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Cigar 1/2021

Brennerei mit Benefits

Text: Virgina Nolan Fotos: Jürg Waldmeier
Die Ostschweizer Destillerie Macardo ist eine Erfolgs­geschichte: Innert fünf Jahren avancierte sie zum Stern am Schweizer Spirituosenhimmel. 2015 übernahmen und erweiterten Martina und Andy Bössow das Haus. Dabei dachten sie auch an den Genussraucher.
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Der beste Rum Europas heisst «Señor» und kommt aus dem Thurgau. So befand zumindest die Jury der Rum Trophy 2019, organisiert vom österreichischen Wein- und Gourmetmagazin Falstaff. 2017 hatte besagter Señor bereits mit einer Silbermedaille in der Wine & Spirit Competition in London von sich reden gemacht. Seine jüngste Silberplakette datiert von 2020 und geht auf das Konto der Swiss Gin & Rum Awards. Das Finish durchlief der Señor im Whiskyfass, und dem Gaumen präsentiert er die unverfälschte Aromafülle von Zuckerrohr. Ganz im Gegensatz zu etlichen mit Zuckerkulör versetzten Konkurrenzprodukten, deren plumpe Süsse nichts mit dem vielschichtigen Aromaprofil des ursprünglichen Zuckerrohrdestillats gemein hat.

Geniessen in der Lounge
«El Senõr» stammt aus dem Hause Macardo in Strohwilen, so wie eine Reihe weiterer Spirituosen, die hier in Kleinstmengen produziert werden und mit ihren Erfolgen beweisen, dass es Mostindien mit der internationalen Brennerkonkurrenz aufnehmen kann – auch mit den schottischen Highlands.

Hinter Macardo stehen Martina und Andy Bössow. 2015 übernahm das Unternehmerpaar die Destillerie, die zwei Freunde im Jahr 2007 gegründet und nebenberuflich geführt hatten. Seither blieb hier kein Stein auf dem anderen: Unweit des alten Standorts in einer ehemaligen Käserei erstrahlt die Destillerie heute in neuem Glanz – erweitert um Bed & Breakfast, Zigarrenlounge, Bar, Walk-in-Shop und Event-Räume, allesamt untergebracht im Neubau am Dorfeingang, dessen steil aufragende Dachfirste mit der Silhouette der Churfirsten am Horizont korrespondieren. Das benachbarte Gebäude, wiederum eine stillgelegte Käserei, beherbergt die Brennerei. Die Macardo-Erlebniswelt, wie die Bössows ihr Gesamtwerk am neuen Standort nennen, feierte im November Eröffnung. Nicht nur Stroh­wilen, auch die Umgebung bietet nichts Vergleichbares zu dem, was den Spirituosenliebhaber und Genussraucher in der Honesty Bar & Cigar Lounge erwartet: ein gut sortierter Humidor mit hochwertigen Rauchwaren, kuratiert vom Kreuzlinger Branchen-Urgestein Urs Portmann, alle hauseigenen Destillate im Offenausschank sowie 50 verschiedene Cocktails, die eine vollautomatisierte Schankstation auf Knopfdruck mixt. Denn Personal ist hier in der Regel keines zugegen, man setzt, wie es der Name der Bar nahelegt, auf Ehrlichkeit. Besucher bedienen sich selbstständig und rechnen ebenso ab.

Unter die Brenner zu gehen, sei eine Bauchentscheidung gewesen, so die Bössows. Strohwilen lag nicht gerade am Weg für den Bündner und seine Zürcher Ehefrau. Die beiden führten in Dubai ein Handelsunternehmen für Hygieneprodukte, als sie 2015 die Nachricht erreichte, dass im Thurgau eine Kleinbrennerei zum Verkauf stehe. Zuvor hatte Andy Bössow in der Rüstungsindustrie Karriere gemacht, seine Frau Martina kommt ursprünglich aus der Hotellerie. Immerhin: Spirituosen waren für die beiden kein neues Thema. «Vielmehr eine alte Leidenschaft», sagt Andy Bössow. «Fachbücher übers Brennen sind seit jeher meine Bettlektüre.» Wann immer Bössow im alten Kontinent weilte, besuchte er Brennerkurse in Deutschland, Österreich und Italien – in der Schweiz gibt es keine Möglichkeit, sich das Handwerk professionell anzueignen. «Es war auch ein Kursleiter und befreundeter Brenner», sagt Bössow, «der mich ermutigte, den Schritt in die Branche zu wagen, und mir den Kontakt zu Bartholomäus Fink vermittelte.»

Von Dubai nach Mostindien
Der Rest ist Geschichte: Mit Fink, dem Brennmeister aus dem Bregenzerwald, fand sich Bössow auf einer Wellenlänge, mit den Gründern von Macardo ebenso, Nach 30 Tagen war die Übernahme in trockenen Tüchern. Fünf Jahre und über 20 Auszeichnungen später ist die Destillerie ein Fixstern am Schweizer Spirituosenhimmel. Fink, der am Brennkessel seine Freiheit einfordere und offen für neue Ideen sei, legte mit seiner Expertise den Grundstein für diese Erfolgsgeschichte, so Andy Bössow: «Ohne ihn hätten wir das nie geschafft.» Dauerhaft zurück in die Heimat kamen die Bössows und ihre elfjährigen Zwillinge 2019, pünktlich zum Spatenstich am neuen Standort. «Nur auf die Destillerie zu setzen, hätte wirtschaftlich nicht rentiert», sagt Martina Bössow. «Und so gesellten sich zu einer Leidenschaft zwei weitere: meine Freude an der Hotellerie und Andys Vorliebe für Zigarren.»

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Die 15 Jahre in Dubai, sagt Andy Bössow, hätten ihn Wagemut, aber auch Gelassenheit gelehrt. «In Dubai musst du für einen Franken dreimal härter arbeiten als in der Schweiz.» Im Emirat, das sich innert 50 Jahren vom Beduinenstaat zum Hightech-Hub entwickelt hat, versuchen Unternehmen aus aller Welt ihr Glück. Die Konkurrenz sei riesig und die Regulatorien seien oft undurchsichtig, sagt Bössow: «Wer etwas erreichen will, muss ins kalte Wasser springen. Diese Goldgräberstimmung war irrsinnig, aber auf lange Sicht laugt sie einen aus. Ich bin froh, wieder in der Heimat zu sein, runterzukommen. Das war mein Plan, wenn es auf die 50 zugeht.»

Ein Faible für Hightech
Eine ruhige Kugel schieben die Bössows indes nicht. Davon zeugt etwa ihre Innovationsfreude, begonnen beim Energiekonzept der Destillerie, deren Produktion sich nach dem Wetter richtet. «Maischen kochen wir auf, wenn die Solaranlage viel Strom liefert», sagt Andy Bössow, «und Solarenergie unterstützt wenn möglich auch den Brennprozess in den Destillationsapparaten, die mit Holz aus umliegenden Wäldern befeuert werden.» Die Abwärme aus dem Brennprozess wird gespeichert und für die Regeneration der Erdsonde sowie zum Aufheizen der Maischetanks genutzt. Wasser kommt aus der hauseigenen Quelle, und was nach der Produktion davon übrig bleibt, geht in die Landwirtschaft. Ertüftelt haben das Energie­konzept drei Pensionäre, alle ehemalige Unternehmer, die auf der Baustelle das Zepter innehatten. «Auch das lehrte mich die arabische Welt», sagt Andy Bössow, «das fortgeschrittene Alter mit seinem Erfahrungsschatz ist eine Ressource, kein Stolperstein. Wir täten gut daran, dieses Wissen besser zu nutzen.»

Einzigartig ist auch das vollautomatisierte Fasslager, das Bössow gemeinsam mit der Technischen Hochschule Winterthur entwickelt hat. Hier stapeln sich die Fässer nicht aufeinander, sondern lagern einzeln auf einem Stahl­träger, der mit Sensoren bestückt ist. Diese erfassen Daten zu Fassinhalt, Temperatur und Luftfeuchtigkeit und übermitteln sie via Bluetooth an einen Zentralrechner. «So erfahren wir beispielsweise, wie viel Destillat pro Fass verdunstet, und erhalten genaue Angaben zum Mikroklima», sagt Andy Bössow. «Das alles soll langfristig helfen, für jede Spirituose die optimalen Reifebedingungen zu ermitteln.»

Zu den Flaggschiffen des Hauses gehört auch seine Whisky-Linie, die derzeit sechs Premiumdestillate umfasst. Besonders angetan zeigten sich Juroren­teams vom «Thurbon», dem Thurgauer Pendant zum Bourbon. Gebrannt wird er mit Roggen, Gerste und Mais aus heimischer Scholle. «Wir maischen alle drei Getreidesorten gemeinsam», erklärt Andy Bössow, «und wie in Kentucky, der Heimat des Bourbon, kommt auch unser Quellwasser aus kalkhaltigen Böden.» Für den Feinschliff geht es anschliessend für mindestens fünf Jahre in neue, leicht angekohlte Fässer aus amerikanischer Weisseiche. Der «Thurbon» lockt in der Nase mit frisch-fruchtigem Bouquet, dem Gaumen beschert er weiche und kraftvolle, leicht an Vanille, Karamell und getrocknete Früchte erinnernde Noten. Alles in allem ein Thurgauer also, der sich nicht nur sehen lassen kann, sondern eben auch riechen und schmecken.

Zum Rauchen und Trinken
Die Brennerei Macardo beherbergt nicht zuletzt auch eine der schönsten Raucherlounges im Kanton Thurgau. Die Honesty Bar & Cigar Lounge bietet Platz für rund 30 Personen sowie einen postkartenreifen Ausblick in die Alpen. Aficionados erwartet hier eine feine, vom Kreuzlinger Branchenprofi Urs Portmann zusammengestellte Auswahl an hochwertigen Rauchwaren – hauptsächlich aus Kuba, aus Nicaragua und aus der Dominikanischen Republik, vertreten sind jedoch auch Fabrikate aus Mexiko, aus Honduras und aus der Schweiz. Zum Trinken gibt es Softdrinks, Cocktails sowie selbstverständlich hauseigene Destillate. Die Gäste bedienen sich in der Honesty Bar & Cigar Lounge selbstständig und rechnen ebenso ab. Bed & Breakfast- sowie Event-Gäste haben direkten Zugang zu Lounge und Bar, Besucher von ausserhalb erhalten über das Check-in-Terminal Einlass.
macardo.ch > Honesty Bar & Cigar Lounge

Zum Übernachten
Macardo wartet nicht nur mit edlen Destillaten und Rauchgenüssen auf, in der Destillerie logiert es sich auch komfortabel. Das Premium Bed & Breakfast bietet zwei Apartments und zehn geräumige, geschmackvoll eingerichtete Zimmer mit Weitblick. In Zeiten des Gastronomie-Lockdowns bekommen die Gäste hier nicht nur Frühstück, sondern auf Wunsch auch Abendessen von Catering-Partnern aus der Umgebung.
macardo.ch > Bed & Breakfast