Big Smoke
Eine Hommage an den Genuss
An hektischen Tagen ver- bringt Rocco Pagnotta bis zu sieben Stunden am Telefon. Als Headhunter für Kaderpositionen führt der 32-Jährige die richtige Person mit der passenden Firma und Aufgabe zusammen. Es ist eine durchaus komplexe Aufgabe. Sie erfordert Feingefühl, Erfahrung und bisweilen eine Portion Strassenschlauheit, wie es Pagnotta nennt.
Letztere hat sich der Sohn italienischer Einwanderer im Zürcher Kreis vier angeeignet, in dem er aufwuchs und auch heute noch wohnt. «Ich bin diesem Quartier emotional eng verbunden.» In den Neunzigerjahren stand der Chreis Cheib sinnbildlich für Ausländer in Zürich, wobei die Italiener damals noch die Mehrheit stellten. «Meine Kindheit war wirklich multikulturell geprägt, in meiner gesamten Schulzeit gab es ein einziges Mal einen Schweizer in der Klasse», so Pagnotta.
Dort fiel der bekennende Fan des FC Zürich – «etwas anderes war im Quartier undenkbar» – mit guten Noten auf. «Ich und meine Brüder wurden zu viel Pflichtbewusstsein erzogen, es fehlte uns an nichts, aber wenn wir etwas wollten, mussten wir es uns verdienen.» Zum Beispiel ging er seinem Vater samstags im Gemüsehandel auf dem Zürcher En-gros-Markt zur Hand – und sammelte so seine ersten Verkaufserfahrungen.
Heute sagt er: «Alles, was mit der Thematik Verkauf zu tun hat, fasziniert mich.» Ob als kleiner Bub quengelnd vor dem Süsswarenregal oder aber top- seriös während eines Bewerbungsgesprächs, immer gehe es doch darum, sich zu verkaufen, um die eigenen Ziele zu erreichen. Doch bereits sein Vater habe ihn gelehrt: «Egal, was du vertreibst, die Person kauft es wegen dir, wegen dem persönlichen Bezug zu dir.» Oder anders formuliert: Wenn man seriös arbeitet, kommt man weiter, wenn nicht, ist man schnell gebrandmarkt. Letztlich gehe es beim Verkauf darum, sein Gegenüber zu verstehen. «Ich arbeite immer mit offenen Fragen, Empathie ist wichtig.» Als Personalberater müsse er die Bedürfnisse seiner Kunden sowie jene seiner Kandidaten herausfinden und entsprechend agieren. Auch deshalb hängt Pagnotta ständig am Telefon.
Von seiner ersten Zigarre, einer Cohiba Siglo 4, wurde es Pagnotta richtig übel. Das war 2014 an einem Mitarbeiterevent in Marburg. «Ein paar Monate später habe ich es nochmals probiert und bin relativ schnell auf den Geschmack gekommen.» So sei er eben, ganz radikal. «Wenn mich etwas interessiert, setze ich mich stark damit auseinander, sonst überhaupt nicht.»
Also beschäftigte er sich mit der Kultur des echten Tabaks, besorgte sich einen Humidor und rauchte sich durchs Sortiment, von Kuba über die Domini- kanische Republik bis Nicaragua («Jeder Mensch und jede Zigarre erhalten von mir eine Chance»). «Gleichzeitig fragte ich mich, ob mir Zigarren dabei helfen können, mein Netzwerk zu erweitern, schliesslich lebe ich als Perso- nalberater davon.» 2740 Nummern umfasst die Kontaktliste in seinem Mobiltelefon zurzeit. Wenn er Kandidatinnen und Kandidaten sucht, wählt er Nummer um Nummer, bis jemand jemanden weiss, der passt. «Über sieben Ecken kennt jeder jeden», sagt er.
Zigarren und Business liessen sich oft sehr gut kombinieren, so Pagnotta. «Ich kläre immer ab, ob ein Kandidat oder ein Kunde zigarrenaffin ist, falls ja, suche ich bewusst ein Restaurant, in dem man gut essen, aber nachher auch gemütlich rauchen kann, etwa den Hönggerhof in Zürich.» Willigt die Person ein, sei das immer ein gutes Zei- chen. Spätestens die Zigarre bringe die Prise Lockerheit, die es brauche, um den Menschen besser zu verstehen und im Idealfall vermitteln zu können.
Doch wie viele Menschen suchen in Zeiten von Fachkräftemangel überhaupt eine Stelle? Mehr, als man denke, so Pagnotta. «Meine wichtigste Zielgruppe sind Arbeitnehmer, die mit ihrer Stelle unglücklich sind, aber nicht kündigen, bevor sie etwas Passendes gefunden haben.» Je höher die gesuchte Position, desto wichtiger sei eine diskrete Vorgehensweise. Pagnotta erfindet denn auch oft mal einen kreativen Vorwand, um einen Kandidaten oder eine Kandidatin unauffällig zu einem Treffen zu locken.
Neben dem Verkauf und handgerollten Zigarren ist der Fussball Pagnottas dritte grosse Leidenschaft. «Beim Fussball kommen viele verschiedene Menschen zusammen, die sich sonst nicht treffen, um gemeinsam zu feiern, zu fiebern und zu leiden. Das fasziniert mich.» Vor seiner Karriere als Personalberater wirkte er während rund zwei Jahren als Scout für eine Spieleragentur. Anschliessend arbeitete Pagnotta viele Jahre nebenberuflich als Assistenztrainer und Spielanalyst, ausgerechnet für den Zürcher Grasshopper Club. «Meine gesamte Kindheit drehte sich um den FCZ, aber im Profibereich darf man nicht mehr als Fan denken», sagt er mit einem Lächeln.
Heute ist er ehrenamtlicher Sportchef eines Amateurvereins im Kreis fünf. Auch da fungiert er als Personalberater. «Ich muss die richtigen Spieler für die Mannschaft und die richtigen Trainer für die Spieler finden.» Es gehe darum, eine funktionierende Einheit zu bilden. «Ob im Fussballverein oder in der Wirtschaft, bei mir steht immer der Mensch im Vordergrund.»
Nach dem Irpina-Erdbeben verliessen die Eltern von Rocco Pagnotta Anfang der Achtzigerjahre ihr Dorf in der Nähe von Neapel und emigrierten in die Schweiz. Zusammen mit seinen Brüdern wuchs Pagnotta im Zürcher Kreis vier auf. Nach einer kaufmännischen Lehre wechselte er zuerst in den Autohandel und anschliessend in die Versicherungs- und Bankenbranche. Seit Februar 2021 arbeitet der Verkaufsprofi und leidenschaftliche Zigarrengeniesser für die Personalvermittlungsfirma «tempoX Personal AG». Dort leitet er seit März 2024 die auf die Vermittlung von Kaderpositionen spezialisierte Tochterfirma Resource Partners.