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Cigar 1/2021

Geschmack braucht Zeit

Text: Tobias Hüberli Fotos: Mojca Vidmar
Bei der Reifelagerung von kubanischen Zigarren geschieht Erstaunliches. Was genau, ist immer noch Gegenstand der Forschung. Wir nähern uns dem Thema – theoretisch wie auch praktisch.
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Darüber, wie sich die Geschmackseigenschaften von Tabak in handgerollten Zigarren über die Jahre konkret verändern, ist noch immer bedauernswert wenig bekannt. Die Forschung dazu hat es (ausserhalb von Kuba) noch nicht mal in die Kinderschuhe geschafft. Wohl auch, weil dieser Zweig der Wissenschaft wenig internationale Reputation verspricht. Erstmals ins breitere Bewusstsein der Aficionados rückte das Thema durch das 2003 erschienene Standardwerk «An Illustrated Ency­clo­paedia of Post-Revolution Havana Cigars». Der in Hongkong lebende Autor Min Ron Nee beschreibt darin die Lagerung sowie unterschiedlichen Entwicklungsphasen von kubanischen Zigarren.

Wie bei den grossen Weinen aus dem Burgund oder dem Bordeaux bemisst Nee die Reifeperioden von Habanos in Zeiträumen von Jahrzehnten. Eine wichtige Rolle spielen dabei – neben der Qualität der verwendeten Rohtabake – die während der Lagerung herrschende Tem­peratur und Luftfeuchtigkeit. Nee unterscheidet drei Reifeperioden. Die erste Reifung dauert bei milden Zigarren zwei bis drei Jahre, bei kräftigen hingegen bis zu 15 Jahre. Was dabei im Tabakblatt genau passiert, liegt noch immer im Dunkeln. Sicher ist, dass der Nikotingehalt, aber auch störende, oft als scharf wahrgenommene Töne abgebaut werden. Zudem verbessert sich der Zug über die Jahre merklich. Laut Nee offenbaren Zigarren in der ersten Reifephase die meisten Aromen.

Die zweite Phase findet laut Nee zwischen fünf und 25 Jahren statt, wobei der Zeitpunkt dieses Prozesses von der Stärke des Longfillers und den Lagerbedingungen abhängt. In dieser Phase baut die Zigarre Tannine, allerdings bereits auch Aromen ab. Das Ergebnis sei im Idealfall ein klassisch-elegantes Geschmacksbild. Während der anschliessend eintretenden dritten Reifung kann eine Zigarre eine Komplexität und Finesse entwickeln, die Nee kurzerhand als göttlich beschreibt. Bei maschinell hergestellten Zigarren bringt eine Reifelagerung übrigens nichts – auch wenn sie mit hochwertigem Tabak hergestellt wurden.

Eingehend mit dem Thema beschäftigt hat sich Zigarrenhändler Manuel Fröhlich. Die Idee, kubanische Zigarren systematisch zu reifen, stand gar am Ursprung seines 2014 eröffneten Fachgeschäfts Manuel’s an der Zürcher Löwenstrasse. «Alte kubanische Zigarren sind selten, weil die Nachfrage das Angebot konstant übersteigt und alles ­immer frisch verkauft wird», erklärt Fröhlich. Dabei sollten insbesondere Habanos noch eine Weile reifen. Zusammen mit einem Geschäftspartner begann er vor acht Jahren, Limitadas-Editionen – mittlerweile sind es über 50  –, aber auch Bestseller aus dem Standardsortiment unter konstanten Bedingungen (18 Grad Celsius und 65 Prozent Luftfeuchtigkeit) einzulagern.

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Damals nahm Fröhlich auch Kontakt zu Mitarbeitern des kubanischen Tabakforschungsinstituts in San Antonio de los Baños auf. «Die Kubaner untersuchen die Reifelagerung von Tabak seit längerem.» So nehme die Konzentration von Nikotin und Ammoniak in der Zigarre bei einer langen und langsamen La­gerung gleichmässig ab, während gleichzeitig aromatische Verbindungen, sogenannte Polyhydroxypyrazine, gebildet werden. Durch das Lagern wird auch die unangenehme Säure eliminiert, die entsteht, wenn der Tabak für das Rollen angefeuchtet wird und in der Zigarre eine Minifermentation beginnt. Treiber dieser Prozesse sind Mikroorganismen. Mit den Jahren verwandeln sie dominante Ammoniak-ähnliche Aromen in die weitaus angenehmeren Holz-, Kaffee- oder Kakaonoten.

Zurzeit entsteht im Manuel’s ein zweiter Humidor, in denen erste Jahrgänge dieser Zigarren angeboten werden (siehe Box). Vor diesemHintergrund lud Fröhlich im März zu einer Vertikaldegustation einer Partagás D4 aus drei verschiedenen Jahrgängen. Die Partagás D4 gehört zu den meistverkauften Zigarren aus dem Habanos-Sortiment. Zudem ist sie berüchtigt für ihre Qualitätsschwankungen – auch innerhalb einer Charge. Die drei Zigarren aus den Jahrgängen 2014, 2015 und 2016 wurden anonymisiert, in kurzen Abständen angezündet und simultan verkostet. Zu einem späteren Zeitpunkt kam dann eine Vergleichszigarre aus dem Jahr 2020 hinzu.

Die Partagás aus dem Jahr 2016 legte einen weichen Start hin, mit einer sanften Würze, dazu Noten von Leder und Holz («Eukalyptus trifft es ganz gut», so Fröhlich). Im weiteren Rauchverlauf offenbarte sie kaum Bitternoten, dafür eine schöne Süsse und im All­gemeinen eine komplexe kubanische ­Aromatik. «Gut strukturiert, aber etwas verhalten», formulierte es Journalist und Degustationskompagnon Florian Schwab. Gegen Ende zeigten sich Röstaromen – und eine angenehme Frische.

Die Partagás von 2015 wiederum begann total cremig, brillierte darüber hinaus mit einem hervorragenden Zug und einer fantastischen Entwicklung. Schwab machte eine «klare Aromatik» aus und erkor dieses Exemplar zum Ideal dessen, was er sich von einer gelagerten Zigarre verspricht. Derweil eruierte Fröhlich in seinem Longfiller prägnante Bittermandelnoten, die den Gesamteindruck etwas trübten. Dass die Testzigarren aus dem gleichen Jahrgang (und der gleichen Charge) alles andere als deckungsgleich waren, zeigte sich bei der ältesten Partagás. Während Fröhlich bei seinem Exemplar cremige, dickflüssige Melassenoten, eine leichte Würze und Lebkuchen wahrnahm, übertünchten bei Schwab scharfe Noten jegliches Aroma.

Das Fazit? Trotz des geringen Altersunterschiedes sind durch die Lagerungdrei sehr unterschiedliche Zigarren entstanden. «Zwischen den Jahren passiert etwas», stellt Schwab fest. Allerdings müsse insbesondere im Standardsortiment – gelagert oder nicht – immer noch eine gute Kiste gefunden werden. Und auch in derselben Charge könne es noch immer zu bedeutenden Qualitätsschwankungen kommen. Klar ist auch: Die drei degustierten Partagás-Zigarren waren – wenn man in Jahrzehnten rechnet – immer noch relativ jung. Wie sie sich über das nächste Jahrzehnt entwickeln, darüber kann nur spekuliert werden. «Es ist zum Beispiel durchaus möglich, dass die aktuelle Süsse in einer Zigarre innert zehn Jahren komplett verschwindet – und in 20 Jahren wieder auftaucht», so Fröhlich.

Der Vollständigkeit halber sei hier noch erwähnt, dass es auch Experten gibt, die nichts von der Reifelagerung halten und den kernigen Charakter junger Habanas bevorzugen. Und dem sei nichts zu entgegnen, findet Fröhlich. Allerdings habe das Aging generell den Effekt, die Aromatik einer Zigarre transparenter zu machen. Sie wird dem Aficionado quasi auf einem Silbertablett serviert. «Zudem ist das Rauchen einer alten Zigarre immer auch eine inspirierende Zeitreise, also schlicht eine schöne Idee.»

Was genau bei der Reifelagerung von Zigarren passiert, wird noch immer erforscht. Daten aus Kuba weisen darauf hin, dass sich Mikroorganismen über die Jahre quasi durch den Tabak «fressen». Dabei spalten sie unter anderem Nikotin und Ammoniak in aromatischere Verbindungen auf. Zudem homogenisieren sich die einzelnen Blätter in der Zigarre mit der Zeit, was einem balancierten Geschmacksbild zuträglich ist. Und – bei kubanischen Zigarren nicht unwesentlich – auch der Zug verbessert sich mit der Lagerung merklich. Das Aging ist insbesondere für kubanische Longfiller ratsam, da die verwendeten Tabake meist sehr jung sind. Aber auch Formate aus der Gran-Reserva-Linie, die aus bereits gelagerten Tabaken gerollt wurden, brauchen noch ein paar Jahre, bis sie wirklich gut sind. Bei der Lagerung ist neben einer konstanten Temperatur und Luftfeuchtigkeit vor allem der Sauerstoffgehalt wichtig. So reifen Zigarren in Porzellantöpfen oder Cabinet-Kisten langsamer, da dort weniger Luft zirkuliert.

Manuel’s eröffnet Vintage-Humidor
Diesen Frühling feiert im Tabakfachgeschäft Manuel’s ein zweiter Humidor Premiere, der ausschliesslich Vintage-Zigarren gewidmet ist. Im Angebot stehen unter anderem 50 Limitada-Editionen aus vergangenen Jahren. Zudem können Geniesser mindestens acht Jahre alte Zigarren aus dem Habanos-Standardsortiment wie Partagás, Montecristo oder Romeo y Julieta entdecken.
manuels.ch