Reset für die Leber | Cigar Newsletter abonnieren
Cigar 1/2020

Reset für die Leber

Text: Willi Näf Foto: Manuel Findeis – Shutterstock.com
Wo die Krankheit ausbricht, haben Gesundheitsratgeber Hochkonjunktur. Unser Autor studiert Erbauungsliteratur zum Weltuntergang.
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Wir befinden uns im Jahr 2020 nach Christus. Die ganze Welt ist vom Coronavirus besetzt. Die ganze Welt? Nein! Millionen unbeugsamer Menschen sitzen daheim und leisten Widerstand. Einige gar bewaffnet. Ich beispielsweise setze auf eine nicaraguanische Asylum 13 Hercule vom Kaliber 178 Millimeter. Sie ist von mildem, fast cremigem Charakter und bietet, sanft gezündet, zwei Stunden Genuss. Heute darf sie Lektüre begleiten. Ich lese den Prospekt des Kopp-Verlags. «Bücher, die Ihnen die Augen öffnen». Alles über Enthüllungen, Phänomene, verbotene Archäologie, Gesundheit oder Krisenvorsorge. Kurz: Erbauungsliteratur zum Weltuntergang.

Als Aficionado blättere ich zur Rubrik Gesundheit, man möchte ja gesund untergehen. «Fett heilt, Zucker tötet», lese ich da. 365 Seiten. Also lieber Fett. Und wers übertreibt, nimmt Selleriesaft, den «grünen Wunderdrink». Darüber 250 Seiten zu füllen, gelingt nur einem grossen Schriftsteller. Zur «Keto-Diät» gibts mehrere Bücher, denn «Keto-Cycling ist das wirksamste, effektivste und effizienteste Instrument zur Überwindung chronischer Krankheiten». Wow. Den ersten Krebszellen geht der Saft wohl schon aus, wenn man erst daran denkt, das Wunderbuch zu bestellen.

Ein Quell der Freude ist das Buch von der «Heilkraft des Bieres». Mit Bier kann man «Herzinfarkt und Schlaganfall vorbeugen, Cholesterin senken, Schnupfenviren bekämpfen, Nerven und Gehirn schützen». Zudem «besitzt Bier ein Krebsschutzpotenzial» und kann zu «Balsam für Haut und Haare» werden. Meine persönliche Quintessenz: mehr saufen, mehr Haare, weniger Tumore. Dazu bestelle ich gleich noch «Heile deine Leber», denn «unsere Leber braucht uns». Ich hatte immer gedacht, es sei umgekehrt. Das Buch misst 576 Seiten inklusive «9-Tage-Leber-Resetplan». Perfekt für Quartalssäufer.

Ein Buch, das mir ins Auge sticht, ist «Daumenyoga fürs Gehirn». Die «Fingerstimulation» von Dr. Yoshiya Hasegawas «verjüngt das Gehirn und verbessert die Merkfähigkeit». Merkfähigkeit ist prima, wie heisst das Buch auch gleich? Gehirnverjüngung klingt ebenfalls fein. Da werden graue Hirnzellen blond. Menschen mit blonden Hirnzellen sind die Käuferinnen dieser Bücher. Käufer sind mitgemeint.

357 Seiten dick ist «Multiple Sklerose überwinden». Aha. MS kann man also überwinden. Aber offenbar gibts Menschen, die so an ihrer Multiplen Sklerose hängen, dass sie sich fürs Überwinden nicht begeistern mögen. Dabei sind 25 Euro wenig Geld für so viel Gesundheit, zumal Prof. Dr. George Jelinek in seinem «revolutionären 7-Schritte-Behandlungsprogramm» einen «holistischen Ansatz» verfolgt. Donnerwetter.

Ein weiterer Buchtipp: «Aktivieren Sie Ihren Vagusnerv». Nein, Sie Ferkel, das ist nicht der Nerv zwischen Vagina und Anus, sondern der «Selbstheilungsnerv». Und den kann man stärken bei Darmproblemen, Entzündungen, Autoimmunerkrankungen, Ängsten, Depressionen und innerer Unruhe. Noch wichtiger: Der Autor «eröffnet neue Möglichkeiten für die Autismus-Therapie». Autismus ist also therapierbar, und einmal mehr hats wieder nur einer gemerkt. Leider zu spät. Wenn die Welt untergeht, muss man keine Therapien mehr beginnen. Auch «Alzheimer jetzt stoppen» ist eine erfreuliche Lektüre. Roche und Novartis sollen schon mal im Basler Rathaus anrufen, damit man die Umnutzung von Campus und Türmen an die Hand nehmen kann.

«Von Ärzten ignoriert» und «von der Pharmaindustrie verschwiegen» wird Dimethylsulfoxid, DMSO, «ein Superstoff, der die Medizin einfach und günstig revolutionieren kann». Erstaunlich. Wieso lesen die Gesundheitsminister dieser Welt dieses Buch nicht? Sie könnten ihre maroden Systeme sanieren und dann vom Cover des Time Magazine lächeln, aber nein, lieber beissen sie sich an den Krankheitskosten jahrelang ihre Zähne aus und beenden ihre politische Karriere mit miesen Noten und Ringen unter den Augen.

Vielversprechend ist «Das bessere Gehirn». Untertitel: «Optimieren Sie Ihr Gehirn und Ihr Leben. Ihr Leben kann um einiges reicher und grossartiger werden, als es zurzeit ist!» Tatsächlich ist meine Grossartigkeit noch ausbaufähig – ich kam bisher nicht über Artigkeit hinaus – und auch beim Reichtum hapert es noch. Vorschlag: Die Uno soll das Buch palettenweise über Lesbos, Syrien, und Afghanistan abwerfen. Damit auch das Leben der Menschen dort reicher und grossartiger wird. Ich ziehe derweil an meiner Asylum 13 Hercule weiter. Und für die nächste Ausgabe von Cigar blättere ich mich vergnügt durch die Rubrik «Enthüllungen».