Text: Florian Schwab
Fotos: Tobias HĂĽberli
Derzeit bereitet der Besuch im Fachgeschäft dem Havanna-Freund kein Vergnügen. Eine Cohiba zu ergattern, selbst im Basisformat Robusto, gerät zunehmend zur Lotterie. Die zweite postrevolutionäre Premiummarke, Trinidad, macht sich rar und rarer. Vielerorts ist sie vergriffen. Sogar auf Standardformate wie Partagás D4 oder Romeo y Julieta Churchill ist nicht mehr überall Verlass.
Der Zigarren-Sommelier eines Zürcher Hotels, der namentlich nicht genannt werden möchte, – die Havanna-Abteilung seines Humidors bietet einen kläglichen Anblick – spielt mit dem Gedanken, die Kubaner vorläufig ganz aus dem Sortiment zu nehmen. «Wenn ich den Nachschub nicht organisieren kann, muss ich sie von der Karte streichen.» Warum nicht einfach auf jene Sorten umstellen, die es noch hat? «Ich rechne damit, dass die Lieferschwierigkeiten sich auf das ganze Sortiment ausdehnen.» Das zeige die Erfahrung der vergangenen Monate.
Das UnglĂĽck kam mit Ansage. Es frass sich sich von den weniger entwickelten Märkten immer weiter ins Zentrum der Zigarrenwelt vor: Europa und Asien. Blenden wir zurĂĽck in den vergangenen Februar, als die Regale in der Schweiz noch leidlich gut gefĂĽllt waren: Ob er irgendetwas an Cohiba habe oder irgendwelche Limitadas? Der Verkäufer im ersten Zigarrengeschäft der kolumbianischen Anden-Metropole MedellĂn lächelt verzweifelt. Nein, Cohiba sei seit Monaten ausverkauft. Vor Ausbruch der Pandemie hatte man in ÂKolumbien durchaus auch seltene Sorten erwerben können.
Drei Monate später, Mai 2021. Ein weiterer Datenpunkt auf der Abwärtsspirale: Die Duty-Free-Humidore der Flughäfen ZĂĽrich-Kloten und Madrid-Barajas. Die Auswahl fällt an beiden ÂOrten unspektakulär aus. Sorten, die normalerweise eher ein LadenhĂĽter-Dasein fĂĽhren, nehmen plötzlich viel Raum ein und stehen im Zentrum. Die Blockbuster Partagás D4 und Cohiba Robusto sind zwar noch erhältlich, aber eher spärlich. Ganz trist sieht es auf den Kanarischen Inseln aus, vor der Pandemie aufgrund des Tourismus und eines besonderen Steuerregimes ein florierender Habanos-Standort. Hier haben etliche Fachgeschäfte fĂĽr immer geschlossen. Edlere Modelle sind höchstens noch in Tubos erhältlich. Die Nachfrage, ob es beim Importeur noch Cohiba-Kisten gebe, ergibt nach einigen Abklärungen die Antwort: keine einzige.
In der Schweiz wurde das Problem erst im Sommer richtig virulent. Wer nicht als Casa del Habano exklusiv Âkubanische Zigarren verkauft oder sich als Habanos Specialist mit der Importgesellschaft Intertabak gut gestellt hat, erhält seit zwei oder drei Monaten so gut wie keine Ware mehr. In die Casas del Habano und zu den Habanos Specialists kommt zwar noch etwas. Die verfĂĽgbaren Modelle und Mengen werden aber auch hier zusehends kleiner.
Was ist der Grund fĂĽr die sich verschärfende Lage? Cigar hat mit Quellen aus der Schweizer Havanna-Welt und auf Kuba gesprochen. Fachkundige Schätzungen besagen, dass die Produktion derzeit etwa auf der Hälfte ihrer Kapazität läuft. Grund dafĂĽr ist die ÂPandemie. Wie man hört, wurde in den Fabriken vor ĂĽber einem Jahr social Âdistancing eingefĂĽhrt. Wer schon einmal die räumlichen Verhältnisse einer kubanischen Manufaktur gesehen hat und versucht, diese mit einem Zweimeter-Abstand in Einklang zu bringen, kommt zum Schluss, dass vermutlich nur die Hälfte der Arbeitsplätze besetzt werden kann. Das deckt sich mit Schilderungen aus Kuba. Zwar hat das kubanische Produktions-Monopol Cubatabaco mit der EinfĂĽhrung von Samstagsarbeit und des Mehrschicht-Betriebs Gegensteuer gegeben. Dies kann die Einbussen aber nur teilweise abfedern. Allein der Distanz-Faktor dĂĽrfte also mindestens einen Drittel der Produktion kosten.
Das Problem akzentuiert sich mit jedem Covid-Ausbruch in einer Fabrik. Erkrankt eine Rollerin oder ein Roller, dann wird, wie man hört, die ganze galera, also das aus 25 Personen bestehende Team, fĂĽr eine Woche in Quarantäne geschickt. Im schlimmsten Fall wird die Fabrik ganz geschlossen. So soll es der Fabrik La Corona in Havanna monatelang ergangen sein. Ein weiterer Pandemie-Einfluss: Alleinerziehende MĂĽtter sind offenbar von der Arbeit dispensiert, um sich um ihre Kinder kĂĽmmern zu können. Die Schulen sind nämlich nach wie vor geschlossen. Hinzu kommt, dass es auf Kuba schon zu Ânormalen Zeiten eher zu wenig Rollerinnen und Roller gibt. Die ÂFabriken können also das ausfallende Personal nicht einfach ersetzen. Das schlägt sich dann direkt in der Produktion nieder.
Gemäss sämtlichen Quellen ist die derzeit fehlende Arbeitskraft in den Manufakturen der wichtigste Faktor. Hinzu kommen dem Vernehmen nach Nachschub-Probleme bei jenen GĂĽtern, die Cubatabaco aus dem Ausland bezieht: den Kisten (teilweise aus China) und Banderolen (aus den Niederlanden). Auch Pflanzenschutzmittel und andere Hilfsmittel fĂĽr die Tabakproduktion werden zu einem guten Teil importiert. Aber die Transportkosten sowohl fĂĽr deren Einfuhr als auch fĂĽr den Export der Zigarren per Schiff nach Europa und Asien haben sich seit März 2020 in etwa vervierfacht. Höhere Importkosten bei halbiertem Absatz: Ob Habanos S.A. und Cubatabaco derzeit noch profitabel wirtschaften, steht in den Sternen. Vor Ausbruch der Pandemie war der Zigarren-Export einer der wichtigsten DeÂvisen-Lieferanten fĂĽr die kubanische Regierung. Dass nennenswerte finanzielle RĂĽcklagen bestehen, darf somit bezweifelt werden.
Der Blick auf die nächsten Monate verheisst keine Besserung. Anfang September vermeldet die Insel mit 11 Millionen Einwohnern täglich gegen 10 000 Covid-Fälle. Es ist ein Höchststand – dreimal so viel wie derzeit in der Schweiz (Stand: 6. September) und gleich viel wie auf dem Höhepunkt der zweiten Welle in der Schweiz im vergangenen November, bevor der zweite Shutdown folgte. Bis im vergangenen Juni war die Entwicklung mit unter 1500 täglichen Fällen auf Kuba leidlich unter Kontrolle gewesen.
Wenn sich das Pandemie-Geschehen weiterhin direkt auf die Produktion überträgt, wird sich diese in den nächsten Monaten nicht erholen. Im Gegenteil, dann wird es erst noch viel schlimmer, bevor es vielleicht wieder besser wird.
Einen kleinen Lichtblick gibt es: Da Habanos S.A. nirgends auf der Welt eine höhere Marge realisiert als hierÂzulande, wird der helvetische Markt Âbevorzugt beliefert. Neben den gut gefĂĽllten Lagern des Importeurs war dies der Hauptgrund, weshalb die Knappheit erst am Schluss auf die Schweiz durchgeschlagen hat. Solange Kuba noch produziert, mĂĽssen Schweizer Aficionados also nicht ganz auf Havanna-Zigarren verzichten.