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Cigar 4/2019

«DRAMEN SIND MEIN SCHREIBFUTTER»

Interview und Fotos: Gabriela Greess
Leonardo Padura gilt derzeit als Kubas erfolgreichster Schriftsteller. Mit Cigar sprach er über Kuba, die Schweiz und die Freiheit, der Realität mit imaginären Mitteln eine neue Dimension zu geben.
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Als Barack Obama überraschend Kuba besuchte, schien die Zeit endlich reif für die lang ersehnte US-Friedenspfeife. Mit wem würden Sie jetzt – in politisch frostigen Trump-Zeiten – Ihre persönliche Friedenszigarre rauchen?
Leonardo Padura: Als Privatmensch mit meiner geliebten Ehefrau. Mit ihr sitze ich Tag für Tag an einem Tisch. Manch­ mal geraten wir aneinander – und da hilft präventiv sicher eine diplomatische Friedenszigarre.

Und ausserhalb des Privatlebens?
Ich war nie in einer Partei. Meine Mis­sion als Schriftsteller hat nichts mit Poli­tik zu tun, in der bei Kamingesprächen die Kalküle der Macht auch mal bei einer guten Zigarre verhandelt werden. Mein Geschäft ist die Literatur; und in dieser hat ein politischer Diskurs keinen Platz. Ich schreibe Romane über die soziale Realität von Kuba. Im Fokus stehen dabei menschliche Schicksale. Ich analysiere, wie sich im Fadenkreuz historisch einschneidender Ereignisse persönliche Dramen zuspitzen. Dabei ist die Fiktion mein ständiger Begleiter. Als Schriftsteller habe ich die Freiheit, der Realität meines Landes mit imaginären Mitteln eine neue spannende Dimension zu geben.

Dazu passt Ihr bevorzugtes Genre des Kriminalromans. Ein Beispiel aus Ihrem neuen Buch «Die Durchlässigkeit der Zeit»?
Der Erzählstrang reicht vom 21. Jahr­hundert bis in die Zeit der Kreuzzüge. Als fiktives Element diente mir die mit­telalterliche Skulptur einer schwarzen Madonna mit heilenden Kräften, die auf abenteuerlichen Wegen von Katalonien nach Kuba gelangte. Privatdetektiv Ma­rio Conde, Protagonist meiner Romane, ist hier mit einem Fall konfrontiert, der ihn genauso mit der kubanischen Revo­lution wie auch den historischen Kriegs­zügen konfrontiert. Dabei setzt er auf die Kooperation mit seinem ehemaligen Kripochef. Dem hilft bei der Lösung kniffliger Fragen stets eine gute Zigarre.

Wann rauchen Sie eine Zigarre?
Am liebsten daheim in Kuba – umgeben von Freunden nach einem guten Essen. Manchmal auch unterwegs auf Reisen in Miami oder der Dominikanischen Republik. Für mich muss eine Zigarre perfekt ziehen, sie darf keineswegs zu trocken sein. Als Kubaner bin ich sehr anspruchsvoll, was die Qualität einer Zigarre betrifft. Ich rauche leichtere Habanos, zu meinen Favoriten gehören Romeo y Julieta. Meist bekomme ich gu­te Zigarren geschenkt. Selbst kaufe ich sie nicht, für uns Kubaner sind sie sehr teuer. Puros, Rum und kubanische Mu­sik – das ist für mich ein vollendetes Trio von Genuss. Gewohnheitsmässig rauche ich Zigaretten.

Was verbinden Sie mit der Schweiz, in der Ihr Verlag in Zürich beheimatet ist?
Die kleine Alpenrepublik im Zentrum von Europa hat eine spannende Ge­schichte und durchlebte auch revolu­tionäre Phasen. Ich fühle mich aus­ gesprochen wohl im Tessin. Obwohl die Leute dort Italienisch sprechen, funktio­niert die Mentalität nicht so kreativ­-chaotisch wie in Italien, sondern eher wie ein exaktes Uhrwerk. Letztes Jahr war ich zudem zwei Wochen lang in Lu­zern zu Gast auf einer Schreibwerkstatt.

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Fanden Sie dort die Inspiration für einen neuen Roman?
Mir wurde bewusst, dass ich nicht in einem Umfeld schreiben kann, das zu streng organisiert ist. Es war alles schön in der Schweiz: wunderbare Menschen, Sauberkeit und perfekte Organisation, so wie ich es mir für meine Heimatinsel oft erträume. Doch da kam mir die Er­kenntnis: Ich brauche den Alltag Kubas mit seinen Herausforderungen, um die kreativen Quellen in mir zum Sprudeln zu bringen. Es geht um das mysteriöse Moment. Das erst setzt mir den Stachel ins Fleisch zum Schreiben.

Beschreiben Sie einen solchen Moment.
Es ist nichts, was einem einfach zu­fliegt – wie der reife Apfel von einem Baum zur Erntezeit. Um es mit einem krassen Beispiel auszudrücken: Wenn ein Vater seinen Sohn umarmt, ist das ein gesundes Stück Normalität. Wenn er ihn umbringt, ist das abscheuliche Ab­normität. Als Romanschriftsteller brau­che ich Abweichungen von der Norm – in ihren schönsten absurden Spielarten. Dramen sind mein Schreibfutter. Davon bietet mir mein Viertel – ja, ganz Havan­na – mehr als genug. Für Recherchen reise ich mittlerweile in viele Länder. Aber wirklich authentisch schreiben kann ich nur daheim auf Kuba.

Leonardo Padura, geboren 1955, lebt und arbeitet in Havanna. Er ist einer der meist gelesenen kubanischen Autoren. Nach einem Literaturstudium arbeitete er zunächst als Journalist. International bekannt machte ihn die Krimireihe das «Havanna- Quartett». Protagonist ist ein Privatdetektiv, der als sympathischer Antiheld durch die kubanische Wirtschaftskrise der Neunzigerjahre laviert und genauso in der Welt von Kubas Neureichen wie im kriminellen Milieu von Havanna ermittelt. Mit hinter- gründiger Ironie reflektiert Padura die Stimmung im Kuba der «speziellen Periode». Mit seismografischem Gespür zeichnet er das Befinden seiner Landsleute auf und macht daraus ein literarisches Gesellschaftsepos. Die Geschichte der Tabakinsel mit ihren historischen Verbindungen – vom spanischen Katalonien bis zum einst grossen Bruder der Sowjetunion – wird von Padura durch spannende Einzelschicksale lebendig gemacht. 2012 bekam er den kubanischen Nationalpreis für Literatur; und das, obwohl seine Romane auf der sozialistischen Karibikinsel kaum bekannt sind. Denn ihre Auflage ist verschwindend gering. 2015 wurde er mit dem spanischen Prinzessin-von-Asturien-Preis ausgezeichnet und somit als einer der grössten zeitgenössischen Schriftsteller Lateinamerikas gewürdigt. Paduras jüngstes Werk «Die Durchlässigkeit der Zeit» erschien Anfang 2019 im Schweizer Unionsverlag.

www.unionsverlag.com