Big Smoke
Eine Hommage an den Genuss
Keine Korruption und keine organisierte Kriminalität», Ricardas Kacanauskas zählt demonstrativ zwei Finger von der Hand und bläst den Zigarrenrauch genüsslich in den Raum des noch keine sechs Monate alten Restaurants im Zentrum von Minsk. «Belarus ist anders als die Ukraine oder Russland, hier braucht man niemanden zu bestechen, um Geschäfte abzuschliessen, hier gibt es Regeln», sagt der junge Chef eines Küchenbau-Unternehmens mit stolzer Brust. Was er nicht sagt: In Belarus bestimmt einzig der Präsident die Regeln. 70 Prozent aller Immobilien, Geschäfte oder Hotels gehören dem Staat. Gute Kontakte zum Clan der «Nummer eins» sind in jedem Fall von Vorteil.
Es ist Sonntagabend. Auf dem überdimensionierten Flachbildschirm kämpfen Russland und Kanada um den Sieg der Eishockey-Weltmeisterschaft. Russland wird sechs zu eins vom Feld geschossen, betretene Gesichter überall, die Mehrheit der Anwesenden hat sich einen anderen Spielverlauf gewünscht. Erstaunlich, denn die Beziehung zwischen der ehemaligen Sowjetrepublik und Russland ist kompliziert. Gräben und Gemeinsamkeiten treten vor allem seit der russischen Annexion der Krim offen zutage.
Der seit 1994 autokratisch regierende Präsident Alexander Lukaschenko gilt zwar traditionell als Partner von Wladimir Putin, mit dem russischen Machtanspruch in der Region tut er sich indes schwer. «Jetzt bin ich nicht mehr der letzte Diktator Europas», sagte der 60-Jährige diesen April wohl nur halb scherzend in einem Interview mit der Nachrichtenagentur «Bloomberg». Belarus liegt eingeklemmt zwischen der Ukraine, Polen und Russland, hier prallen die Fronten von Ost und West aufeinander. Und Minsk ist das Auge des Sturms.
Ein ruhiger Ort mit zahlreichen Casinos (diese sind in Russland mehrheitlich verboten), exklusiven Restaurants, sicheren Strassen und edlen Zigarren. Der historische Kern der Stadt besteht gerade mal aus einem guten Dutzend Häuser, der Rest wurde nach dem Zweiten Weltkrieg von deutschen Kriegsgefangenen nach den architektonischen Vorstellungen von Josef Stalin wiederaufgebaut. Die einstige «Vorzeigestadt des Kommunismus» besteht, so scheint es, fast ausschliesslich aus Palästen. Vor dem «Palast der Staatssicherheit» (der Geheimdienst heisst in Belarus noch immer KGB) gedeihen rosarote Tulpen, der «Palast der Post» ist sechs Etagen hoch und mit einem imposanten Kronleuchter ausgerüstet. Sogar die Einkaufszentren der Innenstadt wirken wie Paläste einer vergangenen Zeit.
Sowjetnostalgiker kommen in Minsk auf ihre Kosten, so viel ist sicher. Unter der blitzblank sauber geputzten Haut der Stadt brennt indes ein ganz und gar kapitalistisches Feuer. In der Minsker Oberschicht tummeln sich Geschäftsmänner jeglicher Couleur, Abenteurer, Investoren und schöne Frauen. «Nichts ist schlimmer, als zu versagen, einzig der Erfolg zählt hier etwas», erklärt Kacanauskas. Die jährliche Inflation des belarussischen Rubels wird dieses Jahr wohl über 20 Prozent betragen, dafür sind je nach Geschäftsfeld «noch weit höhere Margen drin». In den letzten drei Jahren sind in Minsk neue Restaurants, Clubs und Ladenlokale geradezu aus dem Boden geschossen. Einer, der die Entwicklung der Stadt bestens kennt, ist Jeremy Casdagli, seines Zeichens Engländer, Zigarrenhändler und Reisender.
Wir treffen uns um 16 Uhr im «Grand Café», nur zwei Schritte entfernt von der Altstadt. Wer hier speist, der ist entweder Ausländer oder gehört zu den oberen Zehntausend der 1,9 Millionen Einwohner zählenden Stadt. Die Preise können mit Zürich mithalten, die servierte Qualität allerdings auch – locker. «Ich hatte leichtes Spiel», erinnert sich Casdagli an seine Ankunft in Minsk vor vier Jahren. Erhältlich waren damals einzig vom Staat importierte, völlig ausgetrocknete kubanische Zigarren. «Die hatten schlicht nicht verstanden, dass Zigarren einen Humidor brauchen.»
In nur einem Tag gründete Casdagli einen belarussischen Ableger seiner Firma Bespoke Cigars mit allen nötigen Papieren und begann, seine Zigarren nach Minsk zu importieren. Das war 2012. Die Anzahl an gehobenen Lokalen war noch ziemlich überschaubar, das «Grand Café» feierte eben erst seine Eröffnung. Er besuchte jedes Restaurant, jeden Club persönlich und schulte das Personal im richtigen Umgang mit Zigarren. «Minsk war ein fast geschlossener Markt, ein gutes Versuchslabor für meine Zigarren», so Casdagli, der seine Longfiller auch im Baltikum, in Kroatien, Schweden, im Libanon, in Dubai, Russland und an ausgewählten Orten in den USA vertreibt. 75000 Zigarren beträgt die Jahresproduktion derzeit, auf bis zu 150000 Stück kann diese laut Casdagli ausgeweitet werden. «Wir reden hier von Boutique-Zigarren im wahrsten Sinn.» Gefertigt werden die insgesamt zehn Formate einerseits in der Dominikanischen Republik in der Manufaktur von Hendrik Kelner Junior (vier Formate), andererseits in Costa Rica.
Im «Grand Café» kommt als Rauchbegleitung nur eine Zigarre in Frage. Das Flaggschiff von Bespoke, ein Lanzero- Format, trägt nicht ohne Grund den Zusatz «Grand Café»; es war diesem Lokal – zumindest in Belarus – bis vor Kurzem exklusiv vorbehalten. Doch die Zeiten wandeln sich, oder präziser: Die Regeln haben sich geändert. Seit Neustem redet der belarussische Staat beim Verkauf von Zigarren ein gewichtiges Wörtchen mit. Jetzt braucht es dafür eine Lizenz, die nur erhält, wer über 20 Angestellte beschäftigt und dem Staat 25 Prozent des Unternehmens überschreibt. «Wir werden in Zukunft eine staatliche Firma mit unseren Zigarren beliefern, die wiederum unsere Kunden versorgt, allerdings nur, wenn man mir eine optimale Lagerung der Zigarren garantieren kann.» Jeremy Casdagli ist freundlich und optimistisch. Was bleibt ihm auch anderes übrig?
Die Bespoke Grand Café ist eine interessante, ausbalancierte Zigarre. In der Einlage kombiniert Hendrik Kelner Junior neben nicaraguanischem Viso-Tabak aus der Condega-Region und dominikanischem Seco-Tabak auch ein wenig Pennsylvania Broadleaf. Die Mischung verleiht der Zigarre eine elegante Süsse und viel Körper. Jeremy Casdagli bestellt Whisky sour, es ist der Auftakt zu einer ausgiebigen Tour durch die Minsker Gastronomie.
Die Lokale heissen «Café de Luxe», «Insomnia», «Sweet & Sour», «Café de Paris», «Blondes & Brunettes» oder eben «Grand Café». Und sie sind Orte mit einem durchdachten Ambiente, hervorragendem Service, feiner Küche und gutaussehendem Personal. Die Rate an Models hinter und vor den Tresen ist beachtlich. Im «Sweet & Sour» kostet der «old fashioned» (übrigens der beste der Stadt) umgerechnet rund sechs Euro, der Durchschnittslohn in Minsk beträgt zirka 500 Euro. Am Wochenende wird gefeiert. Geld scheint unter den Gästen kein Problem, oder nur dann, wenn die Kreditkarte nicht funktioniert und man sich mit Bündeln fast wertlosem Rubel herumschlagen muss. Der Loup de mer im «Café de Luxe» ist auf den Punkt gegart, im «Blondes & Brunettes» ist Jazzabend. Das Rauchen einer Zigarre ist überall akzeptiert, wohl auch deshalb gibt es bis heute in Minsk keine einzige Raucherlounge. Das wird sich aber ändern.
Im November soll am Rande der Altstadt neben dem «Palast der Republik» (die Einheimischen nennen den Bau liebevoll «Sarkophag») die erste Zigarrenlounge der Stadt eröffnet werden. Geplant sind ein Restaurant, ein Shop und zwei VIP-Lounges auf insgesamt drei Stockwerken. Mitinitiant ist Alex Sadovoi. Der Zigarrenliebhaber in den Dreissigern besitzt bereits drei Restaurants und einige Barbershops, zugeschnitten auf ein junges (Hipster-)Publikum. Das Schwierigste bei neuen Projekten sei das Kapital, sagt er. Dieses Jahr würden die Banken für einen Kredit über 40 Prozent Zins verlangen. «Es geht nur mit privaten Investoren.»
Die erste Nacht in Minsk zieht sich bis in die frühen Morgenstunden. Die Lokale und Clubs sind voll und stehen jenen in London oder Zürich in nichts nach. Eintritt kriegt, wer schicke Schuhe trägt und die Preise zahlen kann. Erst wenn das Taxi bei dämmerndem Tageslicht durch die menschenleere Innenstadt rollt, vorbei an all den Palästen und eisernen Statuen toter sowjetischer Helden, beim Versuch, die Gedanken zu ordnen, wird einem bewusst, dass man sich in einer Blase befindet, am Rande Europas, in einem Schneekugelhaus, das sich niemand zu schütteln getraut.
Jeremy Casdagli (54) handelt seit über 20 Jahren mit Zigarren. Aufgewachsen ist der Spross einer anatolischen Händlerdynastie in England. Nach der Boarding School absolvierte er ein Wirtschafsstudium an der University of Essex. Sein Spezialgebiet war sowjetische Ökonomie (der Titel seiner Abschlussarbeit lautete: «Wieso Russland immer Recht hat»). Es folgten ruhelose Jahre in Afrika und später in der Karibik, wo der passionierte Taucher erstmals mit Zigarren in Kontakt kam. Ab 1997 liess Casdagli unter dem Label Bespoke Cigars exklusive Blends in Kleinchargen für eine ausgewählte Kundschaft produzieren. Unter seinen Kunden befinden sich Scheichs aus dem Nahen Osten, aber auch Tennisspieler wie Marat Safin oder Andrij Medwedjew. Vor vier Jahren wagte der in Estland lebende Casdagli mit Bespoke Cigars einen Neustart, indem er eine Zusammenarbeit mit Zigarrenproduzent Hendrik Kelner Junior einging. Belarus war das erste Land, in dem er den überarbeiteten Blend testete. Mittlerweile sind die Longfiller von Bespoke auch im Baltikum, in Schweden, Serbien, Russland, den Niederlanden sowie an ausgewählten Orten in den USA erhältlich. www.bespokecigar.com