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Cigar 1/2015

Wenn Zigarren die Revolution erzählen

Interview: Andrea Müller Fotos: Tanja Lander
Juan Ignacio Martínez führt die älteste Zigarrenfabrik in Nicaragua. Joya de Nicaragua ist bekannt für kräftige Puros, mit der Joya Red betritt das Unternehmen jedoch Neuland. Was bleibt, ist der Wunsch, die Geschichte des zentralamerikanischen Landes zu vermitteln.
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Wann und warum sind Sie ins Tabakgeschäft eingestiegen?
Juan Ignacio Martínez: Soll ich die kurze oder die lange Version erzählen?

Sie darf ausführlich sein.
Joya de Nicaragua wurde 1968 gegründet und ist die älteste Zigarrenfabrik Nicaraguas. Die Firma machte einen komplizierten historischen Prozess durch. Gegründet wurde sie von Kubanern, die sich nach der Revolution hier niedergelassen hatten, und 1972 fiel sie in die Hände des Diktators Anastasio Somoza Debayle. Als die sandinistische Revolution sieben Jahre später triumphierte, wurde das Unternehmen verstaatlicht. In den Neunzigerjahren verloren die Sandinisten die Wahlen, worauf die Fabrik erneut privatisiert wurde. Sie wurde den Mitarbeitern übergeben und hiess damals «Nicaragua Cigar Company». Weil die Arbeiter keine Erfahrung in der Vermarktung des Produktes hatten, suchten sie einen Investor – und fanden meinen Vater Alejandro Martínez Cuenca. Seit 1992 ist er Besitzer der Firma, und viele Angestellte von damals sind uns bis heute treu. Ich stieg 2007 als Berater ein. Nach und nach verliebte ich mich in das Produkt, die Menschen und in das Unternehmen.

War es Ihre Absicht, ins Tabakgeschäft einzusteigen?
Nein. Wie die meisten jungen Leute wollte auch ich mein eigenes Ding machen. Ich dachte nie, dass ich hier landen würde, bis ich eine Beziehung zum Produkt und zur Fabrik aufbaute und es zu einer Leidenschaft wurde.

Welche Pläne hatten Sie denn zuvor?
Ich hatte sehr viele Ideen, doch der Tabak war schliesslich am interessantesten. Mit den Zigarren tragen wir den Namen unseres Landes hinaus in die Welt. Unsere Puros werden in über 40 Ländern verkauft und gehören zu den nicaraguanischen Produkten mit der grössten internationalen Abdeckung. Es bedeutet mir sehr viel, die Botschaft meines Landes zu vermitteln.

Was meinen Sie damit konkret? Es geht doch letztlich um die Vermarktung einer Ware.
Wir fabrizieren ein Produkt, aber verkaufen eine Erfahrung. Einen Puro raucht man mit einer Absicht. Um zu entspannen oder Zeit mit Freunden zu teilen. Den Duft, das Aroma und die Komplexität des Tabaks zu geniessen, ist ein Erlebnis – und zwar umso mehr, wenn das Produkt eine Nachricht bein- haltet. Wir verbreiten den «Spirit of Nicaragua» und teilen die Eigenheiten unseres Landes. Wenn man einen Puro raucht, raucht man einen Teil Nicaraguas. Einen Teil eines Landes von ehrlichen, fleissigen und aufrichtigen Menschen mit einer komplexen Geschichte, die von Diktaturen, einer Revolution und Naturkatastrophen geprägt ist. Die Widerstandsfähigkeit Nicaraguas soll im Produkt zum Ausdruck kommen.

Sie sprechen die Geschichte Nicaraguas an. Wie funktionierte das Tabakgeschäft während der sandinistischen Revolution und des nachfolgenden Contra-Kriegs in den Achtzigerjahren?
Die Revolution begann hier im Norden des Landes. Estelí war einer der wichtigsten Punkte. Unsere Fabrik wurde bombardiert und in Brand gesetzt. Die Arbeiter bauten das Gebäude aus eigenen Kräften wieder auf. Während des Contra-Kriegs mussten die Männer kämpfen, und die Frauen übernahmen die Führung. Ausserdem konnte während des kommunistischen Regimes der Sandinisten aufgrund des Handelsembargos nichts an den Hauptabnehmer, die USA, verkauft werden. Man fand neue Märkte in Europa und in der Sowjetunion. Nicaragua verkaufte Zigarren und erhielt im Gegenzug Esswaren, Benzin und sogar Waffen für den Krieg. Die Fabrik funktionierte fast immer, aber es war schwierig, Tabak anzubauen, weil viele Plantagen vermint waren.

Wie sind die Bedingungen für den Handel mit der aktuellen Regierung, die ja wiederum sozialistisch ist und nicht die beste Beziehung zu den USA hat?
Sie ist nur auf dem Papier sozialistisch. An der Macht ist zwar die Revolutionspartei, die Sandinistische Befreiungsfront, doch sie wandelte sich. Heute vertritt die Regierung eine marktfreundliche Haltung. Das wirtschaftliche Klima ist gut für Investoren aus dem In- und Ausland. Der Tabak ist zu einem der wichtigsten Exportprodukt geworden, neben Gold, Kaffee, Zucker und Fleisch.

Mitte der Neunzigerjahre setzte der weltweite Tabakboom ein. Was passierte damals in Nicaragua?
Hier wurden über 60 Fabriken gegründet, es entstanden viele neue Marken mit Besitzern aus verschiedenen Ländern. Doch es wurden viele Fehler gemacht, vor allem bei der Qualität. Als die Blase platzte, überlebten von den 60 Firmen gerade einmal 20. 1998 war das Jahr des Hurrikans Mitch, einer der schlimmsten Naturkatastrophen Nicaraguas. Die ganze Tabakzone wurde durch Überschwemmungen verwüstet. Während einiger Jahre ging es den Fabriken hier sehr schlecht.

Diese Zeiten sind offensichtlich vorbei. Laut Studien stieg der Export von Tabak aus Nicaragua zwischen 2006 und 2012 um 114 Prozent. Wie kam es zu diesem Aufschwung?
Das ist vor allem der steigenden Qualität des Tabaks zu verdanken. Einerseits erhält das Tabakblatt, das wir kultivieren, aufgrund des reichen, vulkanischen Bodens einen einmaligen Geschmack, ist kräftig und komplex. Andererseits verursachte der steigende Wettbewerb zwischen den Fabriken innerhalb Nicaraguas eine Qualitätssteigerung. Es wird viel investiert in Innovation und Effizienz. Die Fabriken hier schafften es, Produkte mit Prestige zu entwickeln, was die Nachfrage steigen liess. Früher hiess es immer, alles was nicht aus Kuba kommt, ist nicht gut. Das ist nicht mehr so. Den Wert und die Qualität unseres Tabaks bestätigt auch das neue Produkt von Davidoff, einer der wichtigsten Tabakmarken der Welt: die «Davidoff Nicaragua» aus 100 Prozent nicaraguanischem Tabak.

Das tönt alles sehr gut, doch es gibt bestimmt auch Schattenseiten der steigenden Konkurrenz hier in Estelí.
Natürlich. Wir müssen um den Tabak kämpfen, um den Rohstoff. Und auch der Wettbewerb um qualifizierte Arbeitskräfte ist enorm. Wir investieren heute viel in die Ausbildung der Mitarbeiter und in deren Wohlbefinden, um ihnen ein besseres Leben zu garantieren, und natürlich auch, um sie nicht an die Konkurrenz zu verlieren. Das ist teuer, aber unsere Existenz hängt vom Tabak und von den Händen der Arbeiter ab.

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Vor einigen Monaten kam Ihre Zigarre Joya Red auf den Markt. Was ist neu daran?

Unser Unternehmen charakterisierte sich bisher durch zwei Elemente. Erstens sind wir die älteste Zigarrenfabrik in Nicaragua. Zweitens zeichneten wir uns in unserem Hauptmarkt, den USA, durch starke Zigarren aus. Doch nicht alle Kunden konsumieren kräftige Zigarren. Deshalb wurde die Joya Red entwickelt, für jene Geniesser, die eine gute Zigarre aus Nicaragua rauchen möchten, die aber nicht allzu stark ist. Die Joya Red ist mild und zugänglich für Personen, die zum ersten Mal eine Zigarre rauchen.

Von welchem Preissegment sprechen wir?
Der Preis kommt natürlich auf den Markt an, doch er ist sehr moderat. In den USA kostet die Zigarre zwischen 5.99 und 7.99 Dollar, je nach Grösse.

Mit welchen zwei Worten würden Sie die Joya Red beschreiben?
Kriege ich mehr als zwei Worte?

Also gut, drei.
Die Joya Red ist erstklassig wie immer, aber macht viel mehr Spass.

Welche Art von Zigarren würden Sie niemals entwickeln?
Wir produzieren nur natürliche Premium-Longfiller-Zigarren. Das heisst: ohne chemische Zusatzstoffe oder Aromen.

Wer erfindet bei Ihnen die neuen Produkte?
Wir arbeiten im Team, tauschen Ideen aus und überlegen uns, was wir auf den Markt bringen wollen. Wir sprechen mit Konsumenten und Vertretern. Zum Beispiel sagen uns die Leute der Säuberli AG aus der Schweiz, was der Markt dort verlangt. Dann beginnen wir zu experimentieren, und es kann ein bis zwei Jahre dauern, bis eine neue Zigarre auf den Markt kommt.

Sie sagten in einem anderen Interview, dass die Joya Red vor allem europäische Raucher ansprechen soll. Was unterscheidet den Raucher in Europa von jenem aus den USA?
In jedem Land haben die Konsumenten spezifische Eigenschaften. Der Raucher aus den USA bevorzugt einen starken Puro mit dickem Körper, der eher scharf ist. Der Europäer raucht sanfte und weniger starke Zigarren. So sind unsere Antaños sehr beliebt in den USA, jedoch weniger in Europa. Doch wir beobachten, dass die Vorlieben der Konsumenten sich immer stärker annähern.

Wie sind die Schweizer Zigarrenraucher?
Die Schweiz ist ein interessanter Markt für uns und wir sind dort seit knapp 30 Jahren präsent. Obwohl die Schweiz ein kleines Land ist, hat sie eine grosse Tabaktradition. Lange Zeit mochten die Schweizer milde, klassische Zigarren, etwa unsere Joya Nicaragua Clásico. Jetzt kommt aber die Joya Red sehr gut an. Sie hat es geschafft, mit mittlerer Stärke den vollen Geschmack und die Komplexität des nicaraguanischen Tabaks einzubinden.

Worauf sind Sie besonders stolz?
Auf unsere Echtheit. Joya de Nicaragua ist nicht nur die älteste Fabrik, sie ist auch die einzige, die zu 100 Prozent in nicaraguanischer Hand ist. Das Kapital ist aus Nicaragua und es gibt keinen ausländischen Pass in dieser Fabrik.

Ein junger Chef für eine alte Fabrik Juan Ignacio Martínez ist Geschäftsführer der Zigarrenfabrik Joya de Nicaragua in Estelí, der wichtigsten Tabakregion des zentralamerikanischen Landes. Sein Vater Alejandro Martínez Cuenca ist seit 1992 Besitzer der 1968 gegründeten Tabakfirma. Sie ist die älteste ihrer Art in Nicaragua. Juan Martínez studierte «Management and Economics» und hatte als Unternehmensberater gearbeitet, bevor er 2007 in den Familienbetrieb einstieg. Er ist verheiratet und hat eine Tochter. Auf die Frage, ob er der jüngste Geschäftsführer einer nicaraguanischen Tabakfabrik sei, sagt er: «Ich weiss nicht, ob ich tatsächlich der Jüngste bin, aber ich gehöre definitiv zu den Jungen.» Er leitet mit 31 Jahren ein Unternehmen mit 290 Mitarbeitern, die Mehrheit von ihnen sind Frauen. Die Zigarren werden ausschliesslich von Hand hergestellt und im gleichen Haus gelagert, kontrolliert und für den Export verpackt. 2014 beschäftigte der Tabaksektor in Nicaragua rund 30000 Personen. 70 Prozent der Arbeitsplätze befinden sich in Estelí.
www.joyacigars.com