisst sich das nicht?
Im Gegenteil. Das Zigarrenbusiness zeichnet sich durch Toleranz aus und durch ein wohltuendes Gentlemen’s Agreement. Ich setze auf nachhaltige Ge­genentwürfe zum Turbo-Kapitalismus. Als symbolisches Zeichen überrascht jede meiner Chaman-­Zigarrenkisten mit dem Weisheitsspruch eines Schamanen. Denn die nutzten bereits in Urzeiten den Tabak als spirituelles Medium. Für die Indígenas war Rauchen in der Gruppe quasi ein heiliges Ritual; sie glaubten, Tabak stärke das Herz und beruhige.

Was ist Ihr Beitrag, um auf den fortschreitenden Klimawandel zu reagieren?
Neue umweltfreundliche Konzepte in Sachen Verpackung. Warum nicht vermehrt auf Holzkisten verzichten und – dem Billig-Image zum Trotz – vor allem in Zellophan gepackte Zigarren anbieten? In der Schweiz praktiziere ich das bereits mit Erfolg. Weiter hatte ich die Geschäftsidee, wertvollen Resttabak aus der Premium-Longfiller-Produktion im Aging Room aufzubewahren. So kreierte ich ökologisch korrekt meine «Gran Reservas» Vegas de Santiago.

Gibts eigentlich eine spezielle Strategie für den Heimmarkt?
Die Schweiz ist schwierig, denn hier dominieren traditionell kubanische Zigarren. Doch wir sind überzeugt, dass Vegas de Santiago sehr gute Alternativen zu den Habanos anbieten kann. Emotional gesehen ist die Schweiz für mich besonders wichtig. Vielleicht setze ich hier deswegen auf exklusive Besonderheiten? Etwa die Vegas de Santiago Triple XL, eine zweifach lange Toro, sowie die Vegas de Santiago Lanceros. Eine lange Zigarre, die sehr kompliziert zu rollen ist.

Sie sind Schweizer, haben deutsche Eltern und leben hoch über dem Genfersee in einem kleinen Haus, vor dem Tibet-­Gebetsfahnen wehen.
Ja, ich habe wohl mehrere Seelen in meiner Brust. Als ich einst mit Typhus-Fieber bei den Mönchen Thailands im Delirium lag, da rettete mich ein inneres Bild: Die Sehnsucht nach Käsefondue gab mir einen Kick und es ging wieder aufwärts. Da wurde mir schlagartig klar, dass es die richtige Entscheidung gewesen war, als ich mit 20 Jahren den Schweizer Pass beantragte. Zu meinem 60. Geburtstag mache ich mich auf den Weg nach Nepal, um den Grossen Himalaya Trail zu bezwingen. Dafür organisiere ich ein Sabbatical von vier Monaten. Für mich ist erfüllte Zeit die wertvollste Währung im Leben. Ich nehme sie mir.

Welcher Zeitmesser passt im Uhrenland Schweiz am besten zu Ihnen?
Natürlich eine Kuckucksuhr, wenn sie exakt geeicht ist. Denn die ist der provokative Paukenschlag im Orchester all der diskret vor sich hin tickenden Zeitmesser. Ich stehe als Non-Konformist zu einsamen Entscheidungen. Dennoch bin ich gesellig, meine Familie und das Miteinander beim Zigarrenrauchen geben mir viel Kraft. Die Welt betrachte ich kontemplativ als grosses Ganzes: ein Universum, in dem wir alle respektvoll miteinander verbunden sein sollten.

Marc Niehaus (58) wurde in Genf geboren. Nach einem Studium der Betriebswirtschaft verbrachte er vier Jahre in einem buddhistischen Kloster in Thailand und arbeitete anschliessend als Lehrer mit sozial benachteiligten Kindern. 2010 folgte er dem Ruf seines deutschen Vaters und ging nach Costa Rica, wo er in dessen Manufaktur Vegas de Santiago einstieg. Rudy Niehaus Senior hatte diese seit 1998 gemeinsam mit der Familie Guzmán aufgebaut. Diese ist bis heute für das operationelle Tabakgeschäft verantwortlich. Als späterer Partner und International Sales Manager organisierte Niehaus die Umstrukturierung der Marke Vegas de Santiago zur Boutique Premiumzigarre. 2017 wurde die Marke anlässlich der Intertabac in Dortmund mit dem Titel Best Brand Costa Rica ausgezeichnet. Sie besteht aus sieben Linien. Die Schweiz ist nach Deutschland und Frankreich der drittgrösste Absatzmarkt für Vegas de Santiago.

cigars-vegasantiago.biz