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Cigar 3/2016

Gründlich träumen

Text: Claudio Zemp Fotos: Sebastian Berger
Der ehemalige Mercedes-Manager Michael Emrich macht seit zehn Jahren nur noch, was ihm Spass macht. Die Ideen gehen ihm nicht aus, meistens sind sie ziemlich extrem.
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Michael Emrich ist kein Desperado. Er ist auch kein kleiner Junge mehr und überdies ganz gesund. Doch er folgt nur seinen Träumen, die allerdings zumeist unkonventionell sind. Emrich kann es sich leisten, ein bisschen verrückt zu tun. In seinem ersten Leben war er Manager bei Mercedes. 37 Jahre lang arbeitete der heute 64-Jährige «beim Daimler», wo schon sein Vater ein Berufsleben verbrachte. Emrich war unter anderem Marketing-Leiter im Mercedes-Büro in Tokyo und entwarf Szenarien für die Automobilisierung Chinas. Irgendwann hatte er genug, das war vor zehn Jahren: «Mein Weg bei Mercedes war fertig.» Seither macht Emrich nur noch, was ihm Spass macht. Aus Prinzip.

Emrich lebt ganz gut in Stuttgart. «Auf Halbhöhe», wie man mit schwäbischer Zurückhaltung sagt. Direkt vor dem Haus liegt ein Weinberg, darüber hinweg hat man einen spektakulären Blick auf die Neckarschlucht. Näher an die Ahnung einer tropischen Plantage kommt man in Europa wohl nicht. Emrichs Epizentrum liegt genau zwischen den Firmenzentralen von Daimler und Porsche. Er hat dort bis heute gute Kontakte, doch der Bruch in Emrichs Leben war schon hart, sagt er: «Ich fing 2006 ein zweites Leben an.» Mit einem Partner hatte Emrich bereits zuvor ein Zigarrenprojekt angerissen: «Wir dachten, eine eigene Zigarre auf die alten Tage wäre cool.» Als Emrich die erste Karriere aufgab, habe ihn dieses Projekt nahtlos in Beschlag genommen: «Die Zigarre war das Netz, das mich aufgefangen hat, als ich bei Mercedes ausgeschieden bin.» Emrichs Zigarrenmarke heisst Castro. Er hat den Namen weltweit geschützt und nutzt seine Narrenfreiheit als freischaffender Kreativer gründlich.

Castro ist ein frecher Name in der Zigarrenwelt, in der Kuba für viele das Mass aller Dinge ist. Das Design ist schlicht, ohne Schnickschnack, der Gecko hebt sich als Maskottchen von Havanna ab. Der Tabak der Castro kommt aus Nicaragua, das ist die subversive Pointe. Wenn Emrich damit einen verkrusteten Traditionalisten ärgern kann, freut er sich schelmisch. Doch bei allem Schalk meint er es schon ernst mit seinen Zigarren. Emrich legt für die Castro seine Hand ins Feuer: «Ich scheue keinen Vergleich mit Kuba.» Schliesslich sind auch die Blender und die Roller von Emrichs Partner in Nicaragua mehrheitlich Kubaner, selbst die Tabaksamen stammen aus dem Mutterland der Zigarre. Der lokale Produzent Eduardo Fernandes ist Exilkubaner, ein erfolgreicher Unternehmer, dem Emrich blind vertraut: «Er hat die ganze Wertschöpfungskette in der Hand.»

Emrich erzählt gern die Anekdote, wie er zum besten Tabak des Landes kam. Bei seinem letzten Besuch ging er an einer Tür vorbei, die mit einem Vorhängeschloss gesichert war. «Was ist da drin?», fragte Emrich unbedarft. Die Kubaner schauten sich an. Eduardo liess die Tür öffnen und Emrich sah Tabakballen, die nicht jedem gezeigt werden. «Diesen Tabak nehmen wir nur für die Familie», erklärte Eduardo. Seither gehört Emrich zur Familie. In exzessiven Sitzungen mit Eduardos «Alten Tabaknasen» bestimmte er die Blends für seine Longfiller selbst: «Die Zigarre muss in erster Linie mir schmecken.» Dass Emrichs Castro-Zigarren mittlerweile auch als Referenz-Blend für Eduardo dienen, freut Emrich. Einen Vertrag mit dem Produzenten gibt es übrigens nicht, alles ist Vertrauenssache: «Das habe ich in meiner Mercedes-Zeit gelernt.»

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Emrichs zweite Frau Michaela war auf jener Reise auch dabei. Beide haben ein erwachsenes Kind aus erster Ehe. Michaela steht beruflich auf eigenen Beinen, in der Modebranche, und sie ist finanziell nicht an den Geschäften ihres Manns beteiligt. Emotional aber schon: «Meinen Senf gebe ich gern dazu.» Als absolute Nichtraucherin wurde selbst Michaela in Nicaragua zum Probieren verleitet. Als ihr Mann mit den Blendern Blatt für Blatt der neuen Castro-Linie testete. Die Handwerkskunst des Zigarrendrehens habe sie gepackt: «Jedes Blatt wird 300 Mal in die Hand genommen. Mich faszinieren solche Dinge, wo menschliches Gespür gefragt ist, das Können und die gute Nase.»

Bei Emrich hat jedes Format eine eigene Mischung: «Körper haben sie alle.» Viele Leute sagen ihm, der milde Rauch erinnere sie an den Duft des Sonntagsstumpens ihres Grossvaters. Das Lob eines lokalen Connaisseurs hat Emrich sogar schriftlich. Der Stuttgarter Verleger Michael Klett adelte seine Castro-Zigarren in einem Brief als «vorzüglich». Doch im Moment kommt die Zigarrenmarke viel zu kurz: «Der Brand hat globales Potenzial, aber ich suche einen Partner, der Castro auf die nächste Stufe hebt.» Emrich ist offen, Gärtchendenken ist nicht seins.

Im Moment nimmt ihn das Autothema wieder in Anspruch. Die Automobile gaben den Raum in Emrichs Traumwelten nie ganz auf. Wahrscheinlich könnte man bis heute in seinem Blut Spuren von Benzin nachweisen. Mit seiner Firma Odysso Automobile ist er als Berater weiterhin im Geschäft. Auch Odysso steht für kühne Konzepte: «Wir bauen den automobilen Traum unseres Kunden.» Der Claim ist so radikal, dass man ihn erklären muss. Emrichs Vision ist das individuelle Traumauto. Er bietet ein Einzelstück an, ein Original, das kein anderer hat: «Das ist die wahre Form von Exklusivität, wie man sie aus der Architektur oder aus der Kunst kennt.»

Den Kundenkreis gibt es, aber er muss das nötige Kleingeld mitbringen. Weltweit gehören etwa 100 000 Superreiche zur Zielgruppe: «Ab drei Millionen Euro können wir miteinander reden.» Notabene geht es um frei verfügbares Spielgeld, denn wer nur sechs Millionen Vermögen hat und die Hälfte davon für ein Auto ausgibt, der würde daheim aus dem Haus geschmissen. Emrichs reale Autofantasie ist also für Leute, die in ihrem Fuhrpark schon eine Superyacht und zwei Oldtimer-Jumbojets haben. Diese Klientel möchte sich aber auch mit dem Auto von ihresgleichen absetzen, glaubt Emrich: «Stell dir vor, du hast einen nagelneuen Bugatti. Du kurvst damit stolz in Monte-Carlo um die Ecke. Und da steht schon einer!» Das kann mit einem Einzelstück nicht passieren. Emrichs Konzept ist klar, aber auch luftig, bisher gibt es erst Studien. Der Traum des Kunden zählt, Emrich würde auch den emissionsfreien Hippiebus mit goldenem Himmelbett bauen. Beziehungsweise mit dem Kunden zusammen. Denn der ist von Anfang an involviert, vom Design über die Motorisierung bis zur Ausstattung. Man kann dabei sein, wenn der automobile Traum Form annimmt.

Emrich ist geduldig. Er ist bereit, das Netzwerk steht. Er kennt die Leute, die so ein Auto bauen können. Seine Partner sind Entwickler mit Rennsporterfahrung. Und die Firma Odysso hat «en attendant» noch andere Dinge zu tun. Hier schliesst sich wieder ein Kreis, 20 Jahre nachdem sein Plan zur Eroberung des Autolandes China von der Mercedes-Führung verworfen wurde: Emrich ist mit chinesischen Produzenten und Investoren im Gespräch. Die Zeit ist reif für das chinesische E-Mobil.

Hoch über dem Neckar lebt Michael Emrich, im Weinberg reift der Bad Cannstatter Zuckerle. Er liebt die Freiheit und nutzt sie auch. Das Leben ist zu kurz, um es einer Firma zu schenken. Emrich malt auch gerne, aber ohne Ambitionen: «Ich produziere meinen eigenen dekorativen Wandschmuck.» Dass irgendwann einer seiner Businesspläne richtig zündet, das bleibt Emrichs Vision. Er hat das in seiner ersten Karriere selbst erlebt: «Es macht schon Spass, wenn es richtig pumpt.» Die Ideen haben eine Sprengkraft. Die Frage ist nur, welche zuerst zündet. Druck hat er keinen. Nichts muss, alles darf. Aber es wäre schon lustig, wenn es ein bisschen Lärm macht und ein bisschen raucht. So macht es einfach Spass.