Text: Claudio Zemp
Fotos: Tina Sturzenegger
Hansueli Egger ist ein alter Hase im Hunderennsport. Er hatte schon einen Weltmeister-Whippet («Cheyenne – ein Hund wie ein Sechser im Lotto», schrieb damals die «Neue Zürcher Zeitung»). Zeitweise gehörten bis zu sieben Rennhunde zur Familie Egger. Wie alle Spitzensportler wurden diese auch kulinarisch verwöhnt, mit Frischfleisch und selber gekochtem Gemüse. «Irgendwie ist es gegangen», sagt Hansuelis Frau Erika Egger. Für den pensionierten Nutzfahrzeughändler ist es ein Renntag auf seiner Heimstrecke. Während Tagen hat er im Vorfeld als Platzwart die Sandbahn präpariert. Eine mittlere Sintflut hätte um ein Haar einen Strich durch den Rennkalender gemacht. Doch nun ist alles bereit, im Oval flattert die neue Vereinsfahne des Windhundrennvereins Kleindöttingen, gestiftet von der Gemeinde Böttstein zum 40-Jahr-Jubiläum. Auch das Wetter ist rennmässig drauf, nur eine einzige Wolkensäule ragt in den Himmel – vom Kernkraftwerk Leibstadt nebenan. Das Hundesport-Camp ist schon seit Freitagabend zusammen, die meisten Hunde schlafen wie ihre Halter im Trailer. Und obwohl er schon Hunderte von Hunderennen erlebt hat, ist Hansueli Egger heute aufgeregt. Die Anspannung gehört dazu, das ist der Witz jedes Rennens: Man weiss nie, wie es ausgeht. Eggers Hoffnungen ruhen heute auf Lotus. Der Lokalmatador wird im Rennen Nummer 33 in Rot auf Bahn eins antreten. Und der Kleine ist vielversprechend. Egger bringt ein recht entspanntes Lächeln zustande: «Mein Sohn kommt ab und zu vorbei, aber an ein Rennen kommt er nie. Er sagt, am Renntag könne man mit uns nicht reden.»
So schlimm ist es nicht, die Windhundeschar ist freundlich und sehr gut organisiert. Im Clubrestaurant macht Karin Mausberg Cabel Kaffee für die Herrchen und Frauchen, die mit ihren Athleten zur Tierarztkontrolle eintrudeln, einige bereits im Renndress mit Startnummer. Man kennt sich schon lange, viele im Renntross sind selber Züchter. Karin Mausberg Cabel hat heute einen Whippet am Start, diese kleine Rasse wurde einst in England als «Rennpferd der Büezer» gezüchtet. Zuhause geblieben sind die beiden Afghanen. Die könnten zwar auch Bahnrennen laufen, sind aber mehr im Showbiz tätig, neulich standen sie in Zürich sogar auf der Opernbühne. Am Tisch des Rennbüros regelt derweil Rennleiter Philipp Mühlethaler das Administrative. Seine Hunde sind leider alle verletzt, dafür kann sich der Rennleiter wenigstens auf eine Aufgabe konzentrieren. Alle anderen sind mehrfach im Einsatz, als Halter und Funktionär. Sie rotieren routiniert zwischen den Chargen, gehen mit ihren Hunden an den Start, walten als Streckenposten in einer Ecke der Bahn oder planieren mit dem Traktor die Sandbahn. Hansueli Egger steuert mit einer Fernbedienung den Hasenzug. Schliesslich hat er das «System Egger» auch selber entwickelt: Ein Benzinmotor treibt die Hasenattrappe mit Plastikzottel um die Bahn. Der rudimentäre Reiz reicht, damit die Hunde ihm nachhetzen. Niemand zweifelt daran, dass sich auch die Hunde auf das Rennen freuen. «Windhunde sind für die Rennbahn geboren», bekräftigt Walter Brändle, Präsident der Interessengemeinschaft für das Windhundrennwesen. Die Schweizer Rennclubs mit eigener Bahn kann man an einer Hand abzählen. Hundesport ist ein aufwendiges Hobby und Windhunde sind bestimmt nicht die einfachsten Charaktere. Brändle propagiert das Fairplay: «Ich betreibe den Rennsport in erster Linie für meinen Hund, nicht für mich.»
Doch der klassische Bahnsport ist etwas aus der Mode. Unter jüngeren Windhundefreunden ist «Coursing» mehr angesagt. Auch hier gibt es Wettkämpfe, in denen eine Hetzjagd simuliert wird, allerdings auf freiem Feld. Beim Coursing wird die künstliche Hasenschleppe im Zickzack über den Parcours gezogen, für die Hunde ist das wohl noch näher beim Erlebnis einer natürlichen Hasenhatz. Die meisten Windhundebesitzer tanzen auf verschiedenen Hochzeiten, auch Brändle ist als oberster Vertreter der Szene überall dabei: Bahnrennen, Coursing, Zuchtschauen. Sein Herz schlägt heute aber einen Tick höher. Es geht halt nichts über den Bahnsport alter Schule: die Action im Pulk, das instinktive Rennverhalten der Tiere. Selber hat er einen Rüden in der Königsklasse der Greyhounds am Start. Das G steht für Gepard, die Greys sind die grössten und schnellsten Windhunde. Sie speeden in weniger als 30 Sekunden eineinhalbmal um die Bahn. Das heisst Tempo 70, recht flitzig.
Also los, genug Geplänkel, die Hunde bellen zum Start. 64 Rennen sind heute angesagt, vom Vorlauf bis zum Final nummeriert, nach Rassen und Alter getrennt, treten Anfänger und Senioren an, maximal sechs Hunde pro Lauf. Hinter den Startboxen schaut ein Boxenchef nach dem Rechten, während die Halter ihre Hunde in die Box setzen. Auch Hansueli Egger ist mit Lotus dran. «Einsetzen!», tönt das Kommando, jetzt sind alle unter Adrenalin. Oh, da rutscht eine Halterin aus und stürzt, ihr Hund will nicht in die Box. Ei, ein paar bange Augenblicke später sind doch alle Hunde drin. Sogleich hebt der Boxenchef die Startfahne, der Hase läuft an, auf die Startgerade, wo sich die Boxentore öffnen – und zack, wie Raketen schiessen die Hunde auf die Piste. «Ein Blitzstart von Lotus, doch Nummer drei in Weiss kommt auf …», kommentiert der Speaker. Und nur zwei Augenblicke später sind die Hunde schon über der Zielgeraden. Eines von 64 vorbei. Ein Rennen über 280 Meter dauert weniger als 20 Sekunden. Der Hase ist ausgelaufen und die Hunde schnappen sich hechelnd die Attrappe im Sand, während die Halter auf die Bahn traben, um ihre Lieblinge von der Bahn zu führen. Anfeuern ist übrigens unter Sportlern verpönt. Aber den Rennhunden ist das egal. Sie sind eh nur auf den Hasen fixiert.
Das Jagen liegt ihnen zwar im Blut, trotzdem kann nicht jeder Windhund auf der Bahn laufen. Um eine Lizenz zu erhalten, muss jeder Hund in Lizenzläufen beweisen, dass er einwandfrei um die Runde laufen kann. Die Kurventechnik will trainiert sein, und vor allem gelten auch für den Hund im Rennen Regeln. Schon im Rennen Nummer fünf passiert es. Der Speaker bemerkt ein Straucheln. «Was war da los in der ersten Kurve?» Der Streckenposten hat aufgepasst und macht Meldung beim Jurywagen. Das war tatsächlich ein unerlaubter Angriff, mitten im Überholmanöver. Die Hündin wird wegen Schnappens disqualifiziert und muss sich das unsportliche Verhalten schleunigst abgewöhnen, wenn sie weiter Bahnrennen laufen will. Orientierungslose Streuner haben auf der Rennbahn nichts verloren. Und doch hat es Platz für verschiedene Charaktere in der grossen Familie der Windhundefans. Alle Sportler sind Individualisten, Mensch wie Tier. Rund ein Dutzend Windhundearten sind in der Fédération Cynologique International klassifiziert. Dazu gehören Azawakh, Barsoi oder Galgo Español. Das italienische Windspiel ist die kleinste Rennhunderasse. Franziska Walther lässt ihre beiden Windspiele heute mangels Konkurrenz zu zweit in einem internen Schaulauf rennen. Ciel und Soleil sind beide Coursing-Champions, aber absolvieren ein paar Bahnrunden als Vorbereitung für internationale Meisterschaften. Auch ein irischer Wolfshund ist da, ein Vertreter der grössten Windhunderasse, allerdings nur als Zuschauer. Gerade läuft eine blonde Afghanische Windhündin dem Ziel entgegen. Sie hat es nicht so pressant, aber strahlt mit ihrer wehenden Frisur eine erhabene Eleganz aus. Kontrollblick aufs Rennblatt: «Irresistible Beauty», so heisst die Nachwuchskraft.
Selbst in der bunten Windhundewelt stechen die Sloughis von Rolf Bächtiger heraus. Er brachte in den Siebzigerjahren die erste Sloughis aus der Wüste in die Schweiz. Der weit gereiste Mann sieht aus wie ein Seebär und könnte nächtelang Räubergeschichten erzählen. Eben noch sass man am Kaffeepausentisch neben der Sandbahn von Kleindöttingen, in Windeseile ist man seinen Erzählungen zu Oasen, Beduinen und Vulkaninseln gefolgt. Seine Farida war im Rennen Nummer 17. Der Wüstenhund hatte keinen Stich, aber man müsse kein Erbarmen haben, sagt Rolf Bächtiger lächelnd: «So sind sie, die Sloughis, man kann sie zu nichts zwingen.» Die schlechte Zeit fuxt ihn, aber sie war zu erwarten. «Ihr ist das Bahnrennen zu blöd, sie trainiert viel lieber», so Bächtiger. Unterdessen liegt Farida in der Mittagssonne. Tiefenentspannt wie eine Raubkatze. Und Hansueli Egger fiebert dem Finale entgegen. Dem Gastgeber ist es wichtig, dass auch Leute wie Rolf Bächtiger mit seinen stolzen Sloughis den Spass am Bahnsport nicht verlieren. Nur als Kanonenfutter kommt keiner gern an Rennen, alle möchten gern gewinnen. Deshalb gibt es in Kleindöttingen auch im B-Finale Preise. Und die Rangverkündigung darf sich ruhig in die Länge ziehen, damit möglichst viele Teilnehmer ein Erfolgserlebnis auf dem Podest haben. Die gute Stimmung in der Windhunderennfamilie ist das Eine. Aber am Ende gehts halt trotzdem um die Wurst, um Sekunden und Millimeter, die entscheiden. Ein paar Augenblicke Hühnerhaut, die es ausmachen. Tagesbestzeit im A-Finale der Whippets holt schliesslich die Nummer eins in Rot, Lotus: 18,177 Sekunden für 280 Meter. Hansueli Egger ist darum heute besonder happy. Aber ein schöner Renntag war es für alle.