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Ist die Oro Blanco ihren Preis wert?

Text: Florian Schwab
Ein lineares Preis-Leistungs-Verhältnis kann man bei einer Zigarre für 500 Franken schlecht erwarten. Die pionierhafte Davidoff-Kreation überzeugt aber auf der ganzen Linie.
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Ursprünglich sollte sie Don Ernesto heissen, zu Ehren des legendären Dr. Ernst Schneider (1921-2009), dem Hauptarchitekten der Davidoff-Erfolgsgeschichte. Doch dann wurde sie auf den Namen «Oro Blanco» (Weisses Gold) getauft. So oder so handelt es sich um ein Superlativ, gerollt aus Tabakblättern. Die Oro Blanco ist mit einem Ladenpreis von 500 Franken die wohl teuerste handelsübliche Zigarre der Welt – preislich übertroffen allenfalls von alten kubanischen Super-Raritäten auf dem Sammlermark.

Das weckt natürlich eine gewisse Neugier: Wie schmeckt sie denn, die Oro Blanco? Ist sie ihren Preis wert?

Rational lässt sich das Preisschild durchaus begründen. Gemäss Davidoff wurde das Produkt im Jahr 2014 als extrem limitierte Special Reserve auf den Markt gebracht. Gesamthaft wurden nur wenige zehntausende Exemplare angefertigt. Verwendet wurden ausschliesslich Tabake einer besonders exklusiven Anbauregion in der Dominikanischen Republik, und zwar des Jahrgangs 2002. Als die Oro Blanco auf den Markt kam, war der Tabak also bereits über zehn Jahre lang gereift.

Verführerisch funkelt das schwere Holzkästchen mit Goldinschrift «Oro Blanco» im Humidor des Hotel Waldhaus in St. Moritz. Hier wird die Zigarre im Gespann mit einem 36-jährigen Single Malt der stillgelegten Port-Ellen-Destillerie gereicht – im Kombi-Angebot für 777 Franken. Das kann man durchaus einmal probieren.

Geschmacklich ist bereits der erste Zug eine Offenbarung. Es kündigt sich ein Festival tropischer Früchte an, das sich im weiteren Verlauf furios steigert: Reife Bananen auf der süssen Seite, Ananas und Maracuya auf der frischen. Dies wunderbar geerdet durch eine feine, pikante Pfeffernote und einige holzige Einflüsse, die am ehesten an Eiche erinnern. Im zweiten Drittel folgt eine Zugabe exotischer Gewürze: Nelken, etwas Zimt und (mehr) schwarzer Pfeffer. Zum Finale betont die Oro Blanco ihre süsse Seite – der Vergleich mit Rosinen drängt sich auf. Der dichte, samtartige Rauch umschmeichelt den Gaumen. Insgesamt eine hoch komplexe, vollmundige und durch ihre betörenden Fruchtnoten und spannende Entwicklung überzeugende Assemblage.

In ihrer Optik bezirzt die Zigarre durch den makellosen Davidoff-Look, der ins Extreme gesteigert ist: ein seidenweiches, glänzendes Deckblatt in sattbraun-geschmeidigem Ton; die zarten Rippen wirken wie von einem buddhistischen Mönch gemalt. Die perfekte Optik findet in der Verarbeitung ihre Fortsetzung. Der Zugwiderstand ist wie von einer Rechenmaschine zur Perfektion kalibriert: die Mundmuskulatur spürt die Präsenz der Zigarre, aber das Rauchen ist ein anstrengungsloses Vergnügen. 

Während die Asche des wunderbar verarbeiteten Erzeugnisses länger und länger wird – und nach zwei Drittel immer noch steht –, kommen wir also zur Beantwortung der gestellten Frage: Mit der Oro Blanco verhält es sich wie mit einem alten und teuren Bordeaux aus einem der exklusiven Châteaux: Selbstverständlich gibt es viel günstigere Produkte, die ebenfalls viel Freude machen. Eine lineare Beziehung zwischen Preis und Qualität lässt sich nicht herleiten. Die Oro Blanco ist kaum zwanzigmal besser als die ebenfalls hervorragende Winston Churchill The Late Hour für 22 Franken im Robusto- und 25 Franken im Toro-Format.

Wer als Aficionada oder Aficionado allerdings nicht auf einem linearen Preis-Leistungs-Verhältnis besteht, sondern im Gegenteil bereit ist, für den Faktor Einzigartigkeit sehr tief in die Tasche zu greifen, der wird nicht enttäuscht. Die geschmackliche Tiefe und Entwicklung sowie die grossartige Verarbeitung und Präsentation machen die Oro Blanco, neben ihrem Seltenheitswert, zu einer Wahl, die man nicht bereut. 

Mit Blick auf die Reichhaltigkeit der Zigarrenwelt ist es doppelt zu begrüssen, dass Davidoff mit dieser radikalen Special Reserve eine neuartige Richtung vorgegeben hat, gekennzeichnet durch die klare Eingrenzung des Anbaugebiets, des Tabakjahrgangs und die geduldige Reifung zur geschmacklichen Perfektion.

Noch ein Wort zum Getränke-Pairing: Der im Waldhaus am See zur Oro Blanco gereichte Port Ellen erweist sich als kongenialer Begleiter. Als Islay Single Malt von betörender Komplexität und Eleganz ergänzt er die Zigarre hervorragend. Wer aber einen Whisky sucht, der die tropisch-fruchtigen Noten eher unterstreicht als ergänzt, der ist mit der hauseigenen Abfüllung eines 30-jährigen Glenturret aus den schottischen Highlands fast noch besser bedient.