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Cigar 2/22

Was bleibt

Interview: Tobias Hüberli Illustrationen: Philip Schaufelberger
Der Zigarrenhersteller Carlos «Carlito» Fuente junior wird von seinen Fans verehrt wie ein Messias. Die Zigarrenlinie Opus X geniesst Kultstatus. Seinen Erfolg begreift der 68-Jährige mittlerweile als grosse Verpflichtung gegenüber jenen Menschen, die diesen erst ermöglicht haben.
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Die Nachmittagssonne schwindet langsam hinter den mit sattem Grün bewachsenen Hügeln der Region Bonao und taucht das Château de la Fuente in ein sanftes, diffuses Licht. Die berühmteste Tabakplantage der Dominikanischen Republik ist ein einzigartiger, durchaus irritierender Ort. Das Château entpuppt sich als ansehnliches Holzhaus im Kolonialstil, gesäumt von hohen Palmen. Auf dem perfekt geschnittenen Rasen räkeln sich zwei grosse weisse Hunde, diverse Landesflaggen geben dem Anwesen einen botschaftsähnlichen Anstrich.

Für Carlos «Carlito» Fuente ist es ein grosser Tag. Am Morgen hat er vor versammelter Presse den Spatenstich für den Bau des Art Academy Center vollzogen, an dem dereinst nicht nur Ballett, Malerei und audiovisuelle Künste, sondern auch Journalismus gelehrt werden soll. Es ist das neueste Projekt seiner Cigar Family Foundation, die wenige Autominuten von den Plantagen entfernt bereits ein medizinisches Zen­trum, eine Krippe, eine Primarschule, eine High School sowie eine Technische Schule betreibt. Rund 480 Kinder pro Jahr erhalten in der Einrichtung eine kostenlose Ausbildung.

Was denken Sie, wird dereinst Ihr Vermächtnis sein?
Sie stellen einem einfachen Zigarrenmacher eine schwierige Frage. Beim Vermächtnis geht es da­rum, etwas von Bedeutung zu hinter­lassen. Ich hoffe nur, dass meines mit Menschen zu tun hat und nicht mit Zigarren. Denn ganz egal, was man im Leben unternimmt, wir haben die Verantwortung, andere Menschen glücklich zu machen. Und wenn man als Unternehmer erfolgreich agiert, dann ist es wichtig, der Gemeinschaft etwas davon zurückzugeben.

Waren Sie schon immer dieser Meinung?
Nein, ganz im Gegenteil. Aber mit dem Lauf des Lebens, mit dem Kämpfen, dem Fallen, dem Wiederaufstehen, realisiert man irgendwann einmal, dass es mehr gibt, als einfach nur das Leben zu geniessen. Man hat eine Verantwortung. Die Art und Weise, wie ich aufwuchs, war sicherlich hilfreich, dies zu verstehen. Es ist die Menschlichkeit, die mich motiviert, hart zu arbeiten und die besten Zigarren herzustellen, die ich kann. Weil ich durch meine Zigarren Menschen erreichen kann, und hoffentlich können wir zusammen einen Unterschied machen.

Ihr Erfolg ist eng mit dem Deckblatt verbunden, das die Zigarrenlinie Fuente ­Fuente Opus X weltberühmt machte. Wie kamen Sie dazu?
Unser Ziel war es, ein Deckblatt zu züchten, das es bisher nicht gab. Als wir 1991 Tabak pflanzten, existierten zwar Deckblätter aus der Dominikanischen Republik, aber keine kommerziell erfolgreichen. Ich betrachtete es als eine persönliche Herausforderung, in diesem Land nicht nur Longfiller herzustellen, sondern auch die Krönung, das Deckblatt. Es ist der wichtigste Teil einer Zigarre. Auch nach fast drei Dekaden ist es noch immer ein Kampf mit Mutter Natur. Manchmal gewinnt man das Spiel, manchmal verliert man.

Worin liegt das Geheimnis der Deckblätter von Château de la Fuente?
Lassen Sie es mich möglichst bescheiden sagen. Ich probiere fast täglich Tabak aus der ganzen Welt, den Leute mir bringen. Wir testeten zudem viele andere Gebiete in der Dominikanischen Republik, aber kein Tabak schmeckt wie der, den wir hier züchten. Es ist etwas in dieser Erde, das dem Tabak eine unglaubliche Noblesse beschert. Und der Geschmack steht über allem. Ich sage nicht, dass unsere Deckblätter besser sind als andere, aber sie sind einzigartig. Mittlerweile glaube ich, dass Gott uns aus einem Grund hierherbrachte.

Erzählen Sie!
Ich verfüge über keine Ausbildung in den Bereichen Marketing oder Agrikultur, aber mein Herz steckt voller Leidenschaft. Vielleicht gab uns ja etwas sehr Mächtiges die Gelegenheit, dieses magische Deckblatt zu züchten und eine grosse Marke zu gründen, um uns gleichzeitig auf die Situation in den Kommunen hier aufmerksam zu machen. Darauf zum Beispiel, dass es keine Schulen gab und keine Krankenhäuser, kein fliessendes Wasser und keine Elektrizität. Dank diesem Deckblatt ist schliesslich die Cigar Family Foundation entstanden, ein unglaubliches Projekt, das den Menschen hier etwas zurückgibt. Es war unser Schicksal, vor 27 Jahren hierherzukommen, um einen Unterschied zu machen – und zwar für ein Kind nach dem anderen.

Wie viele Kinder sind denn insgesamt in das Projekt involviert?
In den Schulen sind es 480 jedes Jahr. Aber wir unterstützen auch lokale Institutionen in rund 30 Kommunen der Region. Ich habe mich immer mit den Kindern beschäftigt. Aber als ich älter wurde, realisierte ich, dass heute die Alten eigentlich die vergessenen Kinder sind. Wenn man in dieser Region ein gewisses Alter erreicht, nicht mehr produktiv ist, dann sitzt man in einem Schaukelstuhl und ist niemand mehr. Dabei brauchen alte Menschen Therapien, Aktivitäten und vieles mehr. Das war auch die Motivation, eine Pflegeschule zu errichten. Für die Ausbildung zur Krankenschwester musste man früher in weiter entfernte Städte reisen, niemand hier hatte die Mittel dafür.

Was gibt Ihnen Halt?
Als Kind sah ich meinen Vater kämpfen. Er unternahm alles, damit unser Business überlebte. Es waren schwierige Zeiten. Ich wuchs in einem kleinen Holzhaus mit einem Blechdach auf. Es war sehr bescheiden, aber jeden Nachmittag und Abend kamen Leute zu uns, meine Grossmutter kochte für jeden, sie rauchten Zigarren, spielten Domino. Ich er­innere ich mich immer an diese Zeit zurück, es war die glücklichste Zeit in meinem Leben, es ging immer um die Gemeinschaft.

Wie läuft eigentlich das Zigarrengeschäft von Arturo Fuente?
Es läuft gut für alle. Nicht nur für uns. Klar, wir stehen vor grossen Herausforderungen. Die Restriktionen nehmen ständig zu. Und trotzdem: Niemals in meinem Leben, nicht einmal während des sogenannten Zigarrenbooms, gab es eine so grosse Nachfrage für Premiumzigarren. Das Business läuft gut, aber die Zukunft ist nicht sicher. Die Zigarrenindustrie hat nur einen Mitbewerber.

Der da wäre?
Die Regierungen rund um die Welt. Sie wollen uns unsere Freiheiten nehmen und die Möglichkeit, ein legales Produkt zu geniessen, das seit Jahrhunderten existiert. Diese Leute haben keine Ahnung vom Unterschied zwischen einer Zigarre, die von Hand in 350 Arbeitsschritten hergestellt und zehn Jahre reifegelagert wird, und einer Zigarette mit Filter und Kaugummigeschmack. Ein Schimpanse und ein Delfin sind beide Tiere, aber trotzdem nicht gleich.

Wie steht es denn um die vierte Generation der Fuentes?
Die sind bereit, haben Lust darauf, sind mit Leidenschaft dabei und verstehen die Verantwortung, die damit einhergeht. Ich bin ein strenger Vater. Man kann bei uns nicht einfach so arbeiten. Du musst es lieben.

War ihr Vater auch streng?
Das war er. Aber streng als Vorbild. Er sagte nicht, was ich tun muss. Aber ich schaute ihn an und fragte mich, wie ich jemals in seine Fusstapfen treten soll. Das war hart. Ich sagte mir dann, dass ich wenigstens seinem Pfad folgen kann. Mein Vater war ein ausserordentlicher, bescheidener Mann. Aber er war auch der am härtesten arbeitende Mensch, den ich je gekannt habe. Er arbeitete rund um die Uhr, für das Unternehmen und die Familie. Es ist hart für mich, über meinen Vater zu sprechen. Ich bin nicht wie er. Aber zusammen formten wir ein perfektes Team.

Und worin liegt für Sie die Faszination einer Zigarre?
Ich glaube, die einfachsten Dinge im Leben sind die mächtigsten: etwa die Suche nach Glück, nach Gemeinsamkeit, vielleicht nach Luxus. Eine feine Zigarre erfüllt das alles. Ich sehe sie
immer noch als Vehikel, um Menschen zusammenzubringen. Und um das geht es im Leben.

Im Bild
Mit dem Art Academy Center, dem neusten Projekt der Cigar Family Foundation, legt Carlos Fuente junior den Fokus auch auf Journalismus und Malerei. In diesem Sinne liessen wir das Interview mit dem Zigarren­doyen von Philip Schaufelberger illustrieren.