Big Smoke
Eine Hommage an den Genuss
Die Strasse, die uns ins hügelige Appenzellerland führt, ist ziemlich steil. Das ist in der Regel ja ein gutes Zeichen, wenns aufwärtsgeht. Ausser vielleicht ganz am Ende des Lebens, und selbst dann scheint der Weg nach oben immer noch die bessere Option zu sein. Himmel und Hölle sind bei den Appenzellern übrigens durchaus ein Thema, seit Jahrhunderten. Zumindest weiss man in den beiden Halbkantonen genau, wo sich das eine und das andere befindet.
Augenblicklich ein bisschen näher am Himmel fühlen sich die Lebendigen im ausserrhodischen Vorderland, zum Beispiel in Rehetobel. Nach einem kurzen, aber kurvenreichen Aufstieg aus dem Sankt-gallischen schweift der Blick bei günstigem Wetter hinunter zum Bodensee und weit darüber hinaus. Genau hier könnte die Reise schon zu Ende gehen. Zwei gastronomische Leuchttürme laden dazu ein, darin den Tag oder gleich das Wochenende zu vergeigen.
Allerdings reichen zwei Tage nicht aus, um den legendären Weinkeller des Restaurants Gupf in Rehetobel nur annähernd zu erkunden. 30 000 Flaschen von zirka 3000 verschiedenen Weinen lagern unter dem schmucken Bauernhaus. Wer das nötige Kleingeld für die Flasche Romanée-Conti (der 2005er ist aus) nicht mitbringt, wählt ganz einfach das preisgünstige Werk eines weniger bekannten Winzers. Auch dafür hat Kellermeister Hans Rhyner seit Jahren ein sicheres Gespür. Natürlich verfügt das Haus auch über eine Zigarrenlounge (und einen Helikopterlandeplatz, aber das nur am Rande) mit einem Original des Appenzeller Malers Carl Liner an der Wand und einem aussergewöhnlich gut assortierten Humidor. Unter anderem hat Spitzenkoch Walter Klose noch ein paar Cohibas 1966 Limitada 2011 an Lager.
In Heiden, ungefähr zwei grüne Hügel weiter östlich, eröffnete vor fast genau drei Jahren das Restaurant Fernsicht seine Tore. Auch dort würde man am liebsten direkt ins Fumoir stürmen oder im lauschigen Garten Platz nehmen und nach der Zigarrenkarte verlangen. Der Humidor ist bestückt mit Raritäten, bei unserem letzten Besuch waren unter anderem zwei Behike-Formate, eine Bolivar Edición Limitada 2009 und eine Punch Exclusivo Gran Bretañia vorrätig. Aber natürlich hält sich der abgeklärte Aficionado in solchen Situationen an die Reihenfolge: Er geniesst zuerst das Menü von Sterne-Koch Tobias Funke und die sensationellen Desserts von Kay Baumgardt, lässt sich danach von Sommelier Tom Tomassen eine Spirituose empfehlen und macht sich erst dann über den Zigarrenschatz des Hauses her.
Einen Schatz kulinarischer Art gibt es in der Bärli Metzg in Heiden. Die Krautwurst ähnelt optisch der Appenzeller Siedwurst, schmeckt aber dank dem Zusatz von weissem Chabis ganz anders (und schlicht hervorragend). Sie wird einzig im ausserrhodischen Vorderland hergestellt und ist weitgehend unbekannt (selbst im wenige Kilometer entfernten Ausserrhoder Hinterland).
Zu kaufen gibt es die Krautwurst immer ab dem zweiten Freitag im Oktober (dann ist in Heiden Jahrmarkt) bis Ostern. Ein Besuch bei Metzgerei-Inhaber Rolf Niederer lohnt sich aber auch ausserhalb der Saison, zum Beispiel wegen des Appenzeller Mostbröcklis, das an Zartheit kaum zu übertreffen ist, oder der ganzjährig erhältlichen, ebenfalls nur sehr lokal bekannten Spezialität «Schwinigi Stückli». Dabei handelt es sich um ein trockengewürztes, direkt über dem Feuer bei bis zu 130 Grad Celsius heissgeräuchertes Schweinskotelett, das wie ein Schinken aufgeschnitten wird und mit einem solchen problemlos mithalten kann.
In der Nähe von Gais, von Heiden herkommend, passieren wir die Grenze zum Kanton Appenzell Innerhoden. Die Luft ist die gleiche, die Landschaft auch, aber der Schein trügt. Traditionen werden im Innerrhoden noch mal ein Stück ernster gelebt. So ist es für die Appenzeller Touristiker immer eine Herausforderung, den angereisten Chinesen zu erklären, dass sie nicht wissen, wann genau die Bauern mit ihren Kühen von der Alp abfahren. Vor allem aber sagen sie den Touristen nicht, dass es den Innerrhödlern im Herzen lieber wäre, könnten sie bei solch intimen Anlässen unter sich bleiben.
Einer, der das Brauchtum bestens kennt, ist Sennensattler Roger Dörig. Der 47-Jährige hat es gerne ruhig. Sein Atelier unweit des Bahnhofs öffnet er nur donnerstags und samstags, auch weil er sowieso über mehrere Monate ausgebucht ist. Das Handwerk des Sennensattlers vereint das Können des Sattlers, des Goldschmieds sowie des Ziseleurs und erfordert darüber hinaus präzise Kenntnisse des Brauchtums. Vieles lernte Dörig von seinem Grossvater, so nebenher, während er zusammen mit Didier Cuche und Bruno Kernen eine professionelle Skirennfahrerkarriere anstrebte – und es bis in den Europacup schaffte. Statt Olympiamedaillen hängen in seinem Atelier nun der Schmuck und die mit ziseliertem Messing verzierten Trachten der Appenzeller Sennen.
Anders als etwa das Dirndl, das man im Lidl kaufe, sei die Appenzeller Sennentracht nicht für jedermann, stellt Dörig bald einmal klar. Jede Form, jede Naht und jede Farbe hat ihre Geschichte. Viel Spielraum für kreative Ideen bleibt da nicht. Als Bewahrer der Tradition steht Dörig derselben aber auch durchaus kritisch gegenüber. «Tradition ist gut und recht, aber sie muss auch überlebensfähig sein.»
Kreativ ausleben kann sich Dörig hingegen mit seinen Appenzeller Gurten (gibts auch als Hundehalsband), bei denen er immer wieder mit einer modernen Formsprache überrascht. Wer keine Zeit hat, um nach Appenzell zu reisen, kann sich seinen Wunschgurt auf Dörigs Internetseite übrigens selbst zusammenstellen. Für die Zeit vor seiner Pension (und auf keinen Fall vorher, wie er betont) hebt Dörig sich die Herstellung der raren Appenzeller Sennenpfeifen auf. Zirka eine Woche braucht er für ein Exemplar des dünnwandigen Schmuckstücks aus Bruyère-Holz, eingefasst mit Silber und vollendet mit einem abgekanteten Silberrohr sowie einem Mundstück aus Horn.
Einen gemütlichen Fünf-Minuten-Spaziergang von Dörigs Atelier entfernt (Appenzell ist klein, nichts ist wirklich weit weg) befindet sich das Besucherzentrum der Brauerei Locher. Neben dem schweizweit bekannten Appenzeller Bier hat sich die Brauerei auf die Produktion von Single Malt Whisky spezialisiert. Markenzeichen des Appenzeller Säntis Malt ist die Lagerung in alten Bierfässern aus Eichenholz, wobei sich im Keller der Brauerei mittlerweile auch zahlreiche Wein-, Bourbon- oder Sherry-Fässer stapeln. Um den Whisky und das Appenzell gleichzeitig kennenzulernen, empfiehlt sich eine Wanderung durch den Alpstein. Seit 2015 und noch bis Oktober 2019 bieten 26 Bergrestaurants auf dem sogenannten Whiskytrek jeweils einen vor Ort in einem speziellen Fass gelagerten Appenzeller Single Malt an, erhältlich im Offenausschank oder in der Zehn-Zentiliter-Flasche zum Nach-Hause-Nehmen. Seit diesem Jahr können sich Whiskyfans bei der Brauerei Locher auch ein Fass kaufen. Das Prinzip ist einfach: Der Käufer bestimmt den Whisky, die Grösse und die Art des Fasses sowie die Lagerdauer. Am Schluss wird der eigene Whisky abgefüllt, und fertig ist der nach eigenem Gutdünken veredelte Single Malt.
Auf dem Weg zum Säntis, dem Hausberg der Ostschweiz, an dessen rauen Felsen die Grenzen der beiden Appenzell sowie des Toggenburgs aufeinanderprallen, sollte man unbedingt einen Halt im Hotel Bären in Gonten einlegen. Das mit einer wunderschönen Zigarrenlounge ausgestattete Bijou wird von Susan und Chris Faber geführt und bietet alles, was sich ein Aficionado nur wünschen kann. Ausdrücklich nicht empfehlen können wir das Zigarrenzimmer im Hotel Säntis auf der Schwägalp. Die Aschenbecher waren bei unserem Besuch voll mit Zigarettenstummeln, der Humidor hatte einen Sprung im Glas, und den kümmerlich wirkenden Zigarren dahinter wünschte man ein ehrenvolleres Ende – vielleicht in einem Ofen. Dann doch lieber hinauf auf den Säntis, rauchen auf 2500 Meter über Meer ist vielleicht nicht jedermanns Sache, hat aber seinen Reiz.
Und hier, zum Schluss, noch eine allerletzte Empfehlung. Ziemlich genau auf der Kantonsgrenze zu St. Gallen, hoch über Herisau, liegt das Restaurant Rüti. Es ist die letzte – oder die erste Gelegenheit im Appenzell Ausserhoden, in gepflegtem Rahmen eine Zigarre zu geniessen. Im ersten Stock des Restaurants kann man sich bei einer grandiosen Aussicht seelisch auf den Abstieg nach Gossau vorbereiten. Oder aber über schönere Dinge nachdenken.
Empfohlene Raucherorte im Appenzellerland
Restaurant Fernsicht
Die wunderschön ausgestattete Zigarrenlounge des mit einem Michelin-Stern dotierten Restaurants bietet Platz für zirka zehn Personen. Bei warmem Wetter empfiehlt sich der lauschige Garten vor dem Haus. Im Angebot hat Küchenchef Tobias Funke, der auch ausgebildeter Spirituosensommelier ist, unter anderem hochinteressante kubanische Zigarrenspezialitäten.
Seeallee 10, 9410 Heiden, 071 898 40 40, www.fernsicht-heiden.ch
Restaurant Gupf
Neben einem legendären Weinkeller und einer mit 17-Gault-Millau-Punkten dotierten Küche beherbergt das Haus auch eine heimelige Zigarrenlounge mit einem sehr gut bestückten Humidor. Von Davidoff hat es fast alles, von Patoro ein bisschen. Dazu kommen kubanische Formate, darunter zahlreiche Raritäten wie Cohiba Behike oder Limitadas vergangener Jahre.
Gupf 21, 9038 Rehetobel, 071 877 11 10, www.gupf.ch
Café Bar Frohburg
Der Betrieb gehört ebenfalls zum Unternehmen der Fernsicht. In der Zigarrenbar im ersten Stock hats Platz für 20 Gäste. Das Zigarrensortiment ist auf kleinere Budgets ausgerichtet, es gibt 15 Zigarren für jeweils unter 15 Franken. Sonst wird in der Frohburg fröhlich Billard gespielt oder auch mal das eine oder andere Fussballspiel gezeigt. Zu empfehlen sind die Cocktails.
Poststrasse 17, 9410 Heiden, 071 891 33 88, www.frohburg-heiden.ch
Hotel Bären
Das Boutique-Hotel bietet alles, was sich ein Aficionado wünschen kann. Zum Beispiel eine gute Küche oder eine stimmige Raucherlounge mit einem überlegten Sortiment (insgesamt 19 Zigarrenformate). Speziell zu erwähnen sind die vier exklusiven Whiskyfässer der Brauerei Locher, aus denen man fassstarken Whisky bestellen kann.
Dorfstrasse 40, 9108 Gonten, 071 795 40 10, www.baeren-gonten.ch
Restaurant Rüti
Die Lounge bietet eine grandiose Aussicht Richtung Gossau und eine schöne Auswahl an Zigarren und Spirituosen. Auf Wunsch (es hat ein Servicetelefon) werden in der Lounge kleine Häppchen serviert. Im Parterre bietet das Restaurant Rüti eine elaborierte Küche, von der gebratenen Entenleber bis zum Chateaubriand.
Rütistrasse 1683, 9100 Herisau, 071 352 32 80, www.ruetiherisau.ch
Einen Abstecher wert
Klarer AG
Der Davidoff-Depositär ist das einzige Tabakfachhandelsgeschäft im Appenzell Innerrhoden. Die Auswahl an Premiumzigarren ist überschaubar, aber gut gepflegt. Speziell sind die hauseigenen Pfeifentabak-Mischungen.
Hauptgasse 10, 9050 Appenzell, 071 787 11 23, www.klarer-ag.ch
Kunstgewerbe Dörig
Sennensattler Roger Dörig ist Spezialist für Sennentrachten und Appenzeller Gurte. Die rare Appenzeller Sennenpfeife stellt er zurzeit nicht her. Die Gurte kann man online selbst kreieren und bestellen oder aber donnerstags und samstags in seinem Atelier vorbeischauen.
Poststrasse 6, 9050 Appenzell, 071 787 11 82, www.myappenzell.com
Brauerei Locher
Whiskyfans können den Appenzeller Säntis Malt seit Anfang Jahr auch im Fass erwerben und über dessen Lagerung entscheiden. Im Besucherzentrum gibts zudem die eine oder andere Spezialabfüllung zu kaufen.
Brauereiplatz 1, 9050 Appenzell, 071 788 01 40, www.saentismalt.ch
Metzgerei Bärli
Zwischen Oktober und März produziert Metzgerei-Inhaber Rolf Niederer die kaum bekannte Krautwurst. Ein Besuch lohnt sich aber auch wegen dem «Schwinigi Stückli», den Appenzeller Siedwürsten oder dem überaus zarten, seit 2018 geografisch geschützten Appenzeller Mostbröckli.
Werdstrasse 20, 9410 Heiden, 071 891 10 67, www.baerlimetzg.ch