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Cigar 4/21

Gibt es ein Rauchen nach dem Tod?

Text & Fotos: Gion Mathias Cavelty
Schriftsteller und Zigarrenaficionado Gion Mathias Cavelty hat in Mexiko den Día de los Muertos begangen und sich existenziellen Fragen gewidmet.
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Gibt es ein Rauchen nach dem Tod? Ist das nicht die Frage aller Fragen für uns Zigarrenfreunde? Denn: Das Leben ist doch viel zu kurz. Und mit jedem Zug wird es kürzer. Wie viel von unserer Lebenszigarre haben wir schon verpafft? Haben wir noch ein ordentliches Stück vor uns? Oder bleibt uns nur noch ein Stümmelchen?

Ich bin gerade in Oaxaca, Mexiko. Ja, so schnell kann das gehen! Eben noch in Schwamendingen, und dann – zack! Es ist der Día de (los) Muertos (manche Mexikaner gebrauchen das «los», manche nicht, das scheint eine regionale Sache zu sein). Also der Tag, an dem
die Toten der Vorstellung vieler Ein­heimischer nach ins Reich der Lebenden zurückkehren.

Die zurückgebliebenen Angehörigen errichten ihren Vorfahren prächtige Altäre (ofrendas) und legen all die Dinge darauf, die den Verblichenen Zeit ihres Lebens Freude bereitet haben: Blumen, Früchte, Süssigkeiten, einen Teller mit Mole, Bier. In Mexiko ist das gerne eine Dose Corona (wobei man einem an / mit Corona Verstorbenen wohl eher ein Victoria hinstellen dürfte). Dazu gesellt sich häufig ein Foto des In-den-ewigen-Osten-Vorausgegangenen.

Im haitianischen Voodoo ist es so, dass die Loas (Geistwesen; oftmals werden auch real existiert Habende zu ­Loas) von einem Menschen Besitz ergreifen und durch ihn Handlungen in der dreidimensionalen Realität vollziehen können, die sie als Körperlose eben nicht (mehr) können. Der technische Ausdruck dafür ist «reiten» (also die ­Loas «reiten» den Menschen, der ihnen willentlich oder unwillentlich seinen Körper zur Verfügung gestellt hat). Sie können dann wieder fleischlichen Genüssen nachgehen, tanzen, trinken et cetera … und eben auch: rauchen.

Das ist eine erleichternde Vorstellung. Also, nach dem Tod weiterrauchen zu können. Auch, weil man dann nicht mehr an Lungenkrebs sterben kann. Ich will die Gunst der Stunde nutzen und noch weiteren Fragen nachgehen.

Etwa:

Kann man auch erst nach dem Tod zum Raucher werden? (Marktlücke!)

Kann man einen verstorbenen Nichtraucher zwingen, mit dem Rauchen anzufangen?

Was ist eigentlich, wenn einem die Hinterblie­benen falsche Zigarren auf den Altar legen? Kann man da irgendwo reklamieren?

Wo streift der Tote die Asche der Zigarren ab?

Was ist, wenn einem im Totenreich das Gas im Feuerzeug ausgeht?

Nun will ich aber vom Spekulativen ins Handfeste wechseln. Ich mache mich in Oaxaca auf die Suche nach Al­tären und Gräbern, um Experimente durchzuführen.

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Ich kaufe mir 13 Puros, natürlich alles mexikanische Fabrikate, und zwar von Cházaro, Aroche Rosa Negra (offenbar ein lokales Produkt) und Te-Amo von Alberto and Alejandro Turrent.

Als Erstes muss ich leider feststellen: Der Friedhof Panteón General ist wegen Covid-19 geschlossen. Für Touristen so­wieso, Angehörige dürfen offiziell rein (aber auch nur zum Teil; eine weinende Mexikanerin möchte ein Grab besuchen, wird aber auch nicht hereingelassen). Ich lege darum eine Black Cházaro auf das Blumenkreuz am verschlos­senen Eisentor, damit alle Toten etwas davon haben.

Auf der Suche nach besonders schönen Altären (fast jedes Geschäft oder Restaurant hat einen aufgestellt) komme ich an etlichen passenden Orten vorbei, an denen ich ebenfalls eine Zigarrenspende hinterlasse. Schnappschüsse davon sind auf diesen Seiten zu sehen. Besonders wunder nimmt mich, was Professor Luis Eduardo Madrigal Simancas (gestorben 2011) von der Te-Amo hält, die ich ihm auf seinen Gedenkstein gelegt habe.

Viele Altäre, auf denen tatsächlich ­Zigarren liegen, finde ich nicht. Dies­bezüglicher Höhepunkt ist der ofrenda eines gewissen José Ramón González, auf der zwei Te-Amos in Kreuzform angeordnet wurden. Die Besitzerin eines Mini-Shops frage ich, ob ihre Eltern (ihre Porträts stehen auf dem Altar im Laden) gerne Puros mochten. Antwort: Ja! Also hinterlasse ich eine Cházaro.

Lebende, Zigarre rauchende Mexikaner? Sehe ich sehr wenige. Auch das hat mit Covid-19 zu tun, denn die Leute tragen ausser Hauses extrem diszipliniert ihre Masken. Einen stolzen Mexikaner erblicke ich, der genüsslich an seiner Zigarre zieht und der stark einem Verstorbenen auf einem Foto gleicht, dem ich auch eine Zigarre gestiftet habe (Macedonio Alcalá, Komponist von «Dios nunca muere», die Quasi-Hymne des Bundesstaates Oaxaca; seiner wird im Hotel One gedacht, in dem ich untergebracht bin). Habe ich ihn tatsächlich aus dem Reich der Toten angelockt? Dann wäre mein Aufenthalt in Mexiko natürlich ein voller Erfolg! Ich wage dann allerdings nicht, ihn zu fragen, ob er tatsächlich Alcalá ist.

Ein rauchender Mariachi-Musiker gerät mir auch noch vor die Linse. Er scheint allerdings eher Show- denn Genuss­raucher zu sein.

Einen Puro hinterlasse ich noch in der Alebrijes-Schnitzerei von Jacobo y María Ángeles in San Martín Tilcajete, die dort einen Altar mit selbstgeschnitzten Totenköpfen aufgestellt haben.

Und jetzt? Waren meine Experimente von Erfolg gekrönt? Verspüren die Beschenkten Freude? Vielleicht auch, weil ich jemandem eine Zigarre gestiftet habe, der sich in seinem Leben keine leisten konnte?

Ich warte äusserst gespannt auf Feedback aus dem Jenseits!