Big Smoke
Eine Hommage an den Genuss
Wer am Anfang steht, wählt keinen Beruf, mit dem es zu Ende geht, dachte sich Albert Gjukaj. Er wollte damals Schuhmacher werden, sah aber, dass es ums Handwerk nicht zum Besten stand: Im Lauf der Jahre waren Werkstätten verschwunden und Altmeister in Rente gegangen, ohne ihr Wissen weiterzugeben – der Nachwuchs fehlte, aber auch der Bedarf an handgefertigten Schuhen. «Übrig blieben kleine Reparaturen, orthopädische Korrekturen, oft in Kombination mit Schlüsselservice», erinnert sich Gjukaj. «Das interessierte mich nicht.» So wurde er Automechaniker. Seinen ersten Lehrlingslohn investierte er in einen Air Jordan XV von Nike. «Eine Ikone unter den Basketballschuhen», sagt Gjukaj. Doch alsbald besann er sich auf ein Stilvorbild zurück, das ihn seit Kindheit begleitete: der Gentleman. «Mein Grossvater war einer», sagt der 37-Jährige. «Er trug stets feine Stoffe, hochwertige Lederschuhe und im Mund die Zigarre. Er war der Exot in unserer Familie, und er hat mich geprägt.»
So fand auch der Enkel früh Gefallen an klassischen Herrenschuhen. Irgendwann kam der Moment, da Gjukaj den Dingen auf den Grund gehen wollte – und einen Schuh entzweischnitt, um den Aufbau zu studieren. «Da packte es mich», sagt er. In seinen Zwanzigern ging er nach Zürich, absolvierte Praktika in kleinen Schuhmachereien. «Die Grundlagen lernte ich schnell», so Gjukaj, «ich merkte aber bald: Das reicht mir nicht.» Gjukaj reiste in die USA und liess sich in Unterbau, Besohlung und Rahmennähen unterrichten. In London zeigten ihm die Profis der Patinapflege und -gestaltung ihr Metier, zu dem auch das Lederfärben gehört. «Ich erhielt überall wertvolle Einblicke», sagt Gjukaj, «angeeignet habe ich mir mein Handwerk jedoch weitgehend selbst – mithilfe von Tutorials, Video-Chats und unzähligen Experimenten.»
Handarbeit von A bis Z
Übung macht den Meister, und als solcher wird Gjukaj heute geschätzt. Und geehrt: An den europäischen Meisterschaften für Schuhreparaturen holte er 2020 Bronze, heuer Silber. Nachdem Gjukaj 15 Jahre lang kleine Schuhmachereien in Zürich und Luzern geführt hatte, eröffnete er Ende 2019 mit Leo Grüter, einem ehemaligen Kunden, an der Luzerner Pilatusstrasse sein Lokal Mr. Dapper. Es ist in seiner Aufmachung der altehrwürdigen Londoner Schneiderei Huntsman nachempfunden und vereint Werkstatt und Laden unter einem Dach. Kunden aus aller Welt schicken Gjukaj ihre edlen Treter, damit er sie wieder auf Vordermann bringt. «Diese hier gehen zurück nach Mexiko», sagt der Schuhmacher mit Blick auf ein Paar Lederschuhe, die er komplett revidiert hat. Heisst: den Unterbau erneuert, die Korkeinlage ersetzt, neue Ledersohlen angefertigt, den Rahmen frisch vernäht. Die Rahmennähmaschine, mit der Gjukaj arbeitet, stammt aus den USA und hat Baujahr 1947. «Wir sind die Einzigen in der Schweiz, die so eine Komplettrevision anbieten», erklärt Gjukaj. Better than new – besser als neu, lautet das Credo von Mr. Dapper, zu Deutsch «Herr Adrett», wie man den Luzerner Schuhmacher in der Szene nennt. «Ich lernte früh, Dingen Sorge zu tragen, um mich lange daran zu erfreuen», sagt er. «Der Gedanke, hochwertige Schuhe zu erhalten, gefiel mir daher noch besser als die Idee, neue anzufertigen.»
Mitunter repariert Gjukaj gar Exemplare aus den Sechzigern. «Schuhe können ein Leben lang halten», sagt er, «das setzt aber nicht nur Pflege, sondern auch eine sorgfältige Verarbeitung voraus.» Bei Billigschuhen, weiss der Profi, sind grössere Reparaturen kaum möglich. Schaft und Sohle sind nicht vernäht, sondern verklebt, das Material – mangelhaftes Leder, Karton und Kunststoff – nicht robust genug, um daran Hand anzulegen. «Da lässt sich keine abgetretene Sohle entfernen, ohne dass der ganze Schuh kaputtgeht», so Gjukaj. Aber auch sogenannte Edelmarken seien kein Garant für Qualität, sagt der Schuhmacher und nimmt ein zerlegtes Exemplar einer Luxusmarke zur Hand: Die von aussen unsichtbaren Zwischenräume im Schaft wurden mit Pappe ausgekleidet, die das dünne Leder robuster wirken lässt, die Einlage zwischen Schaft und Sohle ist aus Gummi statt Kork. «Kork lässt den Fuss atmen und passt sich seiner Form an», sagt Gjukaj. «Eine Einlage aus Gummi hingegen begünstigt Feuchtigkeit und eine schlechte Passform.» Damit nicht genug: Bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dass die «Naht» auf dem Schuhrahmen oben und unten an unterschiedlichen Stellen verläuft. «Was hier als rahmengenäht verkauft wurde», sagt Gjukaj, «hat man in Wahrheit einfach zusammengeklebt – was vorgetäuschte Nähte verschleiern sollen.»
«Aber Achtung!»
Qualität hat ihren Preis. Auf die Frage, wie hoch der ist, nimmt der Schuhmacher einen rahmengenähten Kalbslederschuh aus dem Regal. Er stammt aus dem Hause Carmina, einer von vier Marken, die Mr. Dapper im Bereich Konfektionsschuhe führt. Seit 1866 fertigt die Manufaktur auf Mallorca Schuhe. Bei Mr. Dapper gibt es sie ab 430 Franken. «Sie sind von A bis Z handgefertigt», sagt Gjukaj. «Davon habe ich mich vor Ort überzeugt.» Ab 1500 Franken bietet Gjukaj auch Massschuhe an. «Aber Achtung!», sagt er und verwirft die Hände, auch mit diesem Prädikat werde Schindluder betrieben: «Viele Anbieter, die damit werben, arbeiten in der Tat einfach mit unterschiedlichen Schuhbreiten – und schauen dann, welche am besten zum Fuss des Kunden passt.» Gjukaj verfährt anders: Er lässt einen auf den Fussabdruck abgestimmten Erstschuh anfertigen, den der Kunde probeträgt. «Mithilfe des Probeschuhs sammeln wir Informationen zu Passform, potenziellen Druckstellen oder der Materialbelastung», sagt Gjukaj. «Dann geht der Schuh zurück in die Manufaktur, in der Anpassungen und der Feinschliff vorgenommen werden.»
Manchmal soll der Lieblingsschuh ein Unikat sein. «Der hier war vorher braun», sagt Gjukaj und zeigt auf einen Lederschuh, dessen Oberfläche in unterschiedlichen Grüntönen verläuft: «Die Herausforderung besteht darin, einen regelmässigen Farbverlauf hinzukriegen. Jetzt kann man sagen: Das ist der einzige Schuh seiner Art, und zwar weltweit.» Es gibt auch andere Varianten, einen Schuh zu personalisieren: Mit einer Metallspitze, beispielsweise, oder Initialen, die Gjukaj an der Sohle anbringt. Seine eigenen Schuhe hegt und pflegt der Profi nach Grossvaters Manier: sonntags auf dem Balkon, mit Zigarre im Mund und einem Glas Whisky dazu. «Ich geniesse dieses Ritual, es verbindet gleich drei meiner Leidenschaften», lacht Gjukaj, «und sie alle rühren aus meiner Vorliebe für Naturprodukte und altehrwürdige Handwerkskunst.»
Alles für den Gentleman
Hinter Mr. Dapper stehen Schuhmacher Albert Gjukaj und sein Geschäftspartner Leo Grüter. Mr. Dapper vereint Werkstatt und Laden und bietet Reparaturen, Komplettrevision und Personalisierung klassischer Damen- und Herrenschuhe sowie Beratung zu Pflege, rahmengenähten und Massschuhen an. Im Store finden Kunden eine exklusive Auswahl an klassischen Herrenschuhen aus Spanien und England – rahmengenäht und handgemacht. Der Neuzugang im Sortiment sind ebenfalls von Hand gefertigte Leder-Sneakers, die Mr. Dapper unter eigenem Label von einer Manufaktur in Neapel herstellen lässt. Das Angebot im Geschäft runden Herren-Accessoires wie Spazierstöcke, Schirme, Hosenträger, Gürtel oder Socken von traditionellen Herstellern ab.
Mr. Dapper
Pilatusstrasse 14
6003 Luzern
041 210 20 21
mrdapper.shoes