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Cigar 2/2016

Herzlichkeit ist eine Haltung

Interview: Sarah Kohler Fotos: Stefan Kaiser
Carsten K. Rath hat Zürich mit dem «Kameha Grand» ein durch und durch opulent inszeniertes Hotel beschert. Ein Gespräch über Servicequalität, Schubladen und Steuerparadiese.
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Auf Ihrer Website liest man von einer «einzigartigen Service-Philosophie» und von «revolutionären Ideen», die Sie sich attestieren.
Carsten K. Rath: Die attestiere ich mir nicht selbst; das wäre überheblich. Wir besinnen uns in der Hotellerie und Gastronomie immer wieder auf den Nukleus: die Herzlichkeit. Viele Hotels haben ein grossartiges Design, andere sind Traditionalisten, bei den Speisen wie auch bei den Getränken entscheidet immer das Rohprodukt – aber all das kann ich auch woanders haben. Ich behaupte: Freundlichkeit kann ich vielerorts finden, sie ist nämlich käuflich. Herzlichkeit nicht. Grosser Unterschied! Herzlichkeit kann man nicht trainieren, sie ist eine Voraussetzung, eine Haltung. Wenn ich mich ums Wohl der Gäste bemühe, gehts immer um eine Verbindung zwischen Menschen. Die entscheidende Frage lautet: Ist sie einzigartig, besonders, warmherzig, ehrlich, authentisch, glaubhaft? Oder nur nüchtern, zufriedenstellend, vielleicht freundlich?

Ist das die revolutionäre Idee?
Das ist die Service-Philosophie, die wir stringent durchziehen. Es geht bei der Haltung immer um alles. Zusätzlich interpretieren wir die Grand Hotellerie neu. Anders. Wenn Sie einen traditionellen Gast im Fünf-Sterne-Betrieb fragen, wie er die Grand Hotellerie definiert, wird er sich an Häusern orientieren, die zeitlich eher nach hinten gewandt sind, die seit über 100 Jahren existieren. Tatsächlich waren echte Grand Hotels aber immer Revolutionen ihrer Zeit. Wer war denn der Gründer der Grand Hotellerie?

César Ritz?
Richtig. Und was machte der? Er war der erste Grand Hotelier, der Elektrizität in ein Gebäude einbaute; nicht etwa in ein Hotel – in ein Gebäude! Wer war noch ein grosser Hotelier? Lorenz Adlon. Er wiederum war der erste Gastgeber, der fliessend kaltes und warmes Wasser in ein Gebäude installierte, sodass der deutsche Kaiser sein erstes Bad im «Adlon» in Berlin nahm. Das waren revolutionäre Gedanken, die nichts mit Tradition zu tun haben. Natürlich ist ein «Baur au Lac» ein exzellentes Grand Hotel, aber es gibt auch eine moderne Variante. Ich möchte an dieser Stelle einen weiteren Beweis antreten. Es gab mal eine Hotelkette, die Luxus darüber definierte, dass sie dem Gast ein «home away from home» schaffe. Ein Zuhause weg von zuhause? Das will kein Mensch mehr. Wenn ich verreise, möchte ich nicht das Gleiche wie daheim erleben, ich möchte überrascht und inspiriert werden, Neues entdecken.

Inwiefern trifft das auf das «Kameha Grand» in Zürich zu?
Nehmen Sie das Design. Heute presst man ja gern alles in Schubladen: Bauhausstil, Jugendstil, kein Stil ... Und welchen Stil haben wir hier? Ich erfand extra einen Begriff, damit auch wir in eine Schublade passen: Neobarock. Das gibts eigentlich gar nicht(lacht).

Was ist denn hier so einzigartig, ganz konkret?
Wir stellten die Gastronomie auf den Kopf. Der Gast kann bei uns essen und trinken, was er will, wo er will, wann er will und wie er will. Sie kennen das: Sie sind im Hotel und möchten um 13 Uhr frühstücken. Welche Antwort kriegen Sie in einem klassischen Haus? Eben. Aber warum können Sie um diese Zeit nicht frühstücken? Klar, keiner baut nochmals das ganze Buffet auf, aber alles, was darauf stand, ist jetzt im Kühlraum und braucht bloss rausgenommen und serviert zu werden. So. Ausserdem kreierten wir hier Welten, die der Gast nicht braucht, in denen er sich aber wohlfühlt. Kein Mensch muss eine Shisha-Lounge haben – aber genau die gehört hier zu den Lieblingsplätzen unserer Gäste.

Im August wird das «Kameha Grand» ein Jahr alt. Läuft es gut, kommt es gut an?
Das sind zwei unterschiedliche Fragen, die ich unterschiedlich beantworten möchte.

Ich bitte darum.
Läuft es gut? Es gibt Dinge, die laufen hervorragend. Andere brauchen mehr Zeit. Fangen wir mit dem Positiven an, weil mir das leichter fällt. Die Gastronomie läuft super, der Italiener, die Lounges, das Gourmetrestaurant, die Terrasse: ein Erfolg von der ersten Minute an. Die Seminarräume sind auch gut gebucht. Hingegen schufen wir einen «Dome» – den grössten Konferenzsaal der Schweiz mit 701 Quadratmetern, über sieben Metern Deckenhöhe, Glasfassade und eigener Terrasse –, der noch nicht so gut läuft. Er ist perfekt, aber wenige wissen, dass es ihn gibt. Damit tue ich mich schwer, das war eine grosse Investition. Der Spa indes ist beliebt. Und die Zimmer? Da wünsche ich mir schon noch eine bessere Auslastung. Dafür ist diese bei den Themensuiten exzellent.

Warum haben Sie sich für den Standort Zürich entschieden?
Diese Frage muss man historisch betrachten. Wann wurde die Entscheidung für dieses Hotel gefällt? Vor sechs Jahren. Damals war Zürich, mit Verlaub, eine andere Stadt als heute. Zürich war Boomtown, eine coole Enklave mit Bankern, Bankgeheimnis, Geldern aus aller Herren Ländern, einem sehr gebildeten Volk, einer liberalen Einstellung zu Europa. Zürich war für mich damals das Paradebeispiel – am nächsten an der Perfektion, in der man leben möchte. Und was passierte? Das ist jetzt eine sehr geopolitische, volkswirtschaftliche, egoistische Betrachtung, die folgt.

Schiessen Sie los.
Zunächst einmal liessen sich die grossen Banken und später der schweizerische Staat vom amerikanischen Staat dominieren. Während das Steuerparadies Delaware zu blühen begann, legte man die Schweiz trocken. Wir waren plötzlich vergleichbar, das Bankgeheimnis wurde gelüftet, der Druck wuchs. Wissen Sie: Die Schweiz mag Gleichheit ja nicht – richtigerweise –, weil die nie zu Elite führt, nie zu Ergebnis. Aber die Mittelmässigen streben danach: Sie ziehen lieber die Guten runter, als selber besser zu werden. Genau das passierte uns mit der Schweiz: Die Mittelmässigen griffen an und taten der Schweiz weh. Plötzlich wars schwer, Gelder aus anderen Ländern hereinzubringen, es gab einen Rechtsruck. Als Ausländer, das kann ich beurteilen, fühlte man sich nicht mehr so wohl im Land.

Sind Sie enttäuscht von Zürich?
Überhaupt nicht, sonst wäre ich nicht mehr hier. Aber ich möchte das mal aufarbeiten. Was kam dann? Die Ukraine-Krise. Damit verbunden waren Sanktionen, und Putin sagte seinem Volk: Ihr reist bitteschön nicht mehr in den Westen – Sotschi ist auch schön. Oder die Folgen des Arabischen Frühlings: Ganz Nordafrika liegt brach, die Angst, zu reisen, ist gross. Und dann – wer erinnert sich nicht? – am 15. Januar 2015 der Frankenschock. Aber es ging noch weiter: Heute haben wir keine asiatischen Individualtouristen mehr, weil sie Terrorangst haben. Nicht explizit in Zürich, aber wegen London, Paris oder Brüssel – und sie kommen nur in die Schweiz, wenn sie auch nach Europa reisen.

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Sind Sie zuversichtlich?
Die Schweiz hats immer geschafft. Gleichwohl bin ich vielleicht nicht intelligent genug oder habe nicht genug Fantasie, Erfahrung oder Hintergrundwissen, um zu sagen, wie. Ich zweifle schon ein wenig, es besorgt mich.

Sie sind doch ein erfolgreicher Mensch ...
Was ist denn erfolgreich?

Sagen wir mal: wirtschaftlich erfolgreich.
Was ist denn wirtschaftlich erfolgreich? Mit Abramowitsch verglichen, bin ich der Dreck unter dem Fingernagel. Aber ich kann mir mein Schnitzel für morgen kaufen, ja.

Sie haben einen Werdegang, der darauf schliessen lässt, dass Sie ehrgeizig sind und Ihre Ziele erreichen. Nein?
Nein.

Wie sind Sie denn?
Sehen Sie: Da kommt wieder die Schublade. Für mich ist Erfolg, frei zu sein. Freiheit ist mir der grösste Trieb. Natürlich gibt es Mittel, die mich frei machen: Gesundheit, vor allem, oder eine gewisse Summe Geld, um Ihre monetäre Frage aufzugreifen – weil ich damit eine Zigarre kaufen kann, wenn ich eine rauchen möchte. Aber das sind Mittel, der Zweck ist die Freiheit.

Die philosophische Überlegung ist schön. Was ich aber eigentlich fragen wollte: Wie geht ein Mensch wie Sie mit Zweifeln um?
Jeden Tag, immer wieder. Zweifel sind Störfaktoren, sie sind Motor und Leitplanke. Was ist die Leitplanke von Freiheit? Verantwortung. Und in dieser Verantwortung zweifelt man immer wieder.

Sie wurden 2010 in Deutschland zum «Arbeitgeber des Jahres» gekürt. Was macht Sie als Arbeitgeber aus?
Fordern und fördern. Ich polarisiere sicher: Manche Menschen wollen mit keinem anderen mehr zusammenarbeiten, andere sehen mich und wechseln die Strassenseite. Ich lobe, was es zu loben gibt, und kritisiere, was es zu kritisieren gibt. Respektvoll im Ton, aber klar in der Sache. Das ist mein Weg: Wir schulden uns, dem Mitarbeiter und vor allem dem Gast Klarheit: Political correctness führt selten zum Ziel.

Und das handhaben Sie auch gegenüber dem Gast so?
Nein, der Gast ist für mich König. Und trotzdem begegnen wir ihm auf Augenhöhe. Ich erniedrige mich nicht, wenn ich diene, das verwechseln viele. Dienen ist ein Handwerk, eine Kunst, eine Philosophie. Ich inszeniere den Gast. Wenn dieser jedoch einen Mitarbeiter beleidigt, überschreitet er eine Grenze – und da kommt die Leitplanke der Verantwortung ins Spiel. Wissen Sie, glückliche Mitarbeiter machen zufriedene Gäste. Umgekehrt motivieren glückliche Gäste meine Mitarbeiter.

Haben Sie hier im Hotel eigentlich Einblick in alle Bereiche?
Das ist eine spannende Frage. Ich bin alle Bereiche.

Wie das?
Die Idee meines Hotels bin ich: meine Küche, meine Speisekarte, meine Weinauswahl. Nicht im egoistischen Sinn – ganz und gar nicht.

Man braucht in Ihrer Position aber schon auch die Fähigkeit, Aufgaben aus der Hand zu geben.
Da habe ich eine einfache Regel: Ich stelle Menschen an, die besser sind als ich – zumindest in dem, was sie tun. Wenn ich besser kochen kann als mein Küchenchef, haben wir ein Problem. Ein schlauer Mann sagte mal: Wenn du Menschen einstellst, die schlauer sind als du, bist du schlauer als sie.

In Ihrem aktuellen Buch nennen Sie 55 Gründe, ein Grand Hotel zu eröffnen. Welcher war für Sie entscheidend?
Ein Hotel ist eine kleine eigene Welt, die alles bietet: Da gehts um Leben und Tod, um die menschlichen Grundbedürfnisse – Essen, Trinken, Schlafen –, um Luxus, um Sport. Alles, was Sie im Leben erleben, ist auch in der Nische Hotel möglich. Das zu gestalten, ist für mich das Schönste. Ich habe hier viel Spielraum zur Inszenierung.

Sie haben international in vielen Häusern gearbeitet, viele geleitet, viele eröffnet. Wie hat das Ihre Vorstellung vom eigenen Hotel geprägt?
Das verschmilzt natürlich alles. Ich bin ja nicht der Erste, der eine Zigarre anzündet, und nicht der Letzte, der eine Flasche Rotwein öffnet. Alles war schon mal da. Ich nahm viele Dinge mit – und konnte irgendwann sagen: So hätte ichs gerne. Über allem aber muss eine einzige Frage thronen: Was hat mein Gast davon?

Wie ist der Gast des «Kameha Grand» denn so?
Er kommt hauptsächlich aus der Schweiz – der Anteil liegt mittlerweile bei 67 Prozent –, er ist erfahren, er ist wohlhabend, aber nicht reich, er ist cool, aber nicht aufgesetzt. Er ist sehr freiheitsliebend, reist viel und macht sein Ding. Ein toller Freund.

Apropos Reisen: Wo entsteht Ihr nächstes Hotel? Das nächste Haus wird ein Buch. Es erscheint am 15. September und trägt den Titel «Das Leben – ein bunter
Hund». Mit meiner Geschäftspartnerin Sabine Hübner betrachte ich darin Themen, die ich für aktuell, relevant und spannend halte – Themen, die Sie auf jeder Cocktailparty als oberflächliches Geplänkel erleben, die aber auch in tiefen, psychologischen Gesprächen aufkommen. Es ist ein Buch ohne Antworten, das viele Fragen stellt.

Als kein nächstes Hotelprojekt?
Aktuell nicht.

Ich habe allerdings gelesen, dass Sie unter der Marke «Kameha» dereinst 20 Häuser …
… ach, das war einmal, So eine Vision. Wissen Sie, Helmut Schmidt sagte: Wer Visionen hat, muss zum Arzt – oder muss sie umsetzen. Ich muss zum Arzt.

Carsten K(arl) Rath ist ein Grand Hotelier mit grossen Visionen. Er ist auch Vortragsredner, Buchautor und Managementberater. Zentrales Thema für den 49-jährigen Rheinländer sind «Leadership» und «Service Excellence». Nach der Ausbildung in einem Schwarzwälder Familienhotel sammelte er nicht nur Erfahrungen in der Luxushotellerie auf vier Kontinenten, sondern rasch auch etliche Meriten: Rath wurde unter anderem zum «Gastgeber des Jahres», «Hotel- Manager des Jahres» und «Arbeitgeber des Jahres» gekürt. Insbesondere tat er sich als Eröffnungspro hervor und bereitete zum Beispiel das Berliner Hotel Adlon, das «Kempinski» in London oder das «Ritz-Carlton» in Naples, USA, auf den Markt vor. 2008 wagte Rath den Schritt in die Selbstständigkeit, gründete die Lifestyle Hospitality & Entertainment Management AG und lancierte unter deren Dach die Hotelgesellschaft Kameha Hotels&Resorts. Mit dieser betreibt er die «Kameha Suite» in Frankfurt sowie das Hotel Kameha Grand in Zürich und ist Lizenz- und Namensgeber des «Kameha Grand» in Bonn.

www.carsten-k-rath.com

Die Aufmerksamkeit war gross, als das Hotel Kameha Grand Zürich im August 2015 im Glattpark eröffnete. Schliesslich sind die Dimensionen des Hauses alles andere als bescheiden: 245 Zimmer, ein Gourmet- sowie ein italienisches Restaurant, ein «Grand Spa», eine Shisha- und eine Cigar-Lounge sowie zig Konferenzräume – darunter der grösste landesweit. Nicht zu vergessen die aufregenden Themensuiten, die ein Herzstück des «Kameha Grand» sind: die «Burlesque Suite» mit flauschig-rotem Teppich, verzierten Spiegeln und Handschellen als Accessoire etwa, die «Poker Face Suite» mit entsprechendem Tisch oder die «Space Suite» mit schwebendem Bett und Weltraumsound. In der opulent inszenierten «Smoker’s Lounge» lässt es sich gepflegt entspannen. Für den Rauchgenuss sorgt das breite Sortiment an kubanischen, dominikanischen und nicaraguanischen Zigarren, und wer beim Schmauchen eine trockene Kehle bekommen hat, dem stehen erlesene Spirituosen zur Verfügung – darunter über 130 verschiedene Flaschen Whisky sowie 50 Sorten Gin.

Kameha Grand Zürich
Dufaux-Strasse 1/Ecke Thurgauerstrasse
8152 Glattpark / Zürich
044 525 50 00
www.lieblingsplatz.com