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Cigar 2/23

ÜBER ANGST UND GLÜCK

Interview: Tobias Hüberli Fotos: Thorsten Scherz
Tonio Neugebauer ist ein lustiger Zeitgenosse, der vieles ausprobiert hat und weiss, was er will. Seine Zigarre Skelton sei zwar die beste der Welt, sagt er, aber längst nicht allen zu empfehlen.
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Sie hätten immer etwas Angst vor der Zukunft, sagen Sie. Wieso um Himmels Willen entschieden Sie sich dann fürs Zigarrenbusiness?
Tonio Neugebauer: Es gibt Phasen, in denen ich zahlreiche Risiken eingehe, aber auch viele, in denen ich extrem auf Sicherheit setze. Obwohl ich die Marke Skelton bereits 2016 ins Leben gerufen habe, blieb ich weiterhin im Einkauf für einen Online-Zigarrenhändler tätig. Finanziell und zeitlich betrachtet, ergab das schon länger keinen Sinn mehr, aber ich brauchte diesen sicheren Hafen. Erst seit diesem Juli bin ich mit meiner Firma Tonio’s Tabaco komplett selbstständig.

Mit Plasencia haben Sie einen renom­mierten Hersteller für Ihre Zigarren ge­funden. Wie kriegten Sie als Nobody dort einen Fuss in die Tür?
Ich habe viel Glück im Leben, muss ich gestehen. Während meiner Tätigkeit als Mitarbeiter des Onlinehändlers besuchte ich regelmässig die Intertabac in Dortmund. Dort traf ich viele renommierte Produzenten und Produzentinnen, darunter Nestor Plasencia Junior und Sergio Torres Rodríguez. Wir kamen ins Gespräch, ich erzählte ihnen, dass ich gerne eine eigene Zigarre machen will, und dann haben wir das einfach getan.

Wie gingen Sie vor?
Die Entwicklung der Marke dauerte etwa zwei Jahre. Wir sprachen viel über den Geschmack, das Aussehen und andere Aspekte der Zigarre. Anschliessend schickten sie mir verschiedene Muster, die ich alle mit meiner Frau ausprobierte. Manchmal kamen die Blends meinen Vorstellungen sehr nahe, manchmal lagen Welten dazwischen. Aber irgendwann kam eine Zigarre, von der ich sagen musste: Ich habe noch nie etwas Besseres geraucht. Das war sie dann.

Das tönt zu einfach.
Es wurde tatsächlich noch kompliziert. Ich dachte natürlich, ich fange mal mit 50 Kisten an, ganz entspannt, und schau, ob es klappt. Bei Plasencia beschied man mir aber, dass sie zwar gerne für mich Zigarren machen würden, ich aber 15 000 Stück bestellen müsse, beim ersten Mal. Ich dachte nur: Fu..., wie soll ich die alle verkaufen? Doch dann sagte ich mir: Die schmecken mir so gut, wenns schiefläuft, rauche ich halt die nächsten 30 Jahre meine eigene Zigarre. Das grössere Problem war, dass ich nicht genügend Geld hatte.

Erzählen Sie!
Zunächst fragte ich meine Eltern. Da ich aber vorher schon zahlreiche verrückte Ideen hatte, lehnten sie zuerst ab. Die Bank verlangte von mir fast zehn Prozent Zinsen, da ich keine Sicherheiten vorweisen konnte. Nach langem Zureden entschlossen meine Eltern sich, einen Kredit für mich aufzunehmen, da mein Vater viel bessere Konditionen erhielt. Mit etwas eigenen Ersparnissen und dem Kredit konnte ich schliesslich meine erste Bestellung in Auftrag geben.

Wie viele Zigarren haben Sie letztes Jahr verkauft?
Auch wenn ich es kaum glauben kann, waren es etwa 102000 Stück.

Haben Sie sich das 2016 in etwa so vor­ gestellt?
Wenn man etwas gründet, hofft man ja immer, dass es funktioniert. Und natürlich ist man selbst auch davon überzeugt. Aber als es tatsächlich aufging, machte mir das schon ein bisschen Angst. Plötzlich entstand eine grosse Nachfrage, auch von Importeuren aus anderen Ländern. Und eigentlich stand ich noch nie gerne im Mittelpunkt.

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Wie würden Sie Skelton beschreiben?
Es ist eine der besten Zigarren der Welt, finde ich. Einem Anfänger würde ich sie aber in der Tat nicht empfehlen. Wobei es Leute gibt, die rauchen eine Skelton zum Frühstückskaffee. Das würde ich jetzt nicht machen. Sie ist mittelkräftig, mit Noten von dunkler Schokolade und Röstaromen. Zu Beginn hat sie etwas Würziges, das aber wieder vergeht. Ich finde den Blend ziemlich komplex, wobei das sehr individuell ist. Gewisse beurteilen den Longfiller relativ linear, andere wiederum schmecken 5000 verschiedene Aromen raus.

Skelton hat ein zweites Umblatt aus Indo­nesien, weshalb?
Der indonesische Tabak besitzt einen relativ neutralen Geschmack, hat aber eine leichte Rauchnote. Das andere Umblatt stammt aus Jalapa in Nicaragua und verleiht der Zigarre eine gewisse Süsse sowie ein vollmundiges Aroma. Durch die Kombination der beiden Umblätter verbessert sich das Brandverhalten. Die Idee für diese Paarung stammt vom Masterblender. Da vertraue ich den Experten von Plasencia.

Wie vermarkten Sie Ihr Produkt?
Ich habe weder einen Aussendienst noch ein grosses Marketingbudget. Tatsächlich vermarkten die Konsumentinnen und Konsumenten die Zigarre. Mittlerweile habe ich in Deutschland 160 Fachhändler als Kunden. Davon haben mich die allermeisten kontaktiert, weil sich ihre Kunden nach meiner Zigarre erkundigt haben. Über diesen Umstand bin ich jeden Tag dankbar. Für unsere zweite Zigarrenlinie, über die ich noch nichts sagen kann, habe ich aber ein gutes Marketingbudget eingeplant.

Seit Mai ist Skelton auch in der Schweiz erhältlich. Zufrieden, wie es läuft?
Genaues kann ich noch nicht sagen. Es gab einige Schweizer Kunden und Fachhändler, die sehnsüchtig auf die Skelton gewartet haben. Die Verantwortlichen bei meinem Importeur The Royal Cigar Company zeigten sich jedenfalls zufrieden mit dem Start. Ich habe fünf Jahre auf den Markteintritt hingearbeitet, aber mir fehlten stets die finanziellen Mittel, um genügend Zigarren herzustellen. Ich habe immer nur so viel bestellt, wie ich mir leisten konnte. Aus diesem Grund hat es echt lange gedauert. Ich bin froh, dass es nun endlich geklappt hat – und ausserordentlich dankbar, dass die Schweizer Aficionados Skelton eine Chance geben.

Letztes Jahr haben Sie das Material für Ihre Zigarrenboxen gewechselt, wie ka­men Sie dazu?
Ich suchte schon länger nach einer Alternative, weil der Kistenbauer in Nicaragua mit der Produktion nicht mehr hinterherkam. Zudem wurde das Holz immer teurer. Problematisch finde ich auch, dass man leere Holzkisten per Luftfracht nach Deutschland transportiert, wo sie dann über kurz oder lang weggeschmissen werden. Das ergibt keinen Sinn, auch wirtschaftlich nicht.

Woraus genau bestehen Ihre Zigarren­kisten heute?
Ich habe verschiedene Alternativen ausprobiert, wie zum Beispiel Maisstärke, aber nichts hat wirklich funktioniert. Schliesslich fand ich eine Firma, die ein biologisch abbaubares Granulat aus Zellulose, Papierfasern, Stärke, Kreide und Kaolin in Deutschland herstellt. Theoretisch sind meine Zigarrenkisten zu Hause kompostierbar.

Wo ist der Haken?
Da die Kiste so dick ist, dauert es länger als sechs Monate, bis sie verrottet, vergleichbar mit einem dicken Ast im Wald. Um aber in Deutschland offiziell als kompostierbar anerkannt zu werden, müsste die Kiste innerhalb von sechs Monaten zu mindestens 90 Prozent zerfallen. Zudem gibt es je nach Land unterschiedliche Vorschriften und Richtlinien. Darum werbe ich ich auch nicht damit. Im Humidor funktioniert das Material übrigens gleich wie eine herkömmliche Kiste aus Holz.

Und wie kam die Verpackung bei den Raucherinnen und Rauchern an?
Ich hatte grosse Angst. Dass die Kundschaft etwa meint, Holzkisten wären doch viel schöner. Doch die Box ist enorm gut angekommen.

Wie stehts mit den Lieferkapazitäten von Plasencia?
Generell sind die Wartezeiten länger geworden, da es eine hohe Nachfrage nach Zigarren gibt, insbesondere aus den USA. Ich bin zwar kein grosser Kunde, habe aber einen ausgezeichneten Kontakt zu Plasencia. Dank der The Royal Cigar Company von Raymondo Bernasconi, die Plasencia in der Schweiz vertreibt, bin ich sicherlich noch ein paar Stufen nach oben gerückt. Ich plane aber immer mindestens sechs Monate ein, einschliesslich der Zeit im Aging Room.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft Ihrer Firma?
Dass der aktuelle Erfolg anhält. Natürlich wäre es grossartig, wenn es noch besser läuft, aber wenn die Dinge so bleiben, wie sie sind, bin ich bereits zufrieden. Mein Traum ist, dass die Skelton-Zigarren eines Tages weltweit erhältlich sind.

Tonio Neugebauer (35) hatte im Grossen und Ganzen nie wirklich Bock auf die Schule. Nach einer Klempnerlehre absolvierte der Deutsche eine militärische Grundausbildung im Ausland. Anschliessend suchte er sich «eine etwas spannendere Aufgabe» und wurde Industriekletterer. In dieser Zeit rauchte er auch seine erste Zigarre, die ihn sofort packte. 2013 heuerte er bei einem Onlinehändler an, 2016 gründete er mit Skelton seine eigene Zigarrenmarke. Seit Mai sind vier Formate von Skelton im gut assortierten Schweizer Tabakfachhandel erhältlich.