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Cigar 2/2019

Flüssige Elite

Text:  Wolfgang Fassbender Fotos: Swisswine.ch / z.V.g.
Die Schweizer Weinszene ging viele Jahre in Sack und Asche. Erst allmählich bekommen die Winzer des Landes die Aufmerksamkeit, die sie verdienen. Für den Konsumenten eine grossartige Entwicklung, für die Nation ein Segen.
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Zwei Herren, zwei Flaschen. An einem warmen Abend im letzten Jahr sassen die beiden Geschäftsleute, sichtlich in Geburtstags-Feierlaune, auf der Terrasse des Basler Restaurants Teufelhof und liessen sich einschenken. Erst Chardonnay von Gantenbein, dann Pinot noir von Gantenbein, dann beide parallel. Prestigetrinken auf eidgenössische Art, denn was der freundliche Daniel Gantenbein im Herrschaftsdorf Fläsch abfüllt, tatkräftig unterstützt von seiner Frau Martha, gilt als Schweizer Kultwein Nummer eins. Sorgfältig vinifiziert, mit hübschen Etiketten ausgestattet und selbstbewusst kalkuliert. Dass man bei Gantenbeins nicht unangemeldet reinschneien kann, dass die Nachfrage das Angebot übersteigt und die Produktion eher zugeteilt als angepriesen wird, trägt nur noch zum Erfolg bei. Ausländische Restaurants führen den «Ganti» als Kuriosität aus einem Land, das man in Berlin, New York oder Madrid kaum mit anspruchsvollen Weinen verbindet. Und für hiesige Geniesser gilt, dass viele, die Gantenbein trinken, so ihre eigene Wichtigkeit zur Schau stellen.

Sehr viele andere Möglichkeiten, mit grossen, berühmten und international bekannten Weinen aus eidgenössischer Produktion zu prunken, gab es bislang nicht. Obwohl die Getränkekarte des Teufelhofs gut sortiert ist, muss man auf ihr nach Schweizer Weinen der Champions League lange fahnden. Die Qualität dessen, was zwischen dem Walliser Visperterminen und dem baselstädtischen Riehen angebaut wird, hat sich zwar in den vergangenen 25 Jahren drastisch gesteigert, doch wer spricht davon, ausserhalb des Landes? Kaum jemand, denn auch die besten und feinsten Schweizer spielen bislang nur in der nationalen Liga, gelten bloss innerhalb der Grenzen als satisfaktionsfähig. «Die Schweiz fristet heute leider noch immer ein internationales Schattendasein mit ihren Weinen», sagt der Bündner Winzer Martin Donatsch, gerade zurück von einer Reise nach Singapur. «Man kennt Schweizer Schokolade, Käse, Banken, Uhren, aber der Schweizer Wein ist sozusagen inexistent.»

Gut möglich allerdings, dass vor wenigen Wochen ein Damm gebrochen ist. Einer, der mit der Versteigerung einiger Flaschen von Donatschs Privatreserve zu tun hat. Normalerweise wird der nur in kleinsten Mengen für den Eigenbedarf erzeugt. Für eine Auktion Anfang Mai machte Donatsch eine Ausnahme und war anschliessend selbst geschockt. Bis zu 1075 Franken wurden inklusive aller Gebühren und Steuern für eine 0,75-Liter-Flasche der 2013er Réserve Privée gezahlt. Wer solche Tarife nun als obszön verurteilt, hat die Welt des Marketings nicht verstanden. Leuchttürme sind unverzichtbar, Lokomotiven ziehen eine Menge Wagen hinter sich her. Und von Preisen wie diesen profitiert der Schweizer Weinbau insgesamt am meisten. Auch jene Winzer, die in den letzten Jahren mal mehr, mal weniger geschickt versucht haben, zur Kultweinmarke Gantenbein aufzuschliessen.

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Der Electus der Kellerei Provins, der bis vor kurzem noch als teuerster Wein der Schweiz gerühmt wurde, dürfte als misslungener Versuch durchgehen: ein Retortenwein, reif und mächtig, ohne glaubwürdige Geschichte, eher von Walliser Grössenwahn als von eidgenössischer Zurückhaltung geprägt. Potenzial zum Kult hat dagegen Tom Litwans Alte-Reben-Rotwein aus der Aargauer Lage Chalofe – ein Terroirgewächs, das zumindest die 50 Franken, früher für viele Winzer eine Schmerzgrenze, deutlich überschreitet. Doch wo bleiben die Topwinzer der Waadt? Warum kosten grossartige Syrah wie jener von Denis Mercier aus dem Wallis so wenig? Warum ist der preisliche Abstand zwischen den Süssweinen von Marie-Thérèse Chappaz und einem Château d’Yquem so gewaltig? Über die paar hierzulande verlangten Franken lachten sich die Winzer aus dem Bordeaux und der Bourgogne halbtot, bekämen sie denn jemals einen Schweizer Wein zu Gesicht: Allzu wahrscheinlich war dies bislang nicht.

Passiert es doch, sind alle begeistert. «Es gab grandiose Weinkenner, die völlig ‹geflasht›, ja sprachlos waren», berichtet Martin Donatsch von der soeben absolvierten Wine-and-Dine-Serie in Singapur. «Und nicht nur von unseren Pinots, sondern auch von Chardonnay und Completer.» Was wäre erst, wenn die Freaks auch die grossen Chasselas entdeckten, die autochthonen Roten und Weissen aus dem Wallis, die Genfer und Neuenburger Spezialitäten? «Vielleicht braucht es solche ‹Preis-Sensationen› einfach, um die Aufmerksamkeit zu bekommen, die der Schweizer Wein längst verdient hat», sagt Donatsch im Hinblick auf die erzielten 1075 Franken seiner Privatreserve. Wer sich nun sorgt, zukünftig deutlich mehr Geld für seinen Spitzenwein vom Spitzenwinzer zahlen zu müssen, kann sich schnell trösten. Auch in fünf Jahren werden die besten und berühmtesten Crus der Schweiz immer noch günstig sein, wenn man sie mit Ähnlichem aus Frankreich, Spanien, Deutschland oder Kalifornien vergleicht. Viel Geld fürs Handwerk ist den Eidgenossen immer noch irgendwie peinlich.

Prestige- und Kultweine der Schweiz: Teilweise viel zu billig!

Pinot Noir Unique und Réserve Privée
Spitzenrotweine des Weinguts Donatsch. Die Réserve Privée kann man regulär nicht kaufen. Unique auf Anfrage bei Jan Martel. www.martel.ch.

Vinattieri Merlot
Der Jahrgang 2015 kostet 139 Franken bei Riegger. www.riegger.ch

Electus
Prestige-Rotwein der Walliser Genossenschaft Provins, zum Preis von 150 Franken bei Provins. www.provins.ch

Pinot Noir von Daniel Gantenbein
Wenn man Glück hat: 110 Franken bei Mövenpick. www.moevenpick-wein.ch

Conte di Luna von Werner Stucky
Der 2016er kostet in der Weinhandlung zum Küferweg 53 Franken. www.kueferweg.ch

Pinot Noir Chalofe Alte Reben von Tom Litwan
Für 75 Franken in der Vinothek Brancaia erhältlich. www.vinothek-brancaia.ch

Il Canto della Terra aus der Cantina Monti
In der Vinothek Studer für 112 Franken zu haben. www.studer-vinothek.ch

Syrah von Denis Mercier
Den 2016er zu 48 Franken kann man in homöopathischen Dosen direkt beim Weingut kaufen. www.mercier-vins.ch

Grain Noble von Chappaz
Die Halbliterflasche kostet, direkt beim Weingut, 55 Franken. www.chappaz.ch