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Cigar 2/2021

Eine kleine Untersuchung

Text: Florian Schwab Fotos: Njazi Niovkazi
Seit langem ist es ein heftig diskutiertes Thema unter Zigarren-Liebhabern: Welchen Einfluss hat das Deckblatt auf den Geschmack? Wir sind dieser Frage in einem massgeschneiderten Tasting nachgegangen.
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Von der hellsten Karamellfarbe bis zum dunkelsten, ins Schwarze kippenden Braunton: Zigarren decken ein weites Farbspektrum ab. Dabei stellt das äusserste Blatt, das Deckblatt, die optische und haptische Kontaktstelle zwischen dem Tabakprodukt und seinem Geniesser dar. Wie in der Farbe, so variieren die Deckblätter auch in ihrer Konsistenz. Die einen sind rau wie ein mildes Schleifpapier, andere seidenglatt. Manche glänzen ölig-speckig, andere treten im matten Look auf.

Unerfahrene Raucher neigen dazu, das Deckblatt direkt mit der Stärke einer Zigarre in Verbindung zu bringen: Hell gleich mild, dunkel gleich kräftig. Diese Gleichung stimmt natürlich nicht. Aber auch dem erprobten Geniesser stellt sich irgendwann die Frage: Wie beeinflusst das Deckblatt die Eigenschaften der Zigarre, vor allem den Geschmack?

Bei der Antwort ist die Zigarrenwelt, wie auch sonst, zweigeteilt in Kuba und Nicht-Kuba. Laut kubanischer Lehre ist das Deckblatt ausschliesslich für die Optik verantwortlich, steuert geschmacklich kaum etwas bei. Produzenten aus anderen Ländern halten indes grosse Stücke auf die Kunst, mit verschiedenen Tabaken und vor allem mit der Auswahl des Deckblattes einzigartige aromatische Kreationen zu entwickeln. Sie nennen es Blending. Vom dominikanischen Produzenten Ernesto Pérez Carillo stammt das Bonmot, wonach das Deckblatt gar für 70 Prozent des Geschmacks verantwortlich zeichne.

Es ist ein Thema, über das man nächtelang diskutieren und streiten kann. Oder aber man kann ihm mit einem zielgerichteten Tasting systematisch auf den Grund gehen. Ein natürlicher Startpunkt für eine solche Deckblatt-Untersuchung ist die Zigarre Liberation von Hamlet. Der nicaraguanische Hersteller ist für seine herzhaft-kräftigen Zigarren bekannt. In einem kühnen Akt haben sich die Macher der Liberation entschieden, vorne abgerissene Deckblätter zu verwenden. Das Ergebnis nennt sich shaggy foot. Mit der Folge, dass der Raucher die ersten paar Zentimeter ausschliesslich die Einlage raucht und das rückgelagerte Deckblatt erst nach einigen Minuten Feuer fängt.

1 Hamlet Paredes Liberation Robusto
Im Vergleich zu den vollbemantelten Zigarren aus dem Hause Hamlet ist der Auftakt der Liberation – ohne Deckblatt – bemerkenswert diskret, fast ein­dimensional. Die Einlage aus Hon­­duras- und Nicaragua-Tabak hält etwas Süsse und leichte Bitterstoffe bereit. Sehr dominant treten, wie gesagt auf verhaltenem Niveau, die Noten von trockenem Holz hervor. Seitlich an der Zunge sorgen sie für eine raue Trockenheit, in etwa wie beim Trinken eines mit viel Holz ausgebauten Dry-Sherrys. Erst das Deckblatt (vorliegend aus Ecuador) sorgt für viel zusätzliches aromatisches Volumen: Die Holznoten bleiben zwar präsent,
treten aber etwas in den Hintergrund. Sie werden ausbalanciert durch schöne Kakao-Aromen. Zumindest bei dieser
Zigarre ist der Einfluss des Deckblatts dominant. Ohne dessen schöne Süsse wäre die Liberation ein uninteressanter, gar eher unerfreulicher Geselle.

Zur weiteren Untersuchung wurden paarweise Zigarren mit gleicher oder ähnlicher Einlage, aber unterschiedlichem Deckblatt degustiert. Dass die Einlagen geschmacklich übereinstimmen, wurde durch eine von der besprochenen Hamlet Liberation inspirierte Technik sichergestellt: Vor dem Anzünden kann man mit einem handelsüb­lichen Cutter die ersten paar Zentimeter von Deckblatt und Umblatt entfernen und damit die pure Einlage freilegen.

2 Davidoff 702 No. 2 – Davidoff Signature No. 2
Die 702-Serie wurde aus der Idee geboren, ausgehend von der Signature-Linie ausschliesslich das Deckblatt zu variieren. Die Paarung eignet sich daher perfekt als Versuchsanlage. Zwar wird die 702 nicht mehr hergestellt, vereinzelt sind aber noch Exemplare im Fachhandel erhältlich. Von aussen betrachtet ­fallen die Zigarren ungleich aus: Die 702 ist von einem dunklen Deckblatt eingefasst, während die Signature No. 2 von einem helleren Exemplar umhüllt ist. Beide Male stammt das Deckblatt aus Ecuador, im ersten Falle allerdings von der Sorte Habano, im zweiten von der Sorte Connecticut. Wie Davidoff versichert, ist der Blend der Einlagetabake bei beiden identisch. Das bestätigt sich im Rauch der ersten beiden Zentimeter ohne Deckblatt. Dabei zeigen sich auch diese beiden Zigarren herb-hölzern, wenngleich sich im Vergleich zur zuvor gerauchten Hamlet Liberation eine mildere dominikanische Geschmackswelt auftut. Der Zeitpunkt, an dem das zurückgeschnittene Deckblatt entflammt, entpuppt sich dann als Weggabelung: Die 702 biegt ab in Richtung eines vollaromatischen Erlebnisses mit viel Schokolade, angenehm-herben Bitterstoffen und deutlich pikanten Noten. Demgegenüber spurt das Connecticut-Deckblatt der klassischen Signature No. 2 eine cremige, nussige und deutlich mildere Gangart vor.

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3 AJ Fernandez Enclave Connecticut – AJ Fernandez Enclave
Das gleiche Experiment mit der Enclave von AJ Fernandez. Zusätzlich zum kräftig-herzhaften Stammmodell ist hier kürzlich eine Variante mit Connecticut-Deckblatt aus Ecuador auf den Markt gekommen. Der Anfangsgeschmack ohne Deckblatt zeigt sich bei beiden sehr ähnlich und weist eine grosse Verwandtschaft zur Hamlet Liberation auf: Bevor das Deckblatt dazukommt, ist der Grundcharakter eher eindimensional, trocken-hölzern. In ihrer Variante mit Connecticut-Deckblatt entwickelt die Zigarre nicht die brachial-herzhafte Aromatik des herkömmlichen Modells mit einem Habano-Rosado-Deckblatt aus Ecuador. Sie bleibt diskreter, nimmt stark cremige Noten an. Die feine Süsse erinnert an Süssholz. Erstaunlicherweise zeigt das Connecticut-Deckblatt aber eine Tendenz zu deutlicher Schärfe, die man so in der traditionellen Enclave nicht findet.

4 Plasencia Alma Fuerte Sixto I Hexagono – Plasencia Alma Fuerte Sixto I Hexagono Colorado Claro
Kürzlich hat Plasencia eine neue Variante seiner beliebten Alma Fuerte präsentiert. Im Unterschied zum seit längerem etablierten Modell mit dunklem Nicaragua-Deckblatt kennzeichnet sich diese durch ein etwas helleres Deckblatt aus zehn Jahre gelagertem Colorado-Claro-Tabak. Befreit man nun diese beiden
Zigarren von den ersten Deckblatt-Zentimetern, tritt eine identische Aromatik zutage: sandig-trockene Holztöne mit verhaltener Süsse sowie Bitterstoffen. Auch hier macht das Deckblatt den Unterschied. Die herkömmliche Variante schlägt eher kräftige, komplexe Töne an: viel dunkle Schokolade, etwas Pfefferwürze und interessante Einflüsse von tropischen Früchten wie Maracuja oder Banane. Das neue Modell mit Colorado-Claro-Deckblatt zeigt sich deutlich anders. Weniger Süsse, noch kräftiger, mit deutlich stärkeren Bitter- und Gerbstoff-Aromen aus der Welt der Kräuter.

Zwischenfazit: Deckblätter sind wichtig. Sehr wichtig, sogar.

Wie aber sieht es bei den Deckblättern der Kubaner aus? Anders als bei Produzenten aus anderen Ländern werden hier weder die verwendeten ­Tabaksorten noch die Anbaugebiete ausgewiesen. Bekannt ist lediglich, dass häufig ein Mangel an hochwertigen Deckblättern besteht, was die Produktion insgesamt ausbremst. Farblich sind die kubanischen Zigarren ein Phänomen für sich. So findet man von ein und demselben Modell die unterschiedlichsten Braunschattierungen von relativ hell bis sehr dunkel, manchmal mit etwas Grünstich. Nach dem Rollen werden die Zigarren nach Deckblattfarbe sortiert und in farblich homogene Kisten abgepackt.

Nach dem zuvor beschriebenen System wurden auch zwei kubanische
Zigarren-Paare mit ähnlichem Boxing Date, aber unterschiedlicher Farbschattierung geraucht. Je einmal hell, je einmal dunkel.

5 Cohiba Robustos und Bolivar Royal Coronas
Interessanterweise zeigt sich bei beiden Modellen bereits mit zurückgeschnittenem Deckblatt der berühmte vollmun­dige Kuba-Charakter mit seiner schönen Balance aus Süsse und Bitterstoffen. Etwas Kakao, etwas Holz, etwas Bittermandel und Haselnuss, alles da. Das dominante trockene Holz, das bei den Einlagen aus anderen Ländern ein ständiger Begleiter war, sticht bei den Havannas nicht hervor. Der Moment, in dem dann die Deckblätter Feuer fangen, verändert den Geschmack nicht wahrnehmbar. Auch zwischen den hellen und dunklen Deckblättern des gleichen Modells tun sich keine spürbaren Unterschiede auf. Zwar fällt die hellere der beiden Bolivar Royal Coronas deutlich gegenüber der dunkleren ab. Allerdings völlig unabhängig davon, ob sich das Deckblatt bereits ins Geschehen eingeschaltet hat oder nicht.

Wie lautet nun also das Fazit des Deckblatt-Tastings? Bei kubanischen Zigarren hat das äusserste Blatt tatsächlich überhaupt keinen Einfluss auf den Geschmack. Ausserkubanische Zigarren hingegen schöpfen ihre interessantesten Aromen und ihre Eigenständigkeit tatsächlich zu einem guten Teil aus der Wahl des Deckblatts. Faszinierend wäre es natürlich nun, diese beiden Welten zu verschmelzen. Aber das ist ein ganz anderes Thema.