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Cigar 2/2021

Wenn der Funke zündet

Text: Virginia Nolan Fotos: z. V. g.
Einst waren Tabakwerbungen Kult, heute sind sie durch Gesetzesverschärfungen nur noch beschränkt sichtbar. Das hinderte den Schweizer Starwerber Leo Gesess nicht daran, sich für die Zigarrenfabrik Eicifa an die Arbeit zu machen – mit internationalem Erfolg.
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Für ziemlich alles, sagt Leo ­Gesess, habe er schon geworben, «eigentlich fehlen nur Kondome und die Kirche.» ­Gesess ist ein Urgestein in der Schweizer Werbebranche und prägte hierzulande die Geschicke internationaler Agenturen wie J. Walter Thompson, TBWA, Grey oder Euro RSCG mit. Als Krea­tivdirektor und Fotograf betreute er Kommuni­kations-, Fotoregie- und Werbefilmmandate in aller Welt, die ihm zahlreiche Auszeichnungen eintrugen. Nach der Jahr­tausend­wende verabschiedete sich Gesess aus dem Reigen der Giganten und setzte mit Com.Com aufs eigene Unternehmen. Auch dieses lief auf Hochtouren, bis Gesess, weil atemlos, den Stecker zog, um den Ausstieg zu proben, zuerst in den USA, dann in Italien. Schliesslich führte der Weg zurück in die Schweiz, wo er sein Unternehmen wieder aufnahm: «Ich kann nicht anders, ich muss kommunizieren.»

Inspiration auf dem Dachboden
Das hat der Altmeister unlängst im Namen einer Schweizer Zigarrendynastie getan: Seine Arbeit für Eicifa schaffte es an der diesjährigen London International Creative Competition in die Shortlist, also unter die 21 besten Kampagnen weltweit. Freundschaftliche Beziehungen, erwachsen aus einem Zufall, hätten zu diesem Projekt geführt, sagt Gesess: «Das macht die Freude über die Auszeichnung noch grösser.» Zu Familie Eichenberger, die die Aargauer Zigarrenfabrik Eicifa in vierter Generation führt, kam er über Anne-Sophie, die Enkelin von Doyenne Edith Eichen­berger. Gesess hatte das Mädchen und seinen Vierbeiner in einer Hundeschule kennen gelernt – und das Duo als Haupt­protagonisten in einem Werbefilm verpflichtet, den er für die Schweizer Kynologische Gesellschaft reali­sierte, also den Dachverband der Hunde­züchter hierzulande.

Den kreativen Funken habe ein Rundgang auf dem Dachboden der ­mittlerweile stillgelegten Eicifa-Produktionsstätte in Menziken gezündet, sagt Gesess. «Der Raum atmet Geschichte: die historischen Gerätschaften, Zeitzeugen einer alten Handwerkskunst, der Duft nach Tabakkraut, der noch immer in der Luft hängt. Das hat mich inspiriert.» Ideen seien schwer abzuschütteln, wenn sie auf einen einprasselten, sagt Gesess, und so habe er nicht anders können, als sie zu Papier zu bringen: «Diese Arbeit entstand nicht auf Auftrag, sondern aus reiner Freude an der Sache.» Er zückt sein schwarzes Notizbuch, das er stets bei sich trägt, und schlägt eine Seite mit Bleistiftentwürfen auf, Prototypen der Motive, wie sie auf den Eicifa-Plakaten zu sehen sind: eine aufgerichtete Pistole, über deren Mündung ringförmige Schmauchspuren hängen – «Mafiaring» –, daneben eine Zigarre in senkrechter Position, aus der Rauch aufsteigt: «Rauch-Ring». Von links trifft ein schwacher Lichteinfall den dunklen Bildhintergrund, braunes Leder mit ausgeprägter Patina. «Die Bildsprache der Kampagne», sagt Gesess, «ist beseelt vom Ambiente auf dem Dachboden der alten Zigarrenfabrik.»

Als Rauchen ein Abenteuer war
Zigarren haben in Gesess’ Erinnerung einen besonderen Stellenwert: Sie hatten ihm die ersten verbotenen Genüsse beschert. Die Eltern seien ausser Haus und er ungefähr acht Jahre alt gewesen, als er aus der Schublade des Vaters eine Meccarillo entwendet und sie angesteckt habe. «Der Hustenanfall blieb aus», sagt Gesess, «nicht aber der Reiz des Verbotenen: Der heimliche Rauchgenuss wurde zum Ritual, wenn ich allein war.» Sein Fernsehidol in später Jugend, da gehörte Gesess bereits zu den jüngsten Kreativdirektoren des Landes, war leidenschaftlicher Aficionado gewesen: Peter Falk alias Columbo von der gleichnamigen Krimiserie. Der Kultermittler im zerknitterten Mantel, erinnert sich Gesess, habe stets eine Zigarre zur Hand gehabt, «und beim Verhör schaute man gebannt zu, wie die Asche langsam verglühte – das steigerte die Spannung extrem». Auch der Mythos vom Marlboro-Mann habe seine Jugend geprägt, die Figur des einsamen Cowboys, der für Freiheit und Abenteuer lebt, abgelichtet vor dem Hintergrund endloser Prärie. «Das war meine Zeit», sagt Gesess, «ich rauchte wie ein Schlot.»

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Damit sei Schluss, seine Frau habe ihn vor ein paar Jahren zum Aufhören gedrängt, erzählt Gesess, «und das war gut so». Am Shooting für Eicifa habe er sich die erste Zigarre seit Jahren angesteckt: «Ein Genuss wie eh und je, aber der Ausnahme vorbehalten.» Bekanntlich sind Tabakprodukte die Prügelknaben der Werbeindustrie, weil das Gesetz die Werbeeinschränkungen dafür zusehends verschärft. Bleibt die Frage, was einen Kreativen reizt, sie anzupreisen, wenn die Kampagne ohnehin nur ein beschränktes Publikum erreicht. «In der Werbung geht es nicht um das Produkt, sondern um Geschichten», sagt Gesess. «Wir verkaufen Emotionen, Werte, Welten – wenn die stimmen, ist da draussen was los.»

Mehr, als das Auge fassen kann
Dazu fällt Gesess eine Anekdote mit Forrest Mars Junior ein. Der US-Unternehmer war im vergangenen Jahrhundert eine treibende Kraft hinter dem Mars-Konzern, bekannt geworden durch die Lancierung des gleichnamigen Schokoriegels. Gesess, dessen Schweizer Kampagne für Mars zu einer der besten im Weltkonzern gekürt wurde, erinnert sich an eine Sitzung mit dem Patron: «Er versammelte seine Berater im Raum, schnitt einen Mars-Riegel entzwei und fragte: Was ist das?» Die Antworten aus den Reihen der Berater seien schmeichelhaft gewesen, ihre ­Rede von zart schmelzendem Karamell, erstklassiger Schokolade und dergleichen. Dann habe sich Mars mit seiner Frage an ihn persönlich gewandt, sagt Gesess, worauf seine Antwort schlicht ausgefallen sei: ein Schokoriegel. «Da rief er aus», erinnert sich Gesess, «Leo! It’s just a piece of shit – ein Stück Scheisse.» Gesess erklärt, worauf Mars hinauswollte: «Das Produkt allein zählt nicht. Es wird, was man daraus macht, und soll das ein Hit sein, braucht es eine gute Geschichte.»

Gute Geschichten, weiss Gesess, gehen über das hinaus, was das Auge auf den ersten Blick erfasst, sie sind überraschend, weil mehrdeutig. An dieses Credo hält sich Gesess als Werber und Fotograf gleichermassen. In der Kampagne für Eicifa zum Beispiel stellt er der Zigarre («Emotion») einen Bilderrahmen gegenüber, der eine subversive Protagonistin («Emanzipation») im Porträt zeigt: Amandine-Aurore-Lucile – leidenschaftliche Zigarrenraucherin –, die sich eine männliche Identität als George Sand zulegte, damit sie nach ihrem skandalösen Erstling von 1833 weitere Bücher schreiben konnte. Diese Zusatzinformation entnimmt die Betrachterin, wohl erst auf den zweiten Blick, einer kurzen, eingängigen Anmerkung am Plakatrand, auf die das Sternchen im Claim hinweist – Überraschung gelungen.

Leo Gesess ist Geschäftsführer der Agentur Com.Com. Nach dem Studium an der Zürcher Kunstgewerbeschule managte er zwei Popmusikbands, gründete zwei private Radiostationen und machte als Fotograf und Creative Director in internationalen Werbeagenturen Karriere. Seine Arbeit ist vielfach prämiert worden, im Bereich Fotografie ging er 2017 und 2018 beispielsweise gleich zweimal in Folge als Gewinner der Global Art Awards in Dubai hervor, die als «Oscars der visuellen Kunst» zu den bedeutendsten Auszeichnungen gehören. Gesess lebt mit seiner Frau und einem Hund im aargauischen Widen.
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