Big Smoke
Eine Hommage an den Genuss
Lassen Sie uns eins gleich feststellen: Sie sind 85 geworden und wirken fast schon jugendlich fröhlich.
Migg Eberle: Das hängt natürlich vom Gegenüber ab! Aber ja, es stimmt: Ich bin fröhlich, weil wir hier im Dorfhus in der Aufbauphase stecken und sehen können, wie es vorwärtsgeht. So ist das doch: Man ist glücklich, wenn der Laden läuft, und traurig, wenn er es nicht tut.
Und wie sorgt man dafür, dass er läuft?
Schaffen, schaffen, schaffen! Man muss arbeitsam sein, und zwar normal, nicht spielerisch an der Börse oder so. Und dann, wenn man das Resultat der eigenen Arbeit sieht, stimmt einen das glücklich. Ich bin ein Macher, der nie in die Ferien fährt und Plausch an der Arbeit hat. Wenn ich drei Wochen an der Côte d’Azur unten im Liegestuhl hocke, hab ich am Ende ja kein Resultat, sondern bloss einen leeren Geldbeutel.
Gab es in Ihrem Leben keine Momente, in denen Sie nicht gern arbeiteten?
Ganz ehrlich: sehr selten. Man hat natürlich viele Probleme, wenn man arbeitet, und die stinken einem mitunter gewaltig. Aber oft lassen sich Probleme ja lösen, und das macht einen wieder zufrieden. Darauf trink ich dann gern ein Glas Wein!
Sie könnten ja längst entspannt Ihren Ruhestand geniessen. Tun Sie aber nicht.
Das ist nichts für mich. Wir haben aktuell verschiedene neue Projekte am Start, auch in Rehetobel. Zum Beispiel gehören mir hier nebenan noch 7000 Quadratmeter Boden, auf denen ich 40 Wohnungen für Menschen ab 50 bauen möchte – mit Anschluss ans Dorfhus. Und etwas weiter oben haben wir die Liegenschaft Ob dem Holz gekauft, ein geschlossenes Altersheim. Hier möchten wir ein Personalhaus sowie eine Kochakademie aufbauen.
Das klingt spannend.
Mir schwebt eine Art Werkstatt für junge Köche aus aller Welt vor, die hier gratis wohnen und essen, während sie sich austauschen, uns ein Stück ihrer kulinarischen Kultur vermitteln und umgekehrt etwas von unserer Kochtradition zurück in die Heimat nehmen. Das entspricht dem Trend.
Inwiefern?
Die Leute wollen heutzutage mehr und verschiedene Geschmäcker. Zum Beispiel mögen sie die asiatische Richtung. Also können wir doch unsere Appenzeller Küche einfach ein bisschen asiatisch interpretieren – vielleicht mit einer Appenzeller Frühlingsrolle. So wächst die Welt zusammen, das möchte ich fördern.
Einer, den Sie vor vielen Jahren gefördert haben, ist Walter Klose. Als Küchenchef im Gasthaus zum Gupf hält er inzwischen seit Jahren einen Stern und 18 Punkte.
Das war eine Sache! Ursprünglich züchtete ich hier in der Gegend hobbymässig Pferde, und als der Gupf frei wurde, kaufte ich ihn bei Nacht und Nebel. Das Gasthaus war 1981 abgebrannt, und ich baute es an erhöhter Lage nach meinen Vorstellungen neu auf. Walter ermutigte ich bei seinem Start im Gasthaus zum Gupf, etwas Verrücktes zu wagen. Er machte es zu einem der besten Restaurants des Landes. Zwischenzeitlich war aber Daniel Humm auch noch als Küchenchef bei mir: Er war super, arbeitete für die Region jedoch zu exklusiv. Also sagte ich ihm: Geh nach Amerika! Das tat er, und heute sieht man, was daraus geworden ist. Ich hätte ja gern eine Gastronomiekette aufgebaut, so wie Rudi Bindella, mit 30 oder 40 Lokalen. Damit kann man besser geschäften, weil das Risiko in der Gruppe geringer ist.
Worauf achten Sie als Unternehmer denn bei gastronomischen Projekten?
Es braucht eine klare Linie, einen eigenen Weg, den man durchzieht und für den die Gäste zu einem kommen. Das Gasthaus zum Gupf mit seinen 50 Plätzen ist immer voll, also machen wir unsere Sache wohl gut. Das Dorfhus haben wir gebaut, um eine weitere Gastronomie mit einer auf den Grill fokussierten Küche und insbesondere die dringendst nötigen zusätzlichen Zimmer für Übernachtungsgäste anzubieten. Deshalb lancierten wir auch einen Shuttledienst ins Gasthaus zum Gupf. Jetzt weiss ich allerdings nicht, ob das Ganze ein Riesenfehler war – oder doch nicht.
Wie meinen Sie das?
Ein Hotel bauen in der heutigen Zeit? Wir gerieten mit der Eröffnung des Dorfhus voll in die Pandemiewelle, was eine erfolgreiche Planung sehr schwierig macht. Als Unternehmer verdiene ich ja Geld und investiere es wieder, aber das muss ich schon durchziehen können. Damit ich eben weiter investieren kann. Ich stecke alles, was ich einnehme, gleich in ein nächstes Projekt. Mich reizt das Neue.
Ihnen wird schnell langweilig.
Sofort. Ich muss machen, und zwar ständig. Wenn es blöd läuft, falle ich halt auf die Schnauze, das passiert. Wer behauptet, er sei immer erfolgreich, lügt. Das ist ein Naturgesetz, wie die Wellen auf dem Meer: rauf und runter. Kommt man unten an, reisst man sich zusammen und sorgt dafür, dass es weiterläuft. Und wenn man obenauf schwimmt, wappnet man sich für den Moment, in dem es wieder runtergeht.
Wo haben Sie das gelernt?
In der Primarschule. Der Dreisatz, den heute ja leider keiner mehr beherrscht, ist im Prinzip entscheidend. Es geht ums einfache Rechnen: eins plus eins, zwei plus zwei. Und ich muss mich richtig einschätzen: Wenn ich gut singen kann, singe ich, sonst lasse ich es bleiben. Das gilt im Unternehmertum genauso: Entweder habe ich dafür die Nase oder eben nicht.
Sie versuchten Ihr Glück auch in Amerika.
Anfang der Neunzigerjahre lagen die USA am Boden, da sagte ein Bekannter zu mir: Migg, jetzt musst du Boden kaufen. Ich hatte doch keine Ahnung von Amerika, sprach kaum ein Wort Englisch. Aber im Fernsehen lief damals eine Serie mit dem Titel The Hollywood Hills – die kannte ich. Als mich die Maklerin also fragte, wo ich denn gern ein Haus haben wolle, nannte ich das Einzige, was mir in den Sinn kam: Hollywood Hills. Die Dame fiel fast vom Stuhl. Aber ich sagte ihr: Ich brauche da keine Flugpiste oder so, ich will da einfach einen Hügel für mich und mit nacktem Hintern rumlaufen können, ohne dass mich einer sieht. Wir besichtigten ein Anwesen auf dem Hügel ganz in der Nähe des Hollywood-Schriftzugs. Stellen Sie sich das mal vor! Das ist heute zehnmal mehr wert. Und: Es gehört noch immer unserer Familie. Wissen Sie: Was ich bisweilen mache, kann nur ein Depp tun. Aber die Dummheit ist genau entscheidend. Nur aus lauter Dummheit wagt man sich an solche Sachen heran. Ich glaube ja nicht ans Glück.
Nein?
Ich glaube an die Dummheit. Und an die Tüchtigkeit: Arbeiten, arbeiten und nochmals arbeiten. Irgendwann kann man von mir aus dann auch einen Ferrari fahren. Das machte ich früher auch, damals, als ich den Frauen noch imponieren wollte. Heute bin ich ein alter Mann. Meine Frau fährt Porsche, aber mir ist das inzwischen zu unbequem. Deshalb habe ich jetzt einen Bentley; der bietet schön viel Platz, und wenn man den richtigen Knopf drückt, wird einem der Rücken massiert.
Sie sind ein Genussmensch.
Genuss ist wichtig – und zwar im Alltag. Es kann nicht sein, dass man nur drei Wochen im Jahr geniesst, wenn man in den Ferien ist. Das muss man jeden Moment tun. Das Leben an sich ist ein Genuss: ein Glas Wein trinken, eine Zigarre rauchen – so geht das. Das Glück liegt nicht im Luxus, sondern in den einfachen Dingen.
Wobei Sie sich ja durchaus auch mit Luxus umgeben.
Aber ja, klar habe ich ein schönes Haus. Ich finde, wer hart gearbeitet hat, soll am Ende auch den Luxus geniessen, den ihm das ermöglicht. Aber wirklich beeindruckt bin ich von Menschen wie Christoph Blocher: Er ist eins meiner Vorbilder und immer ein einfacher Mann geblieben. Ausserdem imponiert mir natürlich seine Kunstsammlung. Ich sammle ebenfalls Kunst – allerdings mit dem Unterschied, dass die regionalen Künstler, in die ich investierte, nie berühmt wurden. Aber obschon meine Bilder keine Anlage für die Zukunft sind und keinen monetären Wert haben, besitzen sie einen persönlichen. Und der zählt am Ende auch.
Im September feierte Migg Eberle seinen 85. Geburtstag. Er erfreut sich, so gewinnt man den Eindruck, guter Gesundheit und bester Laune. Dazu hat er auch allen Grund: Der Bauernsohn, der im St. Galler Rheintal in einfachen Verhältnissen aufgewachsen war, schlug im Laufe seines Lebens immer mal wieder neue und mitunter überraschende Wege ein, die oft zum Erfolg führten. So verdiente er mit 16 als Trompeter in einer Tanz-Band gutes Geld, bevor er den Beruf des Schreibmaschinenmechanikers erlernte. Nach dem Tod seines Vaters, Eberle war gerade 20, musste er jedoch mit seiner Mutter den elterlichen Hof übernehmen. Später heiratete er seine erste Frau, mit der er nicht nur zwei Kinder hat, sondern auch die über die Schweiz hinaus erfolgreiche Büromöbelfirma Sitag gründete. Zwischenzeitlich versuchte Eberle sein Glück in Amerika. Und dann im Appenzellischen: In Rehetobel kaufte er 1981 die Liegenschaft Gupf, baute das abgebrannte Gasthaus an erhöhter Lage neu gestaltet auf und verwandelte dieses nach und nach in ein Gourmetlokal mit nationaler Strahlkraft. Seit 2003 ist Walter Klose sein Partner in der Betriebs AG und amtet als Geschäftsführer. Er steht hier ausserdem seit über zwei Jahrzehnten am Herd und hält aktuell einen Stern sowie 18 Punkte. Auch das jüngste abgeschlossene Projekt des Immobilienunternehmers Eberle ist gastronomischer Natur: Gemeinsam mit seiner Frau Sila Zinsli Salis baute er in Rehetobel das Hotel und Restaurant Dorfhus Gupf, das im Juli 2020 eröffnete. Als Geschäftsführerin amtet hier Sabrina Vogel, als Küchenchef Christoph Zoller. Weitere Projekte sind in der Pipeline.
dorfhus-gupf.ch