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Cigar 1/2014

«Man kann ja einfach mal darüber lachen»

Interview: Sarah Kohler Fotos: Marcel Studer
Die Abstimmung über die Masseneinwanderungs-Initiative ist noch keine Woche her, als wir Besuch aus Deutschland bekommen: Wiglaf Droste, Autor und Sänger, ist für eine Lesung und ein Konzert nach Zürich gereist. Wir wollen mit dem preisgekrönten Satiriker über Humor reden. Es wird ernst.
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Sie treten heute Abend in Zürich auf. Bieten Ihnen die Schlagzeilen über die Schweiz der letzten Tage eine humoristische Steilvorlage?
Wiglaf Droste: Es ist eine gute Portion Heuchelei dabei, wenn man in Deutschland jetzt über die Schweizer herfällt; eine ähnliche Umfrage würde dort ja kein anderes Ergebnis nach sich ziehen. Dass es aber für die Schweizer, die keine Anhänger der Herren Blocher und Köppel sind, ärgerlich und beschämend ist, verstehe ich. Die SVP hat es mit Hilfe der «Weltwoche» und anderer Medien geschafft, Angst zu verbreiten, Furcht vor Veränderung, dieses vage Gefühl, das sich gar nicht konkret gegen Gruppen richten oder begründet sein muss. Herr Köppel kann nicht viel, aber er weiss, wie man auf der Klaviatur der Angst spielt.

Und das ist für Sie kein Gegenstand für eine satirische Betrachtung?
Als Humorist versuche ich lieber das Gegenteil: das Publikum durch Witz und Sprachbeherrschung zu ermuntern, über die Verhältnisse, so wie sie sind, zu lachen und scheinbare Autorität anzuzweifeln. Man kann ja einfach mal darüber lachen! Es geht eben nicht darum, jemanden blosszustellen, sondern festzuhalten, dass es kein Wert an sich ist, wenn jemand Macht beansprucht oder hat. Dem will ich mit Vergnügen und mit den Waffen des Geistes und des Witzes entgegentreten. So gesehen ist die Schweizer Abstimmung ein Thema, ich hüte mich aber vor der moralgesteuerten Form der Satire.

Was heisst das?
Ich halte das Gut-Böse-Schema für eine stumpfe Waffe. Bei der moralisch geführten Debatte werde ich das Gefühl nicht los, dass sich die Beteiligten nicht um der Sache willen moralisch aufführen, sondern um sich selbst aufzuwerten. In Deutschland heissen diese Leute zum Beispiel «Die Grünen». Wenn man genau hinschaut, wer sich da moralisch aufspielt und was er tatsächlich tut, sieht man, dass es einzig und allein um die Partizipation an der Macht geht. Die Grünen in Baden-Württemberg wurden gewählt, um «Stuttgart 21» zu verhindern. Als sie gewählt waren, machten sie sofort mit und schoben sogenannte Sachzwänge vor. Das ist Betrug.

Man kann ja einfach mal drüber lachen, sagen Sie. Worüber haben Sie zuletzt gelacht?
(schweigt)

Lachen Sie nicht viel?
Doch, ich freue mich so oft, ich merke mir die Gelegenheiten gar nicht. Und es gibt ja einige Missverständnisse, was Humor und Lachen betrifft.

Welche denn?
Dass Lachen gesund sei, zum Beispiel. Ich halte das für kein Argument und finde, das spräche eher gegen das Lachen, gerade in den Zeiten des Gesundheitswahns, in denen wir leben. Ungesunde Sachen machen viel mehr Spass als gesunde.

Zigarren, zum Beispiel.
Genau. Die Entwicklungen, die sich beim Rauchen abzeichnen, stören gewaltig. Ich mag es nicht, wenn Menschen wegen nichts verdächtigt werden, Verbrecher zu sein, und dass die Bereitschaft fehlt, vernünftig miteinander zu reden. Alle brüllen nach Gesetzen, das ist ein Armutszeugnis. Wer schon persönliche Kleinigkeiten dem Staat überlässt, ist bereit, sich generell zu entmündigen. Der Staat verteilt eine Art Valium und verkündet, dass «alles gut wird» und «es uns noch nie so gut gegangen ist» ... Komischerweise reagieren die Leute auf der Strasse darauf hysterisch. Sie wissen, dass es nicht stimmt. Ob es jetzt ums Rauchen geht oder um etwas anderes: Heute nimmt man jeden beliebigen Anlass wahr, um die Sau rauszulassen.

Wie meinen Sie das?
In Internetforen, in denen man sich folgenlos äussern kann, lässt sich das gut beobachten: Da führen sich Feiglinge auf wie die Axt im Wald. Man darf von mir aus alles sagen – man muss dann aber auch das Echo vertragen. In der Anonymität jedoch bleibt das Echo aus. Wenn man sich den Ton in gewissen Nichtraucherforen anschaut, kann man, ohne mit der Faschismuskeule zu hantieren, sagen: Das ist bei Goebbels gelernt. Sogar das Wort Untermensch bleibt nicht aus. Das ist niederträchtig und humorfrei, jedwede Gelassenheit fehlt. Ein Mensch sollte selber lernen dürfen und sich nicht an einer Verbotsliste durchs Leben hangeln. Ausserdem funktionieren Verbote nicht. Es gibt Städte, die das Trinken im öffentlichen Raum verbieten. Und was geschieht? Die Leute führen sich auf der Strasse immer irrsinniger auf. Da besteht ein kausaler Zusammenhang. Wenn man die Menschen nicht liebevoll erzieht, züchtet man Monster. Dazu gehört auch der Humor: Er ist Teil der Herzensbildung. Humor ist nicht ein Witz, der jemanden erniedrigt, er ist nicht aggressiv und dumm. Humor kommt von «Humus», von «Humanität».

Muss man Humor erlernen?
Unbedingt. Witze an sich sind eine feine Sache, Humor aber ist eine Haltung zur Welt. Humor ist, lachend wegzugehen, wenn einem jemand befiehlt, stramm zu stehen. Humor heisst auch, es nicht furchtbar tragisch zu nehmen, wenn etwas schiefläuft. Perfektion ist das Gegenteil von Humor.

Inwiefern?
Das überall befohlene Streben nach Perfektion ist gefährlich. Schauen Sie sich beispielsweise Frauenzeitschriften an; die entwerfen das Bild einer Frau mit einem perfekten Körper, eine Granate im Bett, die ideale Mutter, die immer alles richtig macht und vor allem immer die richtigen Sachen konsumiert. Dieses Bild der Perfektion hängt stark mit Werbung zusammen. Das als Menschenbild anzunehmen, ist krank, und wer sich dem unterwirft, kann einem leidtun – oder Angst machen.

Warum?
Wer sich selbst unterwirft, verlangt das auch von anderen. Unterwerfung ist eine Selbstverletzung, sie schmerzt, auch wenn man das an der Oberfläche vielleicht nicht spürt. Diesen Schmerz muss man weitergeben, um ihn loszuwerden. So kommen wir zu dieser durchnormierten Gesellschaft, in der angeblich alle von morgens bis abends das Richtige tun. Kuckt man sich die Wirklichkeit an, spottet sie jeder Beschreibung: Der Widerspruch könnte nicht grösser sein.

Und Sie machen da nicht mit.
Ich bin 52 Jahre alt und aufgrund meines Konsumverhaltens als Zielgruppe uninteressant, weil mich weder riesige Uhren noch sündhaft teure Autos begeistern. Wobei ich kein Konsumverweigerer bin; ich esse und koche gern und bevorzuge Lebensmittel, die etwas taugen. Aber wer sich nur über sein Konsumverhalten definiert, entmenscht sich. Demgegenüber stehen die Konsumverweigerer, denen leider eine gewisse Humorlosigkeit anhaftet. Ich wünsche mir einen entspannten Umgang, und dazu gehört auch, dass wir in diesem Wahn von Mobilität und Erreichbarkeit wieder langsamer werden und dass nicht erst auf dem Grabstein steht: «Der ist auch ruhiger geworden. » Gute Sachen dauern länger; das weiss man vom Kochen, das weiss man von der Liebe. Das Leben ist kein Quickie, womit ich nicht sagen will, dass der nicht auch seinen Reiz hat. Bloss eben nicht als einziges Erlebnismodell.

Sie skizzieren ein recht pessimistisches Bild der Gesellschaft. Inwiefern verstehen Sie Ihre Texte als Auflehnung dagegen?
Wenn man sich herausnimmt und die Welt aus der Distanz betrachtet, sieht man anders, als wenn man mittendrin steckt. Da fallen einem schon seltsame Sachen auf; wenn in der U-Bahn fünf Leute gegenüber alle gleichzeitig den Zeigefinger auf einem Gerät von links nach rechts ziehen, sieht das fast schon aus wie Irrsinnsballett. Das erkennt aber nur, wer es selbst nicht tut. Es gehört zum Wesen der Satire, sich herauszunehmen, genau hinzuschauen und hinzuhören. Dann gilt es, detailliert zu beschreiben, nicht einfach grobschlächtig und undifferenziert alle als wahnsinnig abzustempeln, sondern sich der Mühe zu unterziehen, die Gegenstände der Betrachtung feinstofflich anzugehen. Klar darf man auch mal über die Stränge schlagen, wenn es einem bis unters Hirndach steht. Aber ein gut gelaunter, distanzierter Text hält wesentlich länger als ein schneller Wutausbruch.

Fällt es Ihnen schwer, sich rauszunehmen?
Das braucht Übung und Disziplin, wobei ich letztere nicht jeden Tag aufbringe. Manchmal stecke auch ich mittendrin. Ich will ja nicht der perfekte Mensch sein und bin es auch nicht. Mein bester Freund, der Koch, Autor und Musiker, Vincent Klink, sagt es so einfach wie wahr: Wer den Zeigefinger ausstreckt, hat stets drei Finger auf sich selbst gerichtet. Ein guter Text beschäftigt sich satirisch mit der Welt, ohne dass sich der Autor selbst über sie erhebt.

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Sie schreiben eine tägliche Kolumne bei der Zeitung «junge Welt». Wie arbeiten Sie?

Das Schöne ist: Ich habe eine Carte blanche, und manchmal verfasse ich eben auch einen politischen Text. Wenn der deutsche Präsident behauptet, die Gesellschaft kranke daran, dass keiner mehr Soldat werden und fürs Vaterland sterben wolle, was möchte er denn bitte damit sagen? Sterben ist das bessere Leben? Das ist lächerlich. Und gefährlich. Dagegen biete ich auf, was ich habe und kann. Die meisten solcher öffentlichen Äusserungen muss man ja bloss zitieren, um sie zu entlarven. Vielleicht noch einen winzigen Kommentar dazugeben, um offenzulegen, was gemeint ist. Wenn irgendeiner vom Sterben fürs Vaterland schwärmt, hört ja keiner hin, aber wenn der Präsident das sagt, sind gleich jede Menge Kameras auf ihn gerichtet – und da wähle ich dann die Methode David gegen Goliath. Ich nehme keinen Panzer, weil ich keinen habe und keinen will, sondern eben die verbale Steinschleuder. Die Wahl der Mittel ist wichtig; wer in den Krieg zieht, läuft Gefahr, seinem Gegner ähnlich zu werden. Dass sich der Mensch immer wieder und zu allem aufhetzen und manipulieren lässt, ist geschichtlich trostlos oft belegt und das eigentliche Problem. Mit den Mitteln von Aufklärung, Satire und Humor dagegen zu halten, ist so notwendig wie erfüllend, auch wenn der Erfolg meist nur darin besteht, es überhaupt zu tun.

Was wünschten Sie sich denn vom Leser?
In erster Linie Aufmerksamkeit: Leser möchten doch bitte das lesen, was dasteht. Im Laufe von fast 30 Jahren im Beruf erhielt ich so viele Briefe, in denen jemand in erregtestem Ton monierte, was ich geschrieben hätte, sei eine Schweinerei – und sich dabei auf Dinge bezog, die ich schlicht nicht geschrieben hatte. Wer einen Text verstehen will, muss ihn wenigstens richtig lesen; wenn ihm das nicht gefällt, ist das kein Problem. Ich versuche zu überzeugen, auch mit den Mitteln der Komik, und gern auch streitbar.

Sie arbeiten intensiv mit und an der Sprache. Warum?
Weil es Freude macht, und weil alles in ihr steckt. Wörter verraten so viel über die Welt. Heute wird einer ja beispielsweise nicht mehr entlassen, sondern «freigesetzt»; so etwas Tolles, man versetzt jemanden in die Freiheit! Oder das Wort Arbeitgeber: Der, der tatsächlich seine Arbeit gibt, ist derjenige, den wir Arbeitnehmer nennen. Der Arbeitgeber nimmt die Arbeit, der Arbeitnehmer gibt sie. Sprache ist eine Schatzinsel, und je mehr man sich mit ihr beschäftigt, desto grösser wird das Sprachmeer. Es ist doch schön, wenn man für jede Nuance seiner Stimmungen ein eigenes Wort hat. Wer nur «geil» und «scheisse» sagen kann, ist arm dran; ich möchte mir nicht vorstellen, wie so einer flirtet. Das ist eine erbärmliche sprachliche und sensorische Selbstverarmung. Es geht mir dabei nicht darum, Fehler zu verbessern, Fehler sind etwas Gutes. Es ist allerdings schön, die Wahl zu haben: Wer klug ist, kann sich dumm stellen, umgekehrt sieht das nicht so gut aus. Mit der Sprache kann man spielen, auch ganz bewusst Fehler machen. Es geht nicht darum, andere zu korrigieren; manchmal muss ich mich einfach nur wundern, was da alles weggequasselt und niedergeschrieben wird.

Sie dürften dankbar sein, wenn andere mit der Sprache weniger achtsam umgehen: Das liefert Ihnen Stoff.
Es wird oft behauptet, dass der Satiriker die Ungereimtheiten der anderen brauche.

Aber das stimmt nicht? Nicht zwingend.
Auch in der Dummheit gibt es grosse qualitative Unterschiede, und es gibt Formen der Dummheit, mit denen zu beschäftigen sich nicht lohnt. Aus anderen Dummheiten wiederum kann man lernen. Als Satiriker stürze ich mich besser nicht reflexhaft auf ein Thema, sondern wähle es in Ruhe. Aus Substanzlosigkeit ist Substanz nicht herauszuholen; aber substanzielle Dummheiten und die oft beabsichtigten Sprachlügen wie ein Detektor aufzudecken, macht Spass. Die Sprache ist ein Instrument der Wahrheit und der Lüge.

Wie wird man eigentlich Satiriker?
Ich bekam als Kind schon Wilhelm Busch vorgelesen; da ist so viel Humor, Witz, Ironie und Spott darin, das macht Spass. Und ich stellte früh fest, dass die Sprache eine Waffe ist. Als ich in den Siebzigerjahren für die Schülerzeitung schrieb, gab es schon richtig Ärger, weil irgendwelche Elternbeiräte fanden, dies oder das dürfe man so nun nicht sagen.

Sie brachten schon in jungen Jahren Leute gegen sich auf. Suchen Sie den Konflikt eigentlich?
Die Konflikte sind ja da, und manchmal bin ich auf Kollisionskurs. Ich kann aber auch anders: Gerade wird mein zweiter Gedichtband fertig, und der enthält viele Liebesgedichte. Aufs Ganze gesehen ist die Zahl meiner Liebeserklärungen, auch an Musiker, Schriftsteller, Maler, wesentlich höher als die Zahl der Verrisse.

Wobei der Verriss stärker wahrgenommen wird. Der Wikipedia-Eintrag über Sie listet vor allem auf, wann Sie wo bei wem angeeckt sind.
Da steht nur Mist.

Und stört Sie das nicht?
Ich bin über das Stadium, von der Welt Gerechtigkeit zu fordern, hinaus. Die Welt ist ungerecht; sie ist ein Schlacht- und ein Irrenhaus. Aber es ist ja nicht so, dass mich niemand versteht. In meinem Umfeld gibt es Menschen, die mir genau sagen können, was sie mögen und wo sie finden, dass ich mich vergaloppiere. Und es gibt sogar Leser, die mich nicht missverstehen – und meine Texte mögen.

Aber lebt die Satire nicht eigentlich von der Provokation?
Die meisten Menschen kommen irgendwann zu der Erkenntnis, dass ihr Leben leichter wird, wenn sie mit dem Strom schwimmen. Wenn ihnen dann einer entgegenkommt, der dagegen schwimmt, führt das zu Irritation. Ich kann zwar auch nicht von morgens bis abends gegen den Strom schwimmen, da wäre ich ja ein einziger Muskelkater, aber es gibt Situationen, in denen es sein muss. Immer dann zum Beispiel, wenn sich ein Mob formiert: ein Mob irrt immer. Die menschliche Praxis, sich zusammenzurotten und dann gegen Einzelne loszuschlagen, ist nicht akzeptabel. Ich habe das selbst erlebt.

Was ist passiert?
Ich war an einem Konzert, hatte Spass, tanzte, und da standen so unfrohe, mürrische Kerle rum, die begannen, mich als Schwuchtel zu beschimpfen und dann auf mich einzuschlagen, weil ich damals im rechten Ohr einen Ring trug – ohne zu wissen, dass ein Ohrring rechts als Symbol für Homosexualität galt. Das waren 15 Leute, irgendwann lag ich am Boden. Ein einzelner mutiger Mensch holte mich am Ende raus. Der Arzt im Spital sagte, ich hätte Glück gehabt, dass ich noch lebe. Man darf die menschliche Niedertracht nicht unterschätzen.

Inwiefern ist ein solcher Bruch im Leben ein Motor für Ihre Arbeit?
Man entwickelt ein ziemlich feines Sensorium dafür, was stimmt und was nicht, wenn man ungerecht oder brutal behandelt wird. Für die Satire ist dieser Blick auf die Widersprüche notwendig. Schön ist es dennoch nicht. Auch wenn es den Blick schärfen mag, ist es ein schmaler Grat und immer eine Frage der persönlichen Kraft und Stimmung: Eine klare Sicht auf die Welt und ihre Bewohner kann grossen Spass machen. Sie kann aber auch geradewegs in eine Depression führen. An manchen Tagen will ich davon nichts wissen und schreibe der Frau, die ich liebe, ein Gedicht. An anderen Tagen habe ich die Kampfkraft und Lust darauf, mich nicht mit der Welt abzufinden, sondern es mit ihr aufzunehmen, mit möglichst guter Laune, weil ein gut gelaunter Text ansteckend ist. Wer ihn liest, fühlt sich weniger allein.

Satire mag für gute Laune sorgen. Sie verletzt aber auch.
Dieses Risiko lässt sich nicht umgehen, weil man nicht alle Menschen und ihre Gefühle kennt. Es heisst ja, man soll nicht unter die Gürtellinie schlagen. Aber wenn einer seinen Gürtel bis über den Kopf zieht und dann von Gürtellinie zetert, ist das doch nur ein fauler Trick. Es gibt Berufsbeleidigte, die keine Form von Kritik oder Widerspruch ertragen. Und dann gibt es die bewusste Verletzung, wenn man sich jemanden vorknöpft, der die Vorlage dazu selbst geliefert hat. Da aber am Ende alles auf einen selbst zurückfällt, soll man sich die adäquate Form überlegen: eine feinstoffliche Satire ist meist überzeugender, weil viele Menschen auf Grobheit empfindlich reagieren. Man sollte wissen, was man tut.

Wissen Sie das immer?
Nein. Aber wenn man nichts mehr sagen will, das irgendjemanden auf der Welt verletzen könnte, müsste man für alle Zeit schweigen. Diese Möglichkeit steht mir derzeit noch nicht zur Verfügung.

Über Wiglaf Droste findet sich im Netz ein Wikipedia-Eintrag, den er selbst allerdings für blossen Mist hält. Darum also ein paar alternative Fakten zum Sein und Wirken des deutschen Autors, Satirikers und Sängers: Der 52-Jährige kocht leidenschaftlich, trägt Hut und pflegte bis zu einer ersten Knieoperation im Jahr 2012 nach seinen Auftritten auf der Bühne ein Rad zu schlagen.

Droste stammt aus Herford (Westfalen) und lebt heute in Leipzig, Berlin und unterwegs. In seiner Jugend war er Redakteur (siehe dazu seine Kolumne auf Seite 37) bei der «taz» und der «Titanic». Heute veröffentlicht er regelmässig im Funk, in der Zeitschrift «Das Magazin» sowie in der kulinarischen Kampfschrift «Häuptling Eigener Herd», die er seit 1999 mit dem Stuttgarter Meisterkoch Vincent Klink herausgibt. Droste geht mit offenen Augen, offenen Ohren und offenem Herzen durch die Welt, was ihm mitunter den Stoff für seine ausgebufften, glasklaren und messerscharf poetischen Texte liefert: Seit Ende 2010 schreibt er eine tägliche Kolumne in der deutschen Tageszeitung «junge Welt», seit März 2013 im «NZZ Folio» die Kolumne «Nomade im Speck». Droste wurde für seine Arbeit mehrfach ausgezeichnet: mit dem Ben-Witter- Preis (2003), dem Annette-von-Droste-Hülshoff-Preis (2005), dem «Ringelnats»-Preis (2010) sowie dem «Nieheimer Schuhu», dem Peter-Hille-Literaturpreis (2013).

Und Droste singt; zusammen mit der «Tünseltown Rebellion Band», mit dem Jazz-Duo Uschi Brüning und Ernst-Ludwig Petrowsky oder auch als Gastsänger beim Zürcher «Trio from Hell» sowie gemeinsam mit dem Sänger und Komponisten Danny Dziuk. Nach der Glossensammlung «Die Würde des Menschen ist ein Konjunktiv» (Edition Tiamat, 2013) erschien im März seine Roadmovie-Erzählung «Schalldämpfer. Eine Revue » (Edition Tiamat).