Feiern in Belgrad | Cigar Newsletter abonnieren
Im wilden Osten Cigar 2/24 Im wilden Osten

Feiern in Belgrad

Text: Tobias Hüberli Fotos: Zati
Aficionados finden in Serbiens Hauptstadt einen Ort, den sie sonst nur noch vom Hörensagen kennen: Rauchen ist erlaubt, Geniessen unbedingt erwünscht. Wir besuchten die Balkan- Metropole – nicht zum letzten Mal.
img_1740plus.jpg

Es ist etwas los in Belgrad. Das erkennt der Reisende bereits bei der Ankunft, am gut ausge­ bauten Flughafen sowie an den zahlreichen Schildern. «Radovi u toku» steht da drauf und gleich darunter die englische Übersetzung: under construc­ tion. Auf dem Weg in die serbische Haupt­ stadt zeugen noch unzählige chinesische Wappen am Strassenrand vom Staats­ besuch des chinesischen Präsidenten Xi, anfang Mai. Die Metropole an der Peripherie der Europäischen Union steht seit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine oft im Zentrum des Weltgesche­ hens. Oder anders formuliert: In Belgrad prallen derzeit die Interessen der Mäch­tigen vor aller Augen aufeinander.

Für Zigarrengeniesser ist die weisse Stadt indes ein Paradies. Das Schmau­chen eines Longfillers ist in Restaurants, Bars und Clubs grundsätzlich erlaubt. Fast überall findet sich ein – mehr oder weniger gepflegter – Humidor. Dazu ge­sellt sich die berühmte Gastfreundschaft des Balkans: etwas rau vielleicht, aber auch genauso herzlich. Belgrad scheint umgeben von einer sehr eigenen Aura, es ist eine tragische Mischung aus Gefahr und Geborgenheit, die in einem intensiven Lebensgefühl mündet.

Am augenscheinlichsten zeigt sich die Aufbruchstimmung im neuen Stadt­viertel Waterfront am Ufer der Sava. Dort, wo vor zehn Jahren noch Roma und Sinti ihre Camps aufschlugen, ent­steht heute eine Art Dubai des Balkans. In einem der zahlreichen Sales Centers erklärt ein gross gewachsener Herr in geschliffenem Englisch das Angebot. Geplant sind rund 40 Gebäude mit weit über 9000 Wohneinheiten. Die Quadrat­ meterpreise variieren je nach Etage und Aussicht, liegen aber kaum einmal unter 5000 Euro. Zum Vergleich: Das durch­ schnittliche Monatssalär in Belgrad be­ trägt nach offiziellen Angaben 800 Euro.

Seit 2017 läuft der Verkauf, die Nach­ frage sei gross. Im Mai kam etwa die Immobilie mit dem klingenden Namen Dolce in den Handel. Rund 80 Prozent der 300 Wohnungen fanden am ersten Tag einen Käufer. Der Einzugstermin ist frühestens 2027. Am Projekt Waterfront beteiligt sind der serbische Staat mit 32 Prozent sowie eine Unternehmung aus dem Nahen Osten. An der sauber ge­putzten Flusspromenade laden hippe Restaurants zum Verweilen ein. Überall verkünden zudem Schilder die kurz be­ vorstehende Eröffnung neuer Geschäfte, einer Zahnklinik zum Beispiel, und vie­ler weiterer Restaurants. Bereits da ist Sothebys, in der Allee, die künftig als neue Bahnhofstrasse Belgrads kaufkräftige Besucher anlocken soll.

Doch wer investiert denn eigentlich in die Waterfront? Die Käufer stammen von überall her, so der Grossgewachsene, aus den USA, Europa, der Schweiz, dem Na­hen Osten sowie natürlich Russland. Rund 300 000 meist besser betuchte Russen haben sich seit dem Überfall auf die Uk­ raine in Belgrad niedergelassen. Seither sind unter anderem die Mietpreise der­ art gestiegen, dass sie für Einheimische kaum mehr erschwinglich sind.

img_0719plus.jpg
img_1008plus.jpg
img_0811plus.jpg
img_0931plus.jpg
img_1584plus.jpg
img_1105plus.jpg
dscf1131.jpg
09.jpg

Belgrads Zigarrenszene ist vergleichsweise jung und angenehm überschaubar. 2003 gründete Slavko Despot, ein ehemaliger Scout für Basketballspieler, die Firma Julieta und importierte die ersten kubanischen Zigarren. 2006 eröffnete er das bisher einzige La Casa del Habano der Stadt. Die Legende besagt, dass Despot die Franchise an der Kneginje Zorke 2 fixfertig herrichtete, inklusive begehbarem Humidor, und erst dann nach Kuba reiste, um Habanos um Erlaubnis (und um Zigarren) zu fragen. Von Anfang an unterstützt wurde er von Zdravko Brkic, den alle nur Professor nennen (der ehemalige Manager eines Nachtclubs schaut tatsächlich so aus). Der 54-Jährige führt das Unternehmen heute zusammen mit Despots Söhnen Jovan (30) und Uglješa (32). Rund 700 Verkaufsstellen, insbesondere auch Humidore in der Restauration, werden von Julieta landesweit versorgt.

Mittlerweile importiert das Trio neben kubanischen Zigarren noch rund 20 andere Zigarrenmarken, 2008 kam Da­vidoff – mit einem eigenen Shop – dazu, ab 2016 Brands wie Plasencia oder Maya Selva. In der wunderbar eingerichteten Lounge Cohiba Atmosphere im noblen Residenzen­Viertel von Belgrad werden denn auch zahlreiche nichtkubanische Longfiller präsentiert. Was anderswo undenkbar wäre, wird hier von Habanos stillschweigend akzeptiert. «Die Situation ist nicht einfach», sagt Jovan Despot. Die Liefermengen aus Kuba seien seit Covid um 50 Prozent gesunken. «Darauf mussten wir reagieren, das verstehen sie auch in Havanna.»

«Früher rauchte man in Belgrad vor­nehmlich Habanos, die Leute kannten gar nichts anderes», sagt Miloš Brankovic ́ . Heute verlieren die kubanischen Zigarren laufend an Boden. Das hat mit den empfindlichen Preiserhöhungen, aber auch einiges mit Brankovic ́ zu tun. Als Verkaufsleiter des 2019 gegründeten Unternehmens Hedon Life importiert der 35­Jährige Marken wie Arturo Fu­ente, Meerapfel, Drew Estate, Perdomo oder Horacio und leistet damit viel Pio­nierarbeit. «Insbesondere bei jüngeren Aficionados kommen die oft günstigeren, aber qualitativ hochwertigen New­-World-­Zigarren sehr gut an.» Wobei es noch viel Aufklärungsarbeit zu verrichten gebe. «Wir organisieren regelmässig Work­shops, um den Konsumenten Zigarren­-Know-­how zu vermitteln», so Brankovic ́. Im europäischen Vergleich sei das Niveau noch relativ bescheiden.

Im Eingangsbereich der Zigarren­lounge Pura Vida lagern die Preziosen von Hedon Life in einem grossen begeh­baren Humidor. Bei einem Kaffee lassen sich dort prima Zigarren einkaufen. Zu empfehlen ist etwa die – von Horacio produzierte – Eigenmarke Lazar. Jedes Format passt geschmacklich zu einem der fünf Rakias (serbisch für Obstbrand), die etwa 50 Kilometer ausserhalb von Belgrad in der firmeneigenen Destillerie gebrannt werden. Dazu muss man wis­sen: In Serbien existieren etwa so viele Schnapsbrennereien, wie es Familien gibt. Dementsprechend schwierig ist es, sich mit einem High­-End-­Destillat im Markt zu etablieren. Vor allem der im Fass gelagerte Zwetschgenbrand von Lazar überzeugt auf der ganzen Linie. Übrigens: Das mit viel Liebe fürs Detail eingerichtete Restaurant im hinteren Bereich von Pura Vida ist kein Privat­klub, aber auch nicht wirklich öffentlich. Wie für ganz Belgrad gilt das Motto: Wer wagt, gewinnt.

Das sagte sich auch Bojan Petkovic. Seine erste Zigarre rauchte der Spezialist für Sicherheitstechnik am 28. September 2019. Wenige Wochen später weilte der 47-­Jährige geschäftlich in Paris und stolperte dort über den Accessoire-­Her­steller Colibri, den er sogleich kontak­tierte. Heute führt Petkovic ein sorgsam ausgestattetes Fachgeschäft. Zu kaufen gibt es Whisky, Cognac, Schokolade, edle Pfeifen und ausgewählte Zigarren­ Accessoires. Vor allem aber findet der Genussraucher im Aficionado Srbija eine komplette Auswahl an kubanischen und nichtkubanischen Zigarren. «Ich wollte immer ein möglichst breites Sortiment anbieten», so Petkovic. Aktuell sind es 454 verschiedene Zigarren und 68 verschiedene Zigarillos, auch die Villiger Krumme ist erhältlich. Künftig will Petkovic auch reifegelagerte Havannas anbieten. «Die ersten Kisten habe ich letztes Jahr eingelagert, es wird also noch eine Weile dauern», sagt er mit einem Lächeln.

Ein beeindruckendes Erlebnis, ins­besondere für disziplinierte Schweizer, ist die Einkehr im 1864 eröffneten Restaurant Tri Šešira in der Altstadt. In sieben Gasträumen wird jeden Abend geschlemmt, getrunken, geraucht und lauthals gesungen – alles mehr oder weniger gleichzeitig. Hier bietet sich die Gelegenheit, sich einfach mal gehen und dem Leben seinen Lauf zu lassen. Belgrad bei Nacht ist sowieso eine eigene Welt. Rauchen ist jederzeit erlaubt, das gilt für die Diskothek genauso wie für das mit einem Michelin­-Stern dotierte Restaurant Langouste. Dort sind zwar die Weinpreise jenseits von Gut und Böse, aber das Gefühl, im Gourmet-­Laden am weiss ge­deckten Tisch eine Zigarre anzünden zu können, ist unbezahlbar. Sehr wohl fühlten wir uns im Restaurant ABC, etwas versteckt in Neu­-Belgrad. Das erste Slow­-Food­-Restaurant des Landes überzeugt mit originellen und bezahl­baren Gerichten, guten Weinen, einem grandios abgeklärten Service – sowie einer ansehnlichen Zigarrenauswahl.

Früher oder später wird wohl auch in Belgrad der Zigarrengenuss schrittweise eingeschränkt werden. Bis es so weit ist, sollten abenteuerlustige Aficionados der von den Flüssen Sava und Donau umschlossenen Metropole vielleicht noch­mals einen Besuch abstatten, um zu schlemmen, zu trinken, zu singen und zu geniessen.

Zum Essen

Das Restaurant ABC ist das erste Slow-Food-Lokal der Stadt. Die servierten Speisen sind originell und herausragend gekocht. Auch das Wein- und Zigarrensortiment passt. Gutes Preis-Leistungs-Verhältnis.
abcrestoran.rs

Im Tri Šešira (Drei Hüte) in der Altstadt pulsiert das Leben. Auf den Tisch kommt Herzhaftes vom Grill. Die Gäste schlemmen, trinken, rauchen und singen, als gäbe es kein Morgen.
trisesira.rs

Auf den ersten Blick könnte man das Restaurant Franš glatt übersehen. Das vor 43 Jahren gegründete Lokal liegt unweit des Doms des heiligen Sava, gut versteckt hinter einer viel befahrenen Strasse. Das Franš ist auch ein perfekter Ort, um spät zu frühstücken.
frans.rs

Das Restaurant Langouste ist mit einem Michelin-Stern und 17 Gault-Millau-Punkten ausgezeichnet. Das Menü entspricht internationalen Gourmet-Standards, die Weinpreise sind zu hoch, die Aussicht dafür top und Zigarren kein Problem.
langouste.rs

Stilvoll schmauchen

Die Zigarrenlounge Libertador liegt in einer von Linden gesäumten Allee in der Altstadt. Der Ort erstreckt sich über zwei Etagen und wurde mit stilsicherem Auge eingerichtet. Schöne Auswahl an Zigarren und Spirituosen.
Strahinjica Bana 2, Belgrad, +381 63 530 807

Der Eingangsbereich der Zigarrenlounge Pura Vida ist gleichzeitig ein Zigarrenshop. Erhältlich sind optimal gelagerte Preziosen des Importeurs Hedon Life, unter anderem Zigarren von Drew Estate, Perdomo oder Ar- turo Fuente. Der hintere Teil des Lokals ist ein Restaurant.
puravida.rs

Die vor vier Jahren eröffnete Zigarrenlounge Cohiba Atmosphere liegt im noblen Residenzen-Viertel der Hauptstadt. In dem wunderschön ein- gerichteten Ort sind Havannas wie auch nichtkubanische Premium- zigarren erhältlich.
cohibaatmosphere.rs

Zigarren und Zubehör

Im Aficionado Srbija findet der Geniesser eine der komplettesten Zigarrenauswahlen der Stadt, dazu edle Accessoires und Spirituosen.
aficionado.rs

Das La Casa del Habano an der Kneginje Zorke 2 existiert seit 2006. Die erste Adresse für Havannas in Belgrad (lacasadelhabano.rs). Und auch Davidoff ist seit 2008 mit einem Shop vertreten (davidoffshop.rs).

Danke

Das Cigar-Team bedankt sich bei Miloš Brankovic ́ und dem Team von Hedon Life für die überbordende Gastfreundschaft sowie bei Jovica Jovanovic ́ für die grossartige Organisation.