Text: Willi Näf
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Ich sitze immer noch auf der Terrasse. Mit meiner dreiviertellangen Double Corona. Und mit gepuderten Sätzen einer gepuderten Schreibtrulla: «Einst beneideten Männer Frauen um deren beste Freundinnen. Aber seit auch Männer gerne über Gefühle reden, zeigen sie sich oft freundschaftsbegabter als Frauen.»
Ein feines Lob. Von einer Frau. Also von einem sozialen Vorbild. Frauen sind ja der Standard, an dem Frauen Männer messen. Und natürlich scheitern alle, ausser den schwulen best friends der weiblichen Hauptrolle in US-amerikanischen Komödien. Aber wenn heterosexuelle Männer dann doch einmal «über Gefühle sprechen», bricht eine Frau mit einem intakt klischierten Geschlechterverständnis schon mal in begeistertes Ermuntern aus; fein hast du das gemacht, kleiner Mann, jetzt nicht nachlassen und fest, fest weiter über Gefühle reden, so geht Mensch.
Jankel, Gerolf, Simon und ich sind den gepuderten Schreibtrullas dankbar, dass sie uns bei der Überwindung unserer geschlechterbedingten Sozialinkompetenz ermutigen. Und es käme uns nie in den Sinn, diese Entwicklungshilfe als Womensplaining oder Matronizing zu bezeichnen. Nur schon weil es diese Begriffe nicht gibt. Es gibt nur Mansplainer und Patronizer. Also geschwätzige Hohlköpfe, die Frauen stundenlang mit Besserwissen zutexten, und Machtmänner, die Frauen mit herablassender Gönnerhaftigkeit domestizieren. Wenn aber umgekehrt Frauen Männer verbal oder nonverbal über Gefühle und Kommunikation belehren, dann nennt man das nicht Womansplaining, sondern Liebe. Für herablassendes Bemuttern, Matronizing, gilt dasselbe. Zählt man beides zusammen, erhält man Loriot.
Liebe ist bei Jankel, Gerolf, Simon und mir durchaus ein Thema. Wir schweigen oft darüber. Simon mag sich beim jährlichen Wochenende nicht im Schlamassel suhlen; seine Frau hat Affären und Durst, ihre Führerscheinentzüge dauern Jahre und kosten Monatslöhne, er versucht bei seinen drei Kindern ein Minimum an Unbeschwertheit aufrechtzuerhalten, und trotz allem liebt er seine Frau, weiss der Teufel, warum. Jankel und Gerolf haben ihre Scheidungen längst hinter sich. Jankel und seine Frau gingen vorher noch auf Tournee bei Ehetherapeuten, auf Jankels Wunsch hin – der hoffnungslose Romantiker glaubte noch 15 Jahre nach der Trennung an die Rettung seiner Ehe. Gerolf absolvierte seine Therapietournee aus Pflichtbewusstsein und schloss sie erwartungsgemäss erfolglos ab. Seine Bilderbuch-Kampfscheidung zog sich über Jahre, am Ende war er auch sein florierendes Unternehmen los.
Über beide Scheidungen haben wir in all den Jahren ein-, zweimal gesprochen. Wobei, was heisst «gesprochen»? So freundschaftsbegabt sind wir dann doch nicht. Wenn Gerolf seine Scheidung erwähnt, dann trocken und ohne Selbstmitleid in seinem Bariton. Nach ein paar Minuten wenden wir uns aktuelleren Themata zu. Beispielsweise besucht Gerolf immer öfter das Pissoir, das Verhältnis zwischen Aufwand und Ertrag fällt immer schlechter und der Erntedank beim Händewaschen immer weniger euphorisch aus. Das Altern gibt mehr Pointen her als das Lieben.
Und da meine Double Corona nun schon beim Thema Liebe angekommen ist: Mit seiner zweiten Frau Annika ist Gerolf seit 20 Jahren glücklich. Und er staunt immer noch, dass es eine Frau gibt, die ihn nicht verändern will. Die ihn geheiratet hat, weil und nicht trotz. Und Jankel und seine zweite Frau Christiane sind nach zwölf Jahren verliebt wie am Anfang. Christiane nimmt ihn, so wie er ist. Kein Womansplaining, kein Matronizing, kein Loriot, die beiden Frauen doktern nicht mal an den Freundschaftsbegabungen ihrer Männer herum. Und wenn sie diese nach unserem Wochenende jeweils begrüssen, sieht man Glück in ihren Augen.
Inzwischen ist meine Double Corona erneut kürzer geworden. Es ist übrigens eine Zigarre der Marke Bock. Passend zum Thema Männer. Villiger sollte noch eine Marke namens Geiss herausbringen. Zu ihr könnte ich philosophieren – über meine alten Freundschaften zu Kirsten, Dolores und Ella. Ich bin nämlich ein Frauenversteher. Seit 30 Jahren. Sagt Kirsten. Sagen Dolores und Ella auch. Wir vier sprechen und chatten oft über «unsere Gefühle». Und über fünf Ehen, eine Scheidung, einige latente und akute Trennungen, einige Arschlöcher, einige Irrtümer, einige vergebene Liebesmühen – die ganz normale Mischung eben. Wir fassen sie einfach in etwas mehr Worte als mit Jankel, Gerolf und Simon. Das ist ja das Hübsche an «Freundschaft» – dass es sie in so vielen Ausdrucksformen gibt. Und keine ist besser als die andere.
Aber sag das doch mal dieser gepuderten Schreibtrulla.