Der rote Ambassador | Cigar Newsletter abonnieren
Cigar 2/2018

Der rote Ambassador

Text: Roland Schäfli Fotos: Heritage Auctions
Wie signalisiert man im Wilden Westen einem Analphabeten, wo er Zigarren bekommt? Mit einem Zigarrenindianer.
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Die Experten des Auktionshauses Heritage waren auf dem Holzweg. Sie hatten den Wert des Männchens auf 20000 Dollar geschätzt. Doch die Americana-Sammler waren auf dem Kriegspfad. Die Gebote schnellten schneller hoch als ein Pfeil vom Flitzebogen eines Apachen. Äusserlich schien man es bei der knapp mannshohen Figur, deren Holz furchig geworden war, nicht mit einem Kunstwerk zu tun zu haben. Dem namenlosen Vertreter des amerikanischen Ureinwohners ist das Gesicht braun angemalt worden, im Gürtel steckt das von weissen Siedlern gefürchtete Skalpmesser, um die Hüften ist eine Art Pelz geschlungen – den Tierkopf noch dran. Das wichtigste Detail allerdings trägt er vor sich her: die Zigarrenkiste. Als der Hammer fiel, hatte der Heide seinem Besitzer ein Heidengeld eingebracht: 150000 harte Dollars. Seit diesem Rekordpreis durchstöbern die Antiquitätenhändler fieberhaft ihre Dachböden. Doch wie alle guten Indianer hinterliess auch dieser Stamm keine Spuren.

Blenden wir ein paar Jahrhunderte zurück. Legionen von Einwanderern folgten dem Ruf der Neuen Welt. Nur die Härtesten nahmen die entbehrungsreiche Siedlerarbeit auf sich. Nun sind die Härtesten aber nicht unbedingt die Klügsten: Analphabeten ohne Schulbildung strebten nach dem Glück ohne Abitur. Shopschilder? Fehlanzeige. Zeitungsannoncen? Ebenso. Medien trafen in den Frontier-Städtchen zuletzt ein. Und das Internet, in dem auf den User zugeschnittene Werbung aufpoppt, war noch nicht erfunden. Die Werber mussten sich also etwas einfallen lassen.

Wem der Bart spriesste, der sah sich ganz einfach nach der rot-blau-weissen Säule um – dem Erkennungszeichen der Barbiere. Und wo es nach Tabak duftete, poppten bald Holzindianer auf. Der Zusammenhang: Sir Walter Raleigh hatte den bei den Ureinwohnern entdeckten Tabak nach England gebracht – mit dem «Indian» als Botschafter der Neuen Welt. Und James Fenimore Cooper hatte den «edlen Wilden» in seinen Lederstrumpf-Romanen der Alten Welt bekannt gemacht. Die Schnitzereien erhoben indes keinen Anspruch auf Authentizität. Manchmal legt der Chief sich, wie bei Fenimore, die flache Hand spähend an die Stirn, um Ausschau zu halten – nicht nach Büffeln, sondern nach Kundschaft. So und nicht anders stellte der Europäer sich die ersten Amerikaner vor: mit Federschmuck auf dem nobel geformten Haupt, in einem aus Tabakblättern gefertigten Hemd (!), die Tabakdose in der Hand. Primitiv, ja – aber offenbar mit dem untrüglichen Instinkt dafür gesegnet, was die Muttererde gedeihen lässt.

Einer der ersten hölzernen Botschafter der Tabakpflanzer soll um 1770 in Pennsylvania aufgetaucht sein – die Spurensuche der Historiker ist bestenfalls lückenhaft. Jedenfalls wurden die Häuptlinge des Tobaccos zu den allerersten Werbeikonen. In den neu besiedelten Gebieten wurde die Idee ab 1850 populär. Weil die Pioniere allerdings seltener mit den Ansässigen die Friedenspfeife rauchten und die Landnahme öfters blutig verlief, erhielt der Stamm noch ein Kriegsbeil in die freie Hand.

Da die Nachfrage nach Galionsfiguren zurückging, sobald die Neuankömmlinge von Bord waren, und den europäischen Handwerkern die Brotlosigkeit drohte, kamen derartige Auf- träge für handgeschnitzte Einzelstücke gerade recht. Und weil die Kunsthandwerker noch nie persönlich einem Roten begegnet waren, liessen sie ihrer Fantasie freien Lauf. In frühen Versionen porträtierten sie den Indianer mit den Merkmalen des amerikanischen Sklaven – nur eben mit brauner statt schwarzer Haut (diese Exemplare nennt man «Virginians»). Als sich ab 1890 expandierende Firmen in den weiten Landstrichen niederliessen, erkannten sie geschäftstüchtig: Der Holzhäuptling war zum Brand geworden. Nun gossen die Tabakpflanzer ihn in Metall, vorzugsweise in Nickel und Zink.

Doch der Werbebotschafter teilte das Schicksal seiner menschlichen Vorbilder: Er begann zu verschwinden – was wiederum der Grund dafür ist, dass ein Exemplar heute ein Gewehr kostet. Der Rekord liegt bei einer halben Million Dollar. Die Schnitzer bekamen damals gerade mal 100 Dollar. Eine Theorie für das Aussterben des Zigarrenindianers besagt, dass die Händler den Platz für ihre Gemüse- und Früchtestände beanspruchten. Und dass mit Law and Order neue Regeln zur Gehsteigbenutzung Einzug in der Zivilisation hielten. Sicher ist: Im Ersten Weltkrieg wurden zahllose Stücke als Brennholz verheizt. Ihre eisernen Brüder landeten im Schmelztiegel der Rüstungsindustrie. Zu Kriegswerkzeug umgeschmolzen. Holzstatuen kamen erst ab 1940 wirklich in Mode – als die Kettensäge erhältlich war. Schon 1944 formierte sich eine Vereinigung für die Erhaltung des Cigar Store Indians.

Wer heute in den Staaten den Highways folgt, dem wird auffallen, dass die Statue gerade ihr grosses Comeback feiert. Als Carbon Copy ist der Zigarrenindianer überall präsent – und den American Natives ein Dorn im Auge. Sie sehen darin eine Karikatur mit Hakennase: Unverhohlener Rassismus sei das, ein wahrhaft holzschnittartiger Stereotyp! Fakt ist: Für den Indianer hat der Tabak eine spirituelle Bedeutung. Da will er sich nicht für kommerzielle Zwecke einspannen lassen. In San Diego, wo 20 000 Indianer ansässig sind, will die Kommission für Menschenrechte die Holzköpfe deshalb stoppen. Ganz ironiefrei ist das nicht: In den USA hat der Holzindianer eben jene Geschäfte überlebt, vor denen er Wache stehen sollte: die Tobacco-Shops.