Eleganz aus Stahl | Cigar Newsletter abonnieren
Cigar 4/2015

Eleganz aus Stahl

Text: Tobias Hüberli Fotos: z. V. g.
Schon früh im letzten Jahrhundert entstanden in Norditalien die damals besten Rennvelos der Welt. Heute werden die Vintage-Modelle für tausende von Franken gehandelt. Zu Recht, denn schönere Velos sind wohl nie mehr produziert worden.
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Sie heissen «Colnago Super Pis­ta», «Masi Prestige» oder «Gios Torino Super Record», und sie stehen für legendäre Rennve­los, die zwischen den späten Sechziger­jahren und den frühen Neunzigerjahren in norditalienischen Veloschmieden gefertigt wurden. Von vielen Modellen existieren nur wenige 1000 Exemplare, teils speziell produziert für professionelle Velorennteams jener Zeit. Unter Sammlern, Freaks und in Radsport­kreisen geniessen viele längst Kultsta­tus. Ihr Anblick ist indes auch für einen Laien faszinierend; Eleganz erklärt sich selbst.

Zusammen mit Njazi Nivokazi be­treibt Michael Buchegger seit März im Zürcher Kreis vier die Veloboutique Scampi Cicli, einen winzigen, liebevoll eingerichteten Laden, der auch eine Werkstatt ist. Neben dem Eingang ste­hen acht italienische Kultrenner, blank­ geputzt und sauber aneinandergereiht. Gegenüber an der Wand hängen unter­schiedliche Velorahmen aus Stahl. Sie warten darauf, mit genau jener Velo­kurbel und Bremse, jenem Schaltwerk, jenem Sattel und jener Pedale zusam­mengesetzt zu werden, die der Velobau­er in Cambiago, Mailand oder Florenz vor 30 Jahren einst für dieses Modell vorsah.

Etwa zwei Stunden täglich verbrin­gen die beiden Jugendfreunde mit der Suche nach den richtigen Einzelteilen. «Wir finden sie ein bisschen überall, auf Auktionsbörsen und Flohmärkten, bei Sammlern auf der ganzen Welt oder per Zufall in der Garage des Nachbarn», so Nivokazi. Dabei variieren die Preise stark. Schnäppchen sind rar geworden, die Nachfrage steigt und das Angebot ist begrenzt. Viele Prestigemarken entwi­ckelten ihre Fahrräder ständig weiter, was die Modelle eines Jahrgangs schnurstracks zu begehrten Einzelstü­cken erheben konnte.

Wenn die beiden 30­-Jährigen mal in Fahrt kommen, dann sprudeln die tech­nischen Details nur so aus ihnen heraus. Und es sind ebendiese, die den Unterschied machen, zum Beispiel das im Tretlager eingefräste M des «Masi Pres­tige», die Führung des Bremskabels beim «Pinarello» oder der gelb geprägte Stern auf der Gabel des «Olmo Professi­onisti». Dazu kommen die – ebenfalls in unterschiedlichen Jahrgängen produ­zierten – Komponenten wie Bremsen, Pedalen oder Kurbelset, meistens her­gestellt von der Firma Campagnolo, die für sich selbst schon Kultstatus bean­sprucht.

Gegründet wurde das Unternehmen von Tullio Campagnolo. Der Radrenn­fahrer und Velomechaniker erfand in den Dreissigerjahren den Radschnell­spanner und später eine der ersten all­tagstauglichen Gestängeschaltungen. Ab den Vierzigerjahren belieferte Cam­pagnolo alle damals relevanten Marken mit Komponenten. Norditalien galt als der wichtigste Produktionsort von pro­fessionellen Rennvelos, hergestellt wur­den Modelle für die Strasse, die Bahn und fürs Zeitfahren («Time trial»). «Das hier haben sie im Keller des Velodroms Dalmine in der Nähe von Bergamo aus­ gegraben», sagt Buchegger und zeigt auf ein blau lackiertes «Colnago Super Pista». Es ist ein Bahnrad, also ein Velo mit Starrlauf, ohne Bremsen, ein wun­derschönes Sammlerstück.

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Wer Buchegger und Nivokazi über die unterschiedlichen Stahlarten der Velorahmen diskutieren hört, glaubt kaum, dass sich die beiden erst seit rund fünf Jahren mit dem Thema be­schäftigen. «Wir hatten damals beide einen italienischen Velorahmen, den wir mit den originalen Teilen zusam­menbauen wollten», so Buchegger. Ihre erste Werkstatt war Nivokazis Balkon. «Wir sassen auf Liegestühlen, schraub­ten am Velo herum, tranken Bier und hatten Spass.»

Und dann hat es sie gepackt. Die Ma­terie gibt auch einiges her. Über die grossen Marken und Modelle sind ganze Bücher geschrieben worden. Zum Bei­spiel über das «Cinelli Laser». «Die Form seines Rahmens ist einzigartig, es wurden nur einige 100 Stück davon pro­duziert», so Buchegger. Vor drei Jahren gründeten sie eine Gemeinschaftswerk­statt, neue Rahmen und Modelle kamen hinzu. «Die Velos wurden zu einem sehr intensiven Hobby, und als genau das schaue ich es noch heute an», so Nivo­kazi. Scampi Cicli ist jeweils mittwochs und samstags geöffnet. Michael Bucheg­ger arbeitet vollberuflich in der Bau­branche, Njazi Nivokazi ist freischaffen­der Fotograf. «Vom Laden allein können und wollen wir nicht leben, da es ein­fach eine grosse Leidenschaft von uns ist und bleiben soll.»

Ab rund 2000 Franken kann man ei­nen italienischen Vintage­-Renner mit nach Hause nehmen. Es geht aber na­türlich auch teurer. Entscheidend sind der Jahrgang, die Marke und die Aus­stattung. Teilweise geraten die beiden aber auch an Velos, die sie für ihre eige­ne Sammlung behalten, wie das «Cinelli Supercorsa». «Es hätte seinen Käufer schon gehabt, ich konnte mich am Ende jedoch nicht davon trennen», so Buchegger. Ihre Kundschaft setzt sich zusammen aus Velofreaks, Sammlern, ehemaligen Profis, aber auch aus Leu­ten, die nicht viel von der Materie verstehen und einfach ein schönes Velo für den Alltag suchen. «Das ist kein Problem, mit Ausnahme der Bahnvelos sind alle unsere Renner strassentaug­lich», sagt Nivokazi.

Doch was tun, wenn der Nachschub ausgeht, wenn keine alten Rahmen und Komponenten mehr aufzutreiben sind? Nivokazi und Buchegger zucken mit den Achseln. «Allgemein lassen sich noch viele originale Teile finden, auch wenn die Preise steigen», so Nivokazi. Schlaf­lose Nächte scheinen die beiden deswe­gen nicht zu haben. Neben fertigen Velos handeln sie auch mit originalen Fahrrad-­Komponenten sowie mit – neu produzierten – Velokleidern im Vintage-­Look. Vor allem aber ist das Res­taurieren italienischer Epochenvelos eine Leidenschaft geblieben und kein Beruf geworden. Der Laden ist eine Design­-Boutique, eine Werkstatt sowie ein Ort für Freunde und Gleichgesinnte. «Wenn das Wetter stimmt, trinken wir vor der Tür ein Bier, plaudern über Velos und haben Spass, so wie vor ein paar Jahren auf Njazis Balkon», so Buchegger.

In der Radsportszene geniessen Vintage-Rennvelos aus Norditalien Kultstatus. Die bis in die frühen Neunzigerjahre gefertigten Stahlrenner aus Veloschmieden wie etwa Cinelli, Masi, Colnago, Pinarello, Basso, F. Moser, Olmo oder De Rosa bestechen nicht nur durch ein elegantes Design, sondern auch durch Exklusivität. Viele Modelle wurden nur in kleinen Stückzahlen hergestellt. Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang auch die Schweizer Marke Allegro sowie die Mitte der Neunzigerjahre verschwundene Marke Magni ICS, deren Renner zwar in Italien hergestellt, dann aber in Zürich aufwendig veredelt wurden. Seit März 2015 betreiben Michael Buchegger und Njazi Nivokazi in Zürich die Velo-Boutique Scampi Cicli. Die beiden 30-Jährigen haben sich auf die Restauration alter italienischer Veloklassiker spezialisiert. Das Ladenlokal ist jeweils am Mittwoch und am Samstag geöffnet.

Scampi Cicli
Agnesstrasse 12

8004 Zürich
www.scampi-cicli.com