Big Smoke
Eine Hommage an den Genuss
Goldinvestments sind primär eine Glaubensfrage. Denn nüchtern betrachtet hat das Edelmetall ausser Schönheit, Seltenheit und einigen nützlichen chemischen Eigenschaften wenig zu bieten. Es wirft weder Zinsen noch Dividenden ab, und teuer ist es auch. Aus diesem Grund lassen bekannte Goldskeptiker wie Warren Buffett die Finger davon: «Gold wird aus dem Boden in Afrika oder irgendwo sonst in der Welt ausgegraben. Dann schmelzen wir es ein, graben ein anderes Loch, verstecken das Gold wieder darin und bezahlen Menschen, um darum herumzustehen und es zu bewachen», sagte das Orakel von Omaha 1998 bei einer Rede vor Harvard-Studenten. Die Goldkäfer hingegen, Anleger mit langfristigem Horizont, sehen im Gold einen sicheren Hafen und Schutz vor verrücktspielenden Zentralbanken: «Früher hiess es, Gold zahlt keine Zinsen. Heute muss es heissen, Gold kostet keine Zinsen», sagt der für seine «In Gold we Trust»-Berichte bekannte Fondsmanager Ronald-Peter Stöferle. Wie aber kommt der Preis für ein Gut zu Stande, dessen Wert allein vom Glauben an seinen zukünftigen Wert abhängt?
London, Ende April 2004: Während die Börsianer ihren Platz auf dem Parkett längst gegen einen vor dem Computer getauscht haben und Aktienpakete im Bruchteil eines Wimpernschlags den Besitzer wechseln, spielen die Akteure des Goldmarkts noch einmal nach den Regeln von 1919. In den Räumlichkeiten und unter dem Vorsitz der Privatbank NM Rothschild & Sons an der noblen
St. Swithin Lane finden sich vier weitere Banker der Geldhäuser Novo Scotia, Deutsche Bank, Société Générale und HSBC ein. Sie alle sind Mitglieder der London Bullion Market Association (LBMA); der London Bullion Market wiederum ist der wichtigste ausserbörsliche Handelsplatz für physisches Gold und Silber. Gemeinsam werden sie den Goldpreis festlegen, an dem sich der kleine Altgoldankäufer um die Ecke ebenso orientiert, wie es die grossen Raffinerien in der Schweiz oder die Minengesellschaften in Kanada, Russland oder Südafrika tun. Bis auf NM Rothschild & Sons wurden alle vier Gründungsbanken von Grossbanken aufgekauft, die ihren Sitz erbten. Am Ablauf des sogenannten Goldfixings änderte sich dadurch freilich nichts. Das Ritual, in seinem Anachronismus vergleichbar mit der täglichen Wachablösung, die vor dem Buckingham Palace über die Bühne geht, wird immer werktags um 10.30 Uhr und um 15 Uhr zelebriert.
Vor mittlerweile 13 Jahren nehmen die Bullionbanker ein letztes Mal an den fünf Tischen unter den prunkvollen Ölporträts Platz und den Hörer in die Hand. Der Vorsitzende macht den Auftakt mit einem Preisvorschlag. Dann beginnt das Telefonieren: Die fünf Geldhäuser rufen ihre Kunden an, die wiederum die ihren kontaktieren. Der pyramidenförmige Verlauf des Informationsflusses ermöglicht die breite Teilnahme von Grosskunden wie Minengesellschaften, Notenbanken, Pensionsfonds, Geschäftsbanken und Raffinerien. Dann wiederholt sich das Ganze in umgekehrter Richtung. Auf Basis der genannten Kauf- und Verkaufspreise stellt der Vorsitzende einen Marktpreis fest, die Banker entscheiden, ob sie zum genannten Kurs Nettokäufer oder -verkäufer sein wollen. Will einer sein Angebot oder seine Nachfrage ändern, signalisiert er dies mit einer kleinen Union-Jack-Flagge auf dem Tisch. Der Vorsitzende macht so lange neue Kursvorschläge, bis sich Angebot und Nachfrage die Waage halten und die Flaggen gesenkt werden. Nach rund zehn Minuten ist der Goldpreis gefixt, in Krisenzeiten dauert es länger.
Nachdem die Bank NM Rothschild & Sons 2004 überraschend ihren Ausstieg aus dem Goldmarkt bekanntgab, fand auch diese Tradition – in ihrer ursprünglichen Form – ihr Ende. Danach wurde das Goldfixing per Telefonkonferenz betrieben, bis diese im März 2015 durch eine elektronische Auktionsplattform ersetzt wurde. Grund für den erneuten Systemwechsel waren Klagen gegen die Bullionbanken wegen Goldpreismanipulationen. Die Deutsche Bank handelte einen Vergleich aus und zahlte 60 Millionen Dollar, die britische Barclays Bank musste Strafzahlungen in Höhe von
26 Millionen Pfund leisten. Das neue System soll weniger manipulationsanfällig sein: Während eines Zeitfensters von 45 Sekunden können die Teilnehmer ihre Kauf- und Verkaufsorder abgeben. Auf Basis dieser Aufträge wird der Goldpreis bestimmt. Im Unterschied zum bisherigen System fusst dieser so auf tatsächlich ausgeführten Transaktionen und nicht auf blossen Angaben der Banken.
Man solle jedoch nicht meinen, dass der Goldmarkt nun wieder gänzlich manipulationsfrei sei, schreibt Stöferle in seinem aktuellen Bericht: «Es handelt sich hier nur um die Spitze des Eisbergs, was Marktmanipulation angeht – von weitaus grösserer Bedeutung erscheint der Futures-Handel an der Comex.» Das Wort des 36-Jährigen, der als Fondsmanager für die Incrementum AG arbeitet, hat Gewicht; sein Bericht wurde 2016 zwei Millionen Mal heruntergeladen, er selbst gilt als einer der akkuratesten Goldanalysten. Neues System hin oder her; Sinn und Zweck der Übung ist derselbe geblieben. Zum gefixten Preis soll möglichst viel Gold gehandelt werden. Die genauen Volumina sind unbekannt, und die Branche nimmt die «Schweigen ist Gold»-Regel so wörtlich, wie es nur geht. Gemäss Andreas Hablützel, CEO der Degussa Goldhandel AG, sind die Mengen jedoch kleiner geworden. Anders als beim ständig wechselnden Spotpreis, der dezentral durch einzelne Transaktionen rund um den Globus zu Stande kommt, bietet der gefixte Preis eine stabile Grundlage, auf der die Akteure aufbauen und ihre Bestände bewerten können.
Letztes Jahr stieg der Goldpreis abermals und auf durchschnittlich 1251 Dollar pro Unze. Das entspricht einer Kurssteigerung um acht Prozent: «2016 war ein Rekordjahr. Im vierten Quartal haben die Raffinerien 24 Stunden durchgearbeitet», kommentiert Hablützel das Geschäftsjahr der weltgrössten Goldhändlerin. Die Zeit für Gold scheint günstig. So hält Stöferle an seiner Prognose für 2018 fest, wonach der Goldpreis 2300 Dollar pro Feinunze erreicht. Damit gehört der Fondsanalyst, wie er selbst sagt, zu den Zuversichtlichsten. Hablützel, der für das laufende Jahr einen Preis von 1200 bis 1350 Dollar pro Unze prognostiziert, ist vorsichtiger: «Damit das eintrifft, muss es fast zu einer Finanzkrise kommen.» Die indes ist ein Szenario, das sowohl Hablützel als auch Stöferle für durchaus denkbar halten. Inflation, Negativzinsen, Schuldenkrisen und politische Unsicherheiten sind Faktoren, die den Goldpreis traditionell in die Höhe treiben. Allerdings: «Gold ist kein reines Investment für Untergangspropheten», sagt Stöferle und verweist auf den sogenannten Love Trade – die starke Goldnachfrage aus Ländern wie zum Beispiel Indien, China, Saudi-Arabien oder Thailand für Hochzeitsschmuck und dergleichen. Hablützel und Stöferle sind sich einig: Die Zeit für Gold ist reif, blindlings loslegen sollte man dennoch nicht (siehe Box). Zum Glück lässt sich ein goldenes Händchen trainieren.
Was die Experten raten
#1 Vermeiden Sie Online-Händler, die Barren und Münzen deutlich unter dem Spotpreis verkaufen. Es handelt sich um gefälschte oder minderwertige Ware. Es empfiehlt sich, zertifiziertes Gold von renommierten Anbietern zu kaufen.
#2 Grössere Barren, insbesondere jene mit 500 und 1000 Gramm, bieten das bessere Preis-Leistungs-Verhältnis, da die Prägekosten weniger ins Gewicht fallen. Bei den Anlagemünzen empfiehlt es sich, auf alte Bekannte zu setzen. Das ist die eine Seite der Medaille.
#3 Auf der anderen Seite senken Käufe, die über einen längeren Zeitraum verteilt getätigt werden, das Preisrisiko: «Letztlich ist immer etwas Kaffeesatzlesen dabei. Es empfiehlt sich daher, stets gestaffelt zu kaufen», so Stöferle.
#4 Minenaktien hatten 2016 eine sehr gute Performance, schwanken aber viermal stärker als der Goldpreis. Wer sie hält, braucht starke Nerven.
#5 Es empfiehlt sich, zehn bis 15 Prozent des Vermögens in Gold zu halten, und zwar für mindestens einige Jahre, am besten aber für Dekaden und die nächste Generation.