Big Smoke
Eine Hommage an den Genuss
Sie heissen «Colnago Super Pista», «Masi Prestige» oder «Gios Torino Super Record», und sie stehen für legendäre Rennvelos, die zwischen den späten Sechzigerjahren und den frühen Neunzigerjahren in norditalienischen Veloschmieden gefertigt wurden. Von vielen Modellen existieren nur wenige 1000 Exemplare, teils speziell produziert für professionelle Velorennteams jener Zeit. Unter Sammlern, Freaks und in Radsportkreisen geniessen viele längst Kultstatus. Ihr Anblick ist indes auch für einen Laien faszinierend; Eleganz erklärt sich selbst.
Zusammen mit Njazi Nivokazi betreibt Michael Buchegger seit März im Zürcher Kreis vier die Veloboutique Scampi Cicli, einen winzigen, liebevoll eingerichteten Laden, der auch eine Werkstatt ist. Neben dem Eingang stehen acht italienische Kultrenner, blank geputzt und sauber aneinandergereiht. Gegenüber an der Wand hängen unterschiedliche Velorahmen aus Stahl. Sie warten darauf, mit genau jener Velokurbel und Bremse, jenem Schaltwerk, jenem Sattel und jener Pedale zusammengesetzt zu werden, die der Velobauer in Cambiago, Mailand oder Florenz vor 30 Jahren einst für dieses Modell vorsah.
Etwa zwei Stunden täglich verbringen die beiden Jugendfreunde mit der Suche nach den richtigen Einzelteilen. «Wir finden sie ein bisschen überall, auf Auktionsbörsen und Flohmärkten, bei Sammlern auf der ganzen Welt oder per Zufall in der Garage des Nachbarn», so Nivokazi. Dabei variieren die Preise stark. Schnäppchen sind rar geworden, die Nachfrage steigt und das Angebot ist begrenzt. Viele Prestigemarken entwickelten ihre Fahrräder ständig weiter, was die Modelle eines Jahrgangs schnurstracks zu begehrten Einzelstücken erheben konnte.
Wenn die beiden 30-Jährigen mal in Fahrt kommen, dann sprudeln die technischen Details nur so aus ihnen heraus. Und es sind ebendiese, die den Unterschied machen, zum Beispiel das im Tretlager eingefräste M des «Masi Prestige», die Führung des Bremskabels beim «Pinarello» oder der gelb geprägte Stern auf der Gabel des «Olmo Professionisti». Dazu kommen die – ebenfalls in unterschiedlichen Jahrgängen produzierten – Komponenten wie Bremsen, Pedalen oder Kurbelset, meistens hergestellt von der Firma Campagnolo, die für sich selbst schon Kultstatus beansprucht.
Gegründet wurde das Unternehmen von Tullio Campagnolo. Der Radrennfahrer und Velomechaniker erfand in den Dreissigerjahren den Radschnellspanner und später eine der ersten alltagstauglichen Gestängeschaltungen. Ab den Vierzigerjahren belieferte Campagnolo alle damals relevanten Marken mit Komponenten. Norditalien galt als der wichtigste Produktionsort von professionellen Rennvelos, hergestellt wurden Modelle für die Strasse, die Bahn und fürs Zeitfahren («Time trial»). «Das hier haben sie im Keller des Velodroms Dalmine in der Nähe von Bergamo aus gegraben», sagt Buchegger und zeigt auf ein blau lackiertes «Colnago Super Pista». Es ist ein Bahnrad, also ein Velo mit Starrlauf, ohne Bremsen, ein wunderschönes Sammlerstück.
Wer Buchegger und Nivokazi über die unterschiedlichen Stahlarten der Velorahmen diskutieren hört, glaubt kaum, dass sich die beiden erst seit rund fünf Jahren mit dem Thema beschäftigen. «Wir hatten damals beide einen italienischen Velorahmen, den wir mit den originalen Teilen zusammenbauen wollten», so Buchegger. Ihre erste Werkstatt war Nivokazis Balkon. «Wir sassen auf Liegestühlen, schraubten am Velo herum, tranken Bier und hatten Spass.»
Und dann hat es sie gepackt. Die Materie gibt auch einiges her. Über die grossen Marken und Modelle sind ganze Bücher geschrieben worden. Zum Beispiel über das «Cinelli Laser». «Die Form seines Rahmens ist einzigartig, es wurden nur einige 100 Stück davon produziert», so Buchegger. Vor drei Jahren gründeten sie eine Gemeinschaftswerkstatt, neue Rahmen und Modelle kamen hinzu. «Die Velos wurden zu einem sehr intensiven Hobby, und als genau das schaue ich es noch heute an», so Nivokazi. Scampi Cicli ist jeweils mittwochs und samstags geöffnet. Michael Buchegger arbeitet vollberuflich in der Baubranche, Njazi Nivokazi ist freischaffender Fotograf. «Vom Laden allein können und wollen wir nicht leben, da es einfach eine grosse Leidenschaft von uns ist und bleiben soll.»
Ab rund 2000 Franken kann man einen italienischen Vintage-Renner mit nach Hause nehmen. Es geht aber natürlich auch teurer. Entscheidend sind der Jahrgang, die Marke und die Ausstattung. Teilweise geraten die beiden aber auch an Velos, die sie für ihre eigene Sammlung behalten, wie das «Cinelli Supercorsa». «Es hätte seinen Käufer schon gehabt, ich konnte mich am Ende jedoch nicht davon trennen», so Buchegger. Ihre Kundschaft setzt sich zusammen aus Velofreaks, Sammlern, ehemaligen Profis, aber auch aus Leuten, die nicht viel von der Materie verstehen und einfach ein schönes Velo für den Alltag suchen. «Das ist kein Problem, mit Ausnahme der Bahnvelos sind alle unsere Renner strassentauglich», sagt Nivokazi.
Doch was tun, wenn der Nachschub ausgeht, wenn keine alten Rahmen und Komponenten mehr aufzutreiben sind? Nivokazi und Buchegger zucken mit den Achseln. «Allgemein lassen sich noch viele originale Teile finden, auch wenn die Preise steigen», so Nivokazi. Schlaflose Nächte scheinen die beiden deswegen nicht zu haben. Neben fertigen Velos handeln sie auch mit originalen Fahrrad-Komponenten sowie mit – neu produzierten – Velokleidern im Vintage-Look. Vor allem aber ist das Restaurieren italienischer Epochenvelos eine Leidenschaft geblieben und kein Beruf geworden. Der Laden ist eine Design-Boutique, eine Werkstatt sowie ein Ort für Freunde und Gleichgesinnte. «Wenn das Wetter stimmt, trinken wir vor der Tür ein Bier, plaudern über Velos und haben Spass, so wie vor ein paar Jahren auf Njazis Balkon», so Buchegger.
In der Radsportszene geniessen Vintage-Rennvelos aus Norditalien Kultstatus. Die bis in die frühen Neunzigerjahre gefertigten Stahlrenner aus Veloschmieden wie etwa Cinelli, Masi, Colnago, Pinarello, Basso, F. Moser, Olmo oder De Rosa bestechen nicht nur durch ein elegantes Design, sondern auch durch Exklusivität. Viele Modelle wurden nur in kleinen Stückzahlen hergestellt. Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang auch die Schweizer Marke Allegro sowie die Mitte der Neunzigerjahre verschwundene Marke Magni ICS, deren Renner zwar in Italien hergestellt, dann aber in Zürich aufwendig veredelt wurden. Seit März 2015 betreiben Michael Buchegger und Njazi Nivokazi in Zürich die Velo-Boutique Scampi Cicli. Die beiden 30-Jährigen haben sich auf die Restauration alter italienischer Veloklassiker spezialisiert. Das Ladenlokal ist jeweils am Mittwoch und am Samstag geöffnet.
Scampi Cicli
Agnesstrasse 12
8004 Zürich
www.scampi-cicli.com